KREUZBERG, DACHGESCHOSS
: Einbeinig entspannen

Ich will keine Partnerübung, das ist lebensbedrohlich

Hallo, ich bin Ralf, ich bin ein guter, liebenswerter Mann und ich mag mich selbst. Er grinst dazu.

Das, sagt er, sage ich mir jeden Morgen selbst, wenn ich in den Spiegel schaue. Belasse es doch bitte dabei, Ralf. Sag es dir selbst und niemandem sonst. Wer will mit Leuten zu tun haben, die in Spiegel sprechen? Doch ich nicke bloß. Ein Fahrstuhl zum Yogastudio ist kein Ort für grobe Wahrheiten. Außerdem liegt Ralf auf seiner Matte immer vor mir. Er legt sich jeden Montag dahin und sagt: Ach, ist das schön! Man muss sich Ralf als glücklichen Menschen vorstellen, der viel dafür getan hat. Er hat hart an sich gearbeitet, und jetzt sind wir hier, um Blockaden zu lösen, um uns zu verbinden mit uns selbst. Yoga Relax, von der Krankenkasse finanziert. Daher ist das auch so voll hier. Alle wollen entspannen, aber keiner hat das Geld dafür. Seit man das Kiffen aufgegeben hat, weiß auch niemand mehr, wie sich entspannen überhaupt gehen soll. Ich stehe auf einem Bein und fokussiere den Fernsehturm am Horizont. Was ist mit meinem Leben passiert, dass ich abends auf einem Bein in einem Kreuzberger Dachgeschoss stehe, Ralf von hinten wackeln sehe und dabei mein inneres Gleichgewicht finden will?

Wir haben nicht gewusst, dass Yoga zu den Dingen gehören wird, die wir uns nicht aussuchen können, hat neulich ein Freund gesagt. Als Kugel soll ich es mir auf der Matte richtig bequem machen. Es kommt eine Partnerübung. Ich will keine Partnerübung, ich habe im Leben schon genug Partnerübungen gemacht, das ist lebensbedrohlich. Und dann kommt Ralf, legt sich mit seinem Rücken über meinen. Das ist eine ganz tolle gegenseitige Rückenmassage, höre ich die Trainerin. Sie klopft mir auf die eingeknickte Schulter und sagt: Atmen nicht vergessen. Atmen und genießen. Über mir stöhnt Ralf. Mit rotem Kopf verfluche ich meine Krankenkasse und diese ganzen Kreuzberger Dachgeschosse. LUCY FRICKE