Die Auferstehung

GALLERY WEEKEND II Eine Pilgerreise wert: zwei Ausstellungen in der früheren Kirche St. Agnes

■ Fit sollte man sein für das seit Freitag laufende Gallery Weekend. Allein 47 Galerien, die offiziell daran teilnehmen, gilt es zu besuchen. Dazu kommen jede Menge anderer Ausstellungen und Events in der Stadt.

■ Die meisten Galerien haben dieses Mal, weil die Biennale von Venedig gleich anschließt, auch noch am Montag geöffnet. Was bedeutet, dass das Kunstwochenende Zuspruch von Sammlern, Kuratoren und Kunstinteressierten aus der ganze Welt erhält und im elften Jahr als erfolgreiches Kunstmarktkonzept längst etabliert ist.

■ Weitere Informationen und genaues Programm unter www.gallery-weekend-berlin.de

St. Agnes könnte der heimliche Star des diesjährigen Gallery-Weekends werden. Sie ist eine schroffe Schönheit mit rauer Schale und schlichten Innenleben. Aber gerade der herbe Brutalismus ihrer Gestalt erregt inzwischen wieder Interesse. Nicht zuletzt, weil ihr markanter Charakter sich aus der gesichtslosen Masse der Heutigen heraushebt.

St. Agnes wurde als katholischer Kirchenbau samt angeschlossenem Gemeindezentrum 1964 bis 1967 vom damaligen Senatsbaudirektor Werner Düttmann errichtete. Seit Anfang des Jahrtausends ist der Ort entweiht; seit 2012 gehört der Komplex dem Galeristen Johann König zur Pacht auf 99 Jahre. Pünktlich zum Gallery Weekend ist nun der Umbau der Kirche zum Showroom für seine Galerie fertig geworden. Das Eröffnungsdinner für die 200 VIPs fand am Donnerstagabend im einstigen Kirchenschiff statt, und zwar unter dem „Tisch“, den der Architekt Arno Brandlhuber in die Kirche hat einziehen lassen. Diese 400 Quadratmeter große Zwischendecke lässt auf der Höhe der ehemaligen Emporen einen immer noch riesigen Ausstellungskubus erstehen: nichts als Wand mit dem für den Bau typischen Betonspritzputz und sanftes, indirektes Licht von oben.

Ideale Bedingungen für die Präsentation von Kunst, zumal wenn sie so dimensioniert ist wie die Bilder von Katharina Grosse. Mit dem Format vier mal vier und acht mal vier Meter wirken die sechs Arbeiten mit ihren bunt-amorphen Farbdickicht dem ehemaligen Kirchenschiff gerade angemessen.

Zum Gallery Weekend liefert Johann König im darunter liegenden Erdgeschoss noch eine zweite Ausstellung. Hier hat der Däne Jeppe Hein silberne Luftballons unter die neue Betondecke aufsteigen lassen. Aber was wie gewöhnliche Luftballons aussieht, sind tatsächlich unter der Decke verschraubte Metallobjekte. Dieser Tage dienen sie nicht nur als lustige Partydekoration, sondern thematisieren auch die neu eingezogene Decke. Die Pseudoballons markieren damit den einzigen, aber entscheidenden Eingriff in das ehemalige Gotteshaus. Brandlhubers Maxime für den Umbau von St. Agnes war, so wenig wie möglich zu verändern: Die Zwischendecke ist deshalb wie ein Tisch auf Betonbeinen in den Kirchenraum nur hineingestellt und lässt zu den umgebenden Wänden einen kleinen Spalt offen.

Einfach brutiful

Schließlich steht der Bau unter Denkmalschutz und gilt als eines der bedeutendsten Beispiele für den Architekturstil des Brutalismus in Deutschland. Brutal ist der Bau aber nicht im Sinne von gewalttätig, sondern in seiner rohen und schlichten Erscheinung. Brandlhuber hat dazu den Begriff „brutiful“ kreiert.

Einheitliche Elemente wie Spritzputz außen und innen und der sichtbare rohe Beton bei Treppen und den konstruktiv tragenden Stützen ziehen sich auch durch die anderen Teile der Anlage. König hat sie an „Partner“ aus der Kreativbranche vermietet. In der ehemaligen Sakristei sitzt der Verlag The Green Box; im Gemeindesaal werkeln Architekten von Robertneun; im ehemaligen Kindergarten hat sich eine Dependance der New York University einquartiert; und auch eine „Agnes Cafeteria“ gibt es neben der Kirche. Privat logiert König nun in der ehemaligen Pfarrei.

Zur Straße hin komplettiert mit „Praxes“ noch explizit ein Ort für die Gegenwartskunst das Ensemble. Praxes ist ein nicht kommerzieller Projektraum. Was nicht heißt, hier würde nicht auf professionellem Niveau ausgestellt: Mit dem Briten Chris Evans und dem Berliner Theaterkollektiv Rimini Protokoll ist Praxes während des Gallery Weekends dabei.

Kirchen gleich Kultur

Die Wiederbelebung von St. Agnes als Ort für Kunst- und Kreativwirtschaft illustriert nun paradoxerweise, dass Kirchenbauten immer schon und immer auch Kultureinrichtungen waren. Johann König will sich nach eigenem Bekunden mit dem Gebäudekomplex und seinen Mietern auch zur umgebenden Exgemeinde in der umgebenden Nachkriegssiedlung öffnen. Gerade die auf den ersten Blick so trutzige Architektur könnte dabei helfen. Denn in Wirklichkeit hat Düttmann – vergleichbar seiner Akademie der Künste im Tiergarten oder seinem Brücke-Museum – ein sehr einladendes Ambiente geschaffen: Zugleich solide, menschlich und funktional – wie es heute die glatten Kommerzarchitekturen nicht mehr hinbekommen. Es lohnt sich, das an diesem Wochenende zu entdecken. RONALD BERG

■ St. Agnes / Galerie Johann König, Alexandrinenstr. 118–121 (Kreuzberg). Öffnungszeiten während des Gallery Weekends: Samstag und Sonntag 11–19 Uhr.