KATRIN GÄNSLER ZUR BEFREIUNG DER GEISELN IN NIGERIA
: Entführungsopfer zweiter Klasse

Nach Jahren des Boko-Haram-Terrors ist es allerhöchste Zeit, für mehr Sicherheit zu sorgen

Anscheinend war das die wichtigste Frage: Sind sie es? Die Schülerinnen aus Chibok? Kaum hatte das nigerianische Militär die 200 Mädchen und 93 Frauen am Dienstagabend aus den Händen der Terrormiliz Boko Haram befreit, drehte sich alles um das Kidnapping von vor gut einem Jahr. Die Hoffnung war groß und verständlich: Mit der Massenentführung von knapp 300 Schülerinnen aus den Schlafsälen einer weiterführenden Schule hatte Nigeria weltweit für Anteilnahme gesorgt. Jetzt wirkt die Befreiung fast wie eine Enttäuschung: Nein, es waren nicht die Mädchen von Chibok.

Das zeigt, dass man noch immer nichts aus den Entführungsfällen gelernt hat. Chibok war zwar spektakulär. Für die Anteilnahme sorgte auch die große Twitterkampagne #BringBackOurGirls, die den Mädchen über Nacht unzählige Unterstützer brachte und Druck auf die nigerianische Regierung ausübte.

Doch bis heute wird ignoriert, dass Chibok kein Einzelfall ist. Menschenrechtsorganisationen haben in den vergangenen Wochen mehrfach darauf hingewiesen, dass in Nordnigeria allein seit Anfang 2014 mindestens 2.000 Kinder und Frauen entführt worden sind. Aber die namenlosen Opfer sind längst wieder in Vergessenheit geraten.

Statt zu bedauern, dass es sich nicht um die 219 entführten Schülerinnen handelt, sollten die Regierung in Abuja sowie jene in den betroffenen Bundesstaaten endlich in die Verantwortung genommen werden. Nach Jahren des Boko-Haram-Terrors ist es allerhöchste Zeit, für mehr Sicherheit zu sorgen – gerade im Norden, in den ländlichen Gebieten, in der die Gewalt besonders groß ist. Und dabei ist es egal, ob es sich um Chibok, Gwoza oder Damasak handelt. Schutz brauchen nämlich alle, egal ob berühmt oder nicht.

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