ANGST VOR DEM ENDE
: Besser in die Kantine

Wollt ihr Elektro oder lieber mit dem Arsch wackeln?

In der Reihe vor uns sitzt ein ergrautes Ehepaar, er löst noch flugs ein Sudoku-Rätsel, sie poliert ihre Brille. Es ist 19.34 Uhr. Jemand beginnt aggressiv zu klatschen. Das Gorki ist der Punk unter den Staatstheatern, hier fängt man nicht mal pünktlich an. Hier malt man sich die Blusen über die nackten Brüste und steppt den Heiner Müller. Meinetwegen hätte das gar nicht anfangen müssen. Es dauert auch wieder zu lang, jedes Stück scheint Angst vor seinem Ende zu haben, immer kommt noch einer aus den Kulissen gekrochen, da stehen sogar die Toten wieder auf, bekommt jeder noch einen letzten Monolog. Danach brauchen wir dringend ein Bier und was zu essen. In der Kantine sind wir die Ersten. Es gibt Kartoffelsalat, Spaghetti Bolognese und Brezeln. In allen Theatern nagt man früher oder später an einer trockenen Brezel. Ein paar Besucher kommen herein und bleiben nicht lang. Wir holen uns ein zweites Bier, stellen die leeren Flaschen in den Kasten an der Theke, wie befohlen, und ziehen um in den Raucherraum, wo die gesamte Mischpoke sitzt. Es gibt Wodka aus Plastikbechern, jeder ist lauter als der andere, die Barfrau reißt die Tür auf und brüllt: Wollt ihr Elektro oder lieber mit dem Arsch wackeln?

Arsch wackeln!, brüllt es zurück und geht auch gleich los. Die Souffleuse wankt nach Hause. Wir sind die einzigen Gäste, alle anderen gehören dazu. Eine wenig talentierte Schauspielerin, die davon noch nichts ahnt, springt auf den Tisch und biegt den Oberkörper so weit nach hinten, bis ihr langes Haar irgendwem die Nase kitzelt. So ist das: Wer es auf der Bühne nicht bringt, muss in der Kantine auf dem Tisch tanzen. „Happy“ scheppert es aus den Boxen, ihr Hintern kreist und der Kollege steht mit ausgebreiteten Armen auf dem Stuhl und schreit: Ich bin Lars Eidinger! (Das nächste Mal spare ich mir das Theater und komme gleich hierher.)

LUCY FRICKE