Willkommener Fehler

Die Hamburger Justiz hat die Zahlen über die Verurteilung Jugendlicher jahrelang falsch erfasst. Nun wirft die GAL-Fraktion Justizsenator Lüdemann vor, die Öffentlichkeit bewusst getäuscht zu haben

VON ELKE SPANNER

Die GAL-Fraktion wirft Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) die bewusste Täuschung der Öffentlichkeit vor. Lüdemann habe stets behauptet, dass in Hamburg immer mehr Jugendliche Straftäter Haftstrafen verbüßen müssten. Dies hatte er als Erfolg der CDU-Politik verkauft. Dabei müsste der Senator gewusst haben, so der GAL-Rechtspolitiker Till Steffen, dass er mit falschen Zahlen operierte. Steffen: „Lüdemann ist als Senator nicht mehr tragbar.“

Am Vortag war bekannt geworden, dass die Justizbehörde jahrelang Zahlen über die Verurteilung von Jugendlichen falsch erfasst hatte. Während bundesweit von allen verurteilten Jugendlichen rund 70 Prozent eine Bewährungsstrafe kassierten und nur 30 Prozent ins Gefängnis kamen, schien sich dieses Verhältnis in Hamburg umgekehrt entwickelt zu haben: Laut der fehlerhaften Statistik war die Zahl der Jugendstrafen ohne Bewährung seit 2002 von rund 30 auf 70 Prozent angestiegen.

Tatsächlich aber hatte es nicht mehr Verurteilungen zu Haftstrafen gegeben, im Gegenteil: Im Jugendstrafvollzug auf der Elbinsel Hahnöfersand sind sogar immer mehr Zellen unbelegt. Zustande kamen die falschen Zahlen dadurch, dass viele Staatsanwälte seit der Einführung eines neuen Computersystems 2002 die Eingabemaske falsch bedient hatten.

Den Fehler hatte die Justizbehörde erst eingeräumt, nachdem der Kriminologe Bernhard Villmow darauf hingewiesen hatte. Die Justizbehörde behauptet nun, den Fehler all die Jahre nicht bemerkt zu haben. Erst vorigen September sei er aufgefallen. Lüdemann hatte ihn allerdings auch zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich gemacht. Und Steffen hält ihm nun vor, er müsste schon seit Jahren von der falschen Statistik gewusst haben.

Der Kriminologe Villmow hatte den Senat bereits vorigen Mai nach einer Erklärung für die irritierenden Zahlen gefragt. Zuvor hatte auch die GAL-Fraktion wiederholt darauf hingewiesen, dass der Jugendknast in Hahnöfersand bei weitem nicht belegt sei. Mehrfach stand die Frage im Raum, wie das mit der Behauptung Lüdemanns zusammenpasse, dass immer mehr Jugendliche eine Haftstrafe verbüßten. Eine Antwort darauf gab es nie. Allein in zwei schriftlichen Anfragen an den Senat hatte Steffen auf diese Unstimmigkeit hingewiesen. Sie stammen beide aus einer Zeit, in der Lüdemann noch Staatsrat in der Innenbehörde war – und damit persönlich verantwortlich für die Antwort auf kleine Senatsanfragen im Justizressort.

Auch die SPD-Fraktion hält der CDU nun vor, dass ihre Glaubwürdigkeit als Sicherheitspartei „nach diesem Statistik-Skandal mehr als lädiert ist“. GALier Steffen hält dem Senator vor, die Täuschung über die Zahlen bewusst aufrechterhalten zu haben, weil diese der CDU politisch gut ins Konzept passten. Den Wahlkampf 2001 hatte die CDU mit dem Thema Jugendkriminalität bestritten. Im Einklang mit Ronald Schill hatte die Union ein „härteres Durchgreifen“ gegen junge Täter angekündigt – und 2004 das Bezirksjugendgericht abgeschafft.

Vor diesem Hintergrund behauptete etwa der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Andreas Dressel in einer Senatsanfrage im Mai 2005: „Auch Hamburgs Gerichte greifen gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden immer härter durch.“ In just dieser Anfrage fragte er die Zahlen verurteilter Jugendlicher ab – und wieder soll nicht aufgefallen sein, wie widersprüchlich sie waren. „Ein Umstand, den die Justizbehörde nur mit viel Mühe übersehen konnte“, so Steffen.

Im Ergebnis ist die GAL-Fraktion nicht nur froh, dass der Schwindel aufgeflogen ist. Erleichtert sind die Grünen auch darüber, dass es den von der CDU behaupteten Wechsel in der Spruchpraxis der Jugendrichter nicht wirklich gegeben hat. Die Politik darf auf unabhängige Richter keinen Einfluss nehmen. Zudem lasse sich in der aktuellen Debatte um Jugendkriminalität nun kaum mehr begründen, dass es einen starken Anstieg gegeben habe. Und ohnehin, sagt Steffen, „sind andere Maßnahmen bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität sehr viel effektiver als eine Haftstrafe“.