Bemühen um Aufklärung

GESCHICHTE Radziwills Tochter Konstanze wehrt sich gegen „undifferenzierte Darstellungen“ ihres Vaters. Insbesondere dessen Kriegsbilder seien ambivalent. Auch eine pazifistische Interpretation sei möglich

■ arbeitet als Autorin und Filmemacherin. Vor zwei Wochen lief auf Arte ein Doku-Drama über Erich-Maria Remarque, an dem sie als Co-Autorin beteiligt war.

Die Darlegungen Ferdinand Krogmanns anlässlich der Bremer Ausstellung „Entartet“ in der taz unter dem Titel „Täter werden zu Opfern“ befassen sich auch mit Franz Radziwill. Dabei beruft sich der Autor unter anderem auf Äußerungen des Dangaster Bundeslandwirtschaftsministers a.D. Karl-Heinz Funke (Jahrgang 1946), die dieser in einem Interview getätigt hat.

Doch diese Aussagen zu Radziwills Biographie entbehren jeder Differenzierung. Radziwill war ab 1933 Mitglied der NSDAP und wurde im selben Jahr als Professor an die Kunstakademie Düsseldorf berufen. 1935 wurde er jedoch wieder entlassen, weil seine Kunst Anstoß erregte. Er zog sich nach Dangast zurück. Bei der Nazi-Aktion gegen die „Entartete Kunst“ wurden auch seine Bilder verfemt. Ab 1938 hatte Radziwill Ausstellungsverbot für Einzelausstellungen. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass er sich bis 1945 erfolgreich mit den Nazis arrangiert habe. Diese Tatsachen sind anhand der Unterlagen des Archivs in Dangast jederzeit überprüfbar.

Radziwill hat sich nach 1945 als Vorkämpfer für den Landschafts- und Naturschutz eingesetzt und sich damit nicht nur Freunde gemacht, was die Äußerungen Funkes zum 25. Todestag Radziwills erklären mag.

Abgesehen davon gehe ich (1947 in Dangast geboren und aufgewachsen) seit längerem den Vorwürfen nach, Radziwill habe in der NS-Zeit „Leute verpfiffen“ oder gar „denunziert“, wie auch bei „Wikipedia“ zu lesen ist. Das Dorf Dangast ist überschaubar, hier bleibt wenig verborgen. Von Zeitzeugen habe ich nichts Derartiges in Erfahrung bringen können – auch nicht von solchen, die den Maler und Naturschützer nicht mochten.

Als im Jahr 1999 der frühere Oldenburger Kulturdezernent Ekkehard Seeber Vorsitzender der Franz Radziwill Gesellschaft (FRG) wurde, fand er in seinem Briefkasten einen Umschlag ohne Absender. Darin steckte eine handschriftliche „Meldung“ Radziwills von 1937, als dieser schon unter verschärfter Beobachtung stand. Dazu habe ich Folgendes herausgefunden: Zwei bekannte Dangaster NSDAP-Mitglieder hatten den Parteiaufmarsch zum 1. Mai in der benachbarten Kleinstadt Varel vor aller Augen vorzeitig verlassen, um es sich in einer Kneipe gemütlich zu machen. Ein Parteigenosse meldete den „Vorfall“ Franz Radziwill, der seinerseits die Meldung an einen Vorgesetzten in der Parteihierarchie weiterleitete. Die Provinzposse hatte für keinen der Beteiligten irgendwelche Folgen.

Für Radziwill wäre es ein Leichtes gewesen, Nazikunst zu malen. Er hat es nicht getan

Selbstverständlich gibt es hinsichtlich des Verhaltens von Franz Radziwill während der Nazi-Diktatur nichts zu beschönigen – zum Beispiel in Bezug auf sein intensives Bemühen um die Stelle an der Düsseldorfer Kunstakademie, an der zuvor sieben Professoren entlassen worden waren, unter ihnen Paul Klee.

Seit Gründung der Radziwill Gesellschaft 1986 und dem Aufbau des Archivs, das den gesamten Nachlass enthält, hat sich die Gesellschaft für eine Aufklärung der Zusammenhänge eingesetzt. Neuere Forschungen und Publikationen, insbesondere die von James van Dyke, Eduard Dohmeier und Olaf Peters, auf den sich Krogmann bezieht, sind so erst möglich geworden. Derzeit befasst sich die FRG mit einem dreijährigen Projekt, das hinführt zu einer für 2010 geplanten Ausstellung „Der Maler Franz Radziwill in der NS-Zeit“. Sie soll in Kooperation mit der Kunsthalle Wilhelmshaven stattfinden. Für November 2010 wurde zu einem Symposium eingeladen, um aktuelle Forschungen zu diskutieren.

Abwegig ist Krogmanns Vorwurf, Radziwills Kriegsbilder fehlten in der Bremer Ausstellung. Zu deren Konzeption hat Kuratorin Birgit Neumann-Dietzsch das Notwendige gesagt [siehe taz vom 21./22. November]. Krogmann unterstellt darüber hinaus, diese Bilder hätten den NS-Geschmack getroffen. Schade, dass Krogmann bei der Vorführung des Dokumentarfilms „Konsequent Inkonsequent“ von Gerburg Rohde-Dahl und mir innerhalb des Ausstellungsbegleitprogramms nicht anwesend war. Im Film und bei der anschließenden Diskussion ging es unter anderem um diese Bilder. Übrigens waren sie 2008 ein Dreivierteljahr lang in Dangast zu sehen, sie werden 2011 auch in Wilhelmshaven hängen. Bis heute führt ihre Komplexität zu unterschiedlichen Reaktionen. Ob sie in ihrer wenig heroischen Grundhaltung zur Vorbereitung eines Krieges taugten, mögen die BetrachterInnen für sich entscheiden.

Zur Zeit ihrer Entstehung erkannten Vertreter der Bekennenden Kirche, mit denen der Maler ab 1937 in Verbindung stand, darin eine pazifistische Botschaft. Andererseits waren auch Militärs, die, wie Radziwill, das Inferno des Ersten Weltkriegs überlebt hatten, unbestreitbar von ihnen fasziniert. Was folgt daraus? Konträre Kritiken von damals beziehen sich zum einen auf die abschreckende Wirkung der dargestellten Hölle des Krieges – zum anderen auf den „Opfertod“ deutscher Soldaten, der in der Deutung national gesinnter Betrachter nicht umsonst gewesen sein konnte. Was folgt daraus? Jedenfalls ist die Mehrdeutigkeit dieser Bilder ein zentraler Unterschied zur NS-Kunst, auch wenn sie die selben Symbole benutzt.

Vor einer Woche veröffentlichte die taz zwei Gastbeiträge, die sich kontrovers mit der Ausstellung „‘entartet‘ – beschlagnahmt. Bremer Künstler im Nationalsozialismus“ in der Städtischen Galerie Bremen auseinandersetzen. Der Historiker Ferdinand Krogmann wirft der Ausstellung „eine „Ehrenrettung“ NS-affiner Künstler unter dem Label „entartet“ vor, weil die Ausgestellten zwar Beschlagnahmungen erdulden mussten, in vielen Fällen aber selbst Parteimitglieder waren und durchaus auch Erfolge im NS-System verbuchen konnten. Demgegenüber betonte die Kuratorin Birgit Neumann-Dietzsch in ihrer Entgegnung den abwägenden Charakter der Ausstellung: „Wir können nicht säuberlich in Gute und Böse einteilen.“ Gerade in der „überraschenden Darstellung von Widersprüchen, Unschärfen zwischen Anpassung und Widerstand“ bestehe die Schärfe des Ausstellungskonzepts. Heute schreibt Konstanze Radziwill über ihren Vater Franz – begleitet von einer kritischen Replik Krogmanns.

Für die führenden Vertreter des NS-Systems – allen voran Alfred Rosenberg – blieben Radziwills Bilder eine Provokation. Und zwar nicht nur die Arbeiten des expressionistischen Frühwerkes, sondern (spätestens ab 1937) auch die Werke des Magischen Realismus. Wie anders wäre es zu erklären, dass Radziwill trotz seiner Versuche, sich zu rehabilitieren seit 1935 kein „come back“ gelang? Weder konnte er ins Düsseldorfer Lehramt zurückkehren, noch konnte er die Beschlagnahmung von Bildern rückgängig machen. Ebenso wenig ließ sich das Einzelausstellungs-Verbot aufheben.

Mit seinen handwerklichen Möglichkeiten wäre es ihm ein Leichtes gewesen, Nazikunst zu malen und sich damit gegenüber Anfeindungen unangreifbar zu machen. Warum er es nicht getan hat, diese Frage bleibt auch bei den jüngsten Publikationen offen. Vielleicht ist sie nur durch die Bilder selbst zu beantworten?