Zwischen Barack und Hillary

Als die Familie von Natatia Griffith in den 70er-Jahren in den Mittelstandsvorort Rivervale, etwa 20 Kilometer außerhalb von New York, zog, waren die Griffiths dort die einzigen Schwarzen weit und breit. „Die Leute dachten zuerst alle, wir sind die Hausmeister“, erinnert sich die heute 40 Jahre alte Dame, die neben ihrem Job im Vorstand der New Yorker Verkehrsbetriebe Präsidentin einer Vereinigung schwarzer berufstätiger Frauen, der Coalition of One Hundred Black Women, ist. „Als ich in die Schule gegangen bin, haben die Leute noch ihre Hunde auf mich gehetzt“, erzählt die Tochter eines Chemieingenieurs.

Griffith hat es sich zum Lebensmotto gemacht, den Platz in der amerikanischen Gesellschaft in Anspruch zu nehmen, der ihr zusteht. Sie hat sich nie ihren Stolz und ihr Selbstbewusstsein nehmen lassen. Auch nicht bei ihrer Arbeit in der Coalition, die „vom männlichen schwarzen Bürgerrechtsestablishment bis heute beargwöhnt“ wird. Solche Widerstände bestärken sie nur darin, ihren Coalition-Frauen beizubringen, fremdgesetzte Grenzen nicht zu akzeptieren: „Unsere wichtigste Arbeit besteht darin, ihnen beizubringen, ihre Erwartungen an sich selbst zu steigern.“

Erstaunlicherweise hat ihre Arbeit für schwarze Frauen bei Natatia Griffith eher Sympathien für Barack Obama geweckt als für Hillary Clinton. Wenn sie von dem schwarzen Kandidaten redet, klingt sie beinahe ein wenig verliebt. Vielmehr als mit Clinton, der traditionellen Favoritin schwarzer Organisationen, kann sie sich mit Obama identifizieren. „Er ist ein positives Vorbild für uns alle“, sagt sie. „Er zeigt, dass es möglich ist, etwas aus sich zu machen, egal was andere sagen.“ Und das ist genau das, was sie ihren One Hundred Women auch zu vermitteln versuche.

Sicher, räumt Griffith ein, auch Hillary Clinton überwinde als Frau Hürden, die lange als unüberwindbar galten. Aber Obama trotze wesentlich größeren Widerständen. Dem Widerstand des politischen Establishment etwa, das nicht müde wird, zu betonen, er sei zu unerfahren für die Präsidentschaft. Oder dem jener alteingesessenen Bürgerrechtsvereine, die auch ihre eigene Organisation anfechten, seit die One Hundred Women vor 36 Jahren die Notwendigkeit einer Frauenorganisation innerhalb der schwarzen Bewegung formulierten. „Die denken, dass es keinen schwarzen Kandidaten geben darf, der nicht durch ihre Ränge aufgestiegen ist – und verbünden sich deshalb lieber mit Hillary. Obama ist für sie bedrohlich, weil er ihnen zeigt, dass es auch ohne sie geht.“ Und diese seine Haltung findet Natatia Griffith ausgesprochen sexy.

Um zu verdeutlichen, was ihr an Obama gefällt und an den alten schwarzen Organisationen missfällt, zitiert Griffith die Reaktion vieler Schwarzer auf die Sprache von Obama. „Obama spricht nicht den typischen schwarzen Straßenslang. Deshalb heißt es, er sei nicht einer von uns.“ Die Sprache des Kandidaten, so Natatia, sei jedoch nicht „weiß“, sondern einfach nur gebildet. Allein daran könne man sehen, wie sich viele Schwarze selbst im Weg stehen, indem sie auf ihrem Schwarzsein beharren, statt die Möglichkeiten zu nutzen, die die Gesellschaft ihnen bietet. Und die sind gar nicht mehr so schlecht – wie Natatia Griffith durch ihre eigene Biografie belegt. Wie groß die Möglichkeiten in Amerika mittlerweile tatsächlich seien, werde allerdings erst die Wahl zeigen, sie sei „ein Lackmustest für den Zustand unserer Gesellschaft“. Auch deshalb drückt sie Obama die Daumen: „Ich wünsche mir nichts mehr, als nächsten November aufzuwachen und sagen zu können: Verdammt noch mal, wir haben das tatsächlich geschafft.“

Der Hue-Man Bookstore an der 125. Straße in Harlem hat das vielleicht umfassendste Sortiment an schwarzer Literatur, das man in den USA finden kann. Von Romanen schwarzer Schriftsteller über die Biografien berühmter schwarzer Amerikaner aus Wissenschaft, Kultur, Geschichte und Politik bis hin zu „schwarzer“ Kultur- und Polittheorie – in dem geräumigen Laden findet man alles, was man lesen muss, wenn man sich für die kulturelle Identität der Afroamerikaner interessiert. Dennoch weist der Name des Ladens über das Schwarzsein hinaus: „Hue-Man“ ist ein Wortspiel mit hue (Hautfarbe) und human (menschlich). Es ist somit ein Appell, über die Rassen hinweg einen freien Blick auf die verbindende universelle Menschlichkeit zu gewinnen.

So ist es die Idee des Ladens, über Geschichte und soziale Realität des schwarzen Amerika aufzuklären – gleichzeitig aber nach vorne zu schauen und das Thema Rasse zu überwinden. Das Konzept war in den fünf Jahren, in denen der Laden besteht, ein durchschlagender Erfolg – Hue-Man ist mit seinen Veranstaltungen und seinem Café ein Treffpunkt für liberale Intellektuelle verschiedenster Hautfarben sowie für alle Harlemites, die über die Grenzen des Ghettos und der Rassentrennung hinausschauen wollen.

Mutter des Konzepts ist die Hue-Man-Mitbegründerin Marva Allen, eine stattliche Harlemerin, die in London und in New York Kunst und Literatur studiert hat. Sie hat sich als schwarze Intellektuelle zeit ihres Lebens mit allen Diskursen über schwarze Identität, Feminismus, mit Gleichberechtigung und Multikulturalismus auseinandergesetzt. Und sie ist all dies mittlerweile ein wenig leid. „Wenn Sie mich fragen, hat sich das alles ein wenig abgenutzt“, sagt sie, in ihrem kleinen Büro hinter dem Hauptverkaufsraum von Hue Man sitzend. „Das hat alles zu seiner Zeit seine Berechtigung gehabt, aber wir brauchen langsam einmal eine neue Debatte. Wenn man alles immer nur in Schwarz-Weiß sieht, hat man eine sehr farblose Welt. Technicolor ist doch viel schöner.“

Insofern kann Allen auch keine besondere Euphorie angesichts der Kandidatur von Barack Obama und Hillary Clinton aufbringen. „Ich sehe keinen Grund, nur für eine Frau zu stimmen, weil sie eine Frau ist, oder nur für einen Schwarzen, weil er schwarz ist“, sagt sie. „Wir müssen doch fragen, was sie wirklich bewegen und verändern.“ Und da ist Marva Allen eher skeptisch. „Ich lebe lange genug in Amerika, um mir keine Illusionen darüber zu machen, was Politiker erreichen können und was sie nicht erreichen können. Der Wahlsieg von einem der beiden wäre in erster Linie ein symbolischer Erfolg.“

Vor allem ist Marva Allen jedoch so zurückhaltend, was Barack Obama und Hillary Clinton angeht, weil beide über das Thema, das sie für das wichtigste dieser Zeit hält, nur am Rande reden. „Wenn wir den Schwarzen in Amerika helfen wollen“, sagt sie, „müssen wir über die wirtschaftliche Benachteiligung der Schwarzen reden.“ Gleichberechtigung, glaubt Allen, werde nicht erreicht, indem man einen schwarzen Kandidaten wählt, sondern indem man wirkliche Chancengleichheit schafft. „Es war doch schon immer so, dass es in allererster Linie um ökonomische Realitäten geht – das Übel der Sklaverei war im Grunde auch ein wirtschaftliches Übel.“ Solange über Armut und Zugang zu Bildung und Ausbildung für die sozial Benachteiligten so wenig gesprochen werde, werde sich ihre Euphorie deshalb in Grenzen halten. „Wissen Sie“, sagt sie, „meine Familie kommt aus Jamaika, da sind schon immer Schwarze an der Macht. Ich finde das relativ normal.“

Suzan Johnson Cooke lässt bei ihren Besuchern erst gar keinen Zweifel daran aufkommen, welchem Kandidaten für die US-Präsidentschaft ihr Herz gehört. Schon im Vorzimmer zum Büro der Pfarrerin einer schwarzen Baptistengemeinde in der Bronx hängt an den dünnen Gipswänden zwischen Bildern von Martin Luther King und Malcolm X ein halbes Dutzend Fotos von den Clintons. Oft ist auf den zumeist handschriftlich gewidmeten Bildern sogar die große, kräftige Predigerin selbst mit drauf: „Sujay“ – wie Cooke in der schwarzen Community genannt wird – mit Bill im Weißen Haus; Sujay mit Hillary in deren Büro in Harlem; das Präsidentenpaar zu Besuch bei der Einweihung des Gotteshauses hier am Pelham Parkway vor ein paar Jahren.

„Wenn Sie etwas über die Zerrissenheit schwarzer Frauen zwischen Barack Obama und Hillary Clinton wissen wollen“, sagt Cooke dann auch gleich, nachdem sie in ihre plüschig eingerichtete Amtsstube gebeten hat, „dann sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Ich kenne Hillary persönlich, und deshalb weiß ich, dass sie alles, was sie verspricht, auch so meint.“ Bezahlbaren Wohnraum, bezahlbare Krankenversicherung, eine sichere Rente, höhere Löhne – all das, was die Menschen in ihrer vorwiegend armen Gemeinde brauchen, glaubt Sujay, werde in die Bronx kommen, wenn Hillary erst an der Macht ist. Vor allem aber könne sie sich mit der Spitzenkandidatin der Demokraten identifizieren, weil Clinton wie sie selbst Ehefrau und Mutter ist.

Sujays Affinität zu den Clintons reicht in eine Zeit zurück, in der von Barack Obama in den USA noch niemand etwas gehört hatte. 1993 bekam Cooke als junge Theologin ein Stipendium, um in einem Beratungsausschuss für Religionsfragen im Weißen Haus mitzuarbeiten. Ein wichtiger Job: Clintons Wiederwahl beruhte nicht zuletzt darauf, dass er den tiefgläubigen Süden hinter sich brachte, obwohl er ein liberaler Demokrat war. 1997 stieg Johnson Cooke dann zu einer Beraterin des Präsidenten in Rassenangelegenheiten auf. Ein enges Verhältnis zu Bill und Hillary baute sie allerdings erst nach Clintons letzter Amtszeit auf, als das Paar sein Hauptquartier in Harlem aufschlug – im Herzen des schwarzen Amerika, wenige Kilometer von Cookes Gemeinde entfernt.

Den Wahlkampf von Hillary Clinton unterstützt Cooke allerdings nicht nur aus persönlicher Verbundenheit. Wenn sie abwägen müsste, ob die Gleichberechtigung der Frauen oder die der Schwarzen in der amerikanischen Gesellschaft dringlicher ist, würde Sie sich eindeutig für die Frauen entscheiden. „Man ist als schwarze Frau sicher immer ein doppeltes Opfer – Sexismus und Rassismus gehen Hand in Hand.“ In ihrer Karriere, so Sujay, sei das Frausein das größere Hindernis gewesen. „Ich habe mich innerhalb der schwarzen Kirchenorganisation gegen schwarze Männer durchsetzen müssen – und habe dabei extreme Widerstände erfahren.“

Die Hoffnung, dass Hillary Clinton als Präsidentin eine wirklich „feministische“ Politik macht, hat die Pfarrerin allerdings nicht. Das sei aber auch nicht nötig: „Sie muss nicht über Frauen reden – sie ist eine Frau, damit tut sie genug für uns.“ Politisch sei es ohnehin viel wichtiger, dass etwas gegen die Armut getan werde, die sie täglich erlebt. „Die wirtschaftliche Ungleichheit ist auf den Straßen Amerikas das wirklich brennende Thema.“ Auf den Gebieten Rasse und Geschlecht habe es schließlich schon große Fortschritte gegeben. Das sehe man ja an Clinton und Obama. Und auch ein wenig an ihr selbst.