Das antimilitärische Gewissen

„Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen“: eine kleine Geschichte des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung zum Tag der Befreiung

Freitag, 8. Mai Jubel-Demo, 17.30 Uhr, S-Bahnhof Köpenick. Im Anschluß ab 19.30 Uhr Diskussion zur Situation Geflüchteter in Europa im Mellowpark, danach Party.

Samstag, 9. Mai Bedingungslose Kapitulation Nazideutschlands, Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus und Tag des Sieges: „Wer nicht feiert, hat verloren!“ 11 bis 22 Uhr, Treptower Park. Programm: neuntermai.vvn-bda.de

„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das im Artikel 4 des Grundgesetztes festgelegt ist, hat nach der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 in Deutschland weiterhin Geltung. Zu einem Zivildienst werden Verweigerer aber seitdem genauso wenig herangezogen wie die Wehrpflichtigen zum Dienst an der Waffe. Die kurze Geschichte des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung, das 1946 in die ersten Landesverfassungen und dann in das Grundgesetz aufgenommen wurde, spiegelt sehr deutlich eine der vielleicht wichtigsten Wandlungen Deutschlands seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Als vor 70 Jahren die Überlebenden der deutschen Konzentrationslager befreit wurden, waren unter ihnen auch viele, die sich als Pazifisten Hitlers Aufrüstung und dem Krieg entgegengestellt hatten – und deren Haltung in dem in Trümmer liegenden Land nun mehrheitsfähig war. Und dafür sorgte, dass neben dem Recht auf freie Religion und Weltanschauung auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung prominenten Verfassungsrang erhielt. „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen“, tönte damals ein aufstrebender CSU-Politiker namens Franz Josef Strauß – um wenige Jahre später als Verteidigungsminister dann Atomwaffen für die 1956 gegründete Bundeswehr zu fordern.

Da sich die Nachfolgerin der deutschen Wehrmacht, die nunmehr nicht mehr auf blinden Führergehorsam, sondern auf den mündigen „Staatsbürger in Uniform“ setzte, anfangs weitgehend aus Freiwilligen zusammensetzte, spielte die Verweigerung anfangs keine statistisch auffällige Rolle. Erst mit der Zuspitzung des Kalten Kriegs in den 1960er Jahren und der zunehmenden Rekrutierung von Wehrpflichtigen steigt die Kdv-Quote deutlich an. Von 1967 auf 1968 verdoppelte sich die Zahl der Verweigerer auf 11.000, vier Jahr später, 1972, verweigerten dann schon über 33.000 junge Männer den Kriegsdienst.

In diesem Jahr stellte auch ich meinen Antrag, nachdem ich zuvor als wehrdiensttauglich gemustert worden war. Unter den etwa 50 Kollegen meines Jahrgangs, die sich gerade auf das Abitur vorbereiteten, waren wir nur zwei, die auf gar keinen Fall zum „Bund“ wollten. Vielleicht ein Dutzend versuchte, mit Simulationen und Attesten der Einberufung zu entgehen, oder war aufgrund von Sehschwächen oder anderer Einschränkungen tatsächlich untauglich, der Rest trat zum Dienst in der Kaserne an.

Als Verweigerer hingegen musste man zu einer Gewissensprüfung vor einem „Prüfungsausschuss“ des Kreiswehrersatzamtes erscheinen, der mit Verhörfragen überprüfte, was man zuvor an schriftlicher Begründung eingereicht hatte. Auf Szenarien wie: „Sie sind mit Ihrer Freundin abends im Park unterwegs und ein Russe mit einem Gewehr bedroht sie. Würden Sie da nicht schießen?“ war man dank verschiedener Erfahrungsberichte und Kdv-Broschüren zwar vorbereitet – unwürdig und inquisitorisch war das Verfahren, das erst 1983 endgültig abgeschafft wurde, dennoch. In diesem Jahr hatten sich schon mehr als 66.000 Wehrpflichtige für einen Zivildienst entschieden, und ihre Zahl stieg stetig weiter.

Als mein Sohn im Jahr 2000 Abitur machte, gingen von den etwa 50 Klassenkameraden nur noch zwei zur Bundeswehr – innerhalb einer Generation hatten sich die Verhältnisse also vollkommen umgekehrt. Im Jahr 2010 dann, dem vorläufig letzten Jahr der Wehr- und Zivildienstpflicht in Deutschland, leisteten insgesamt 77.437 Männer Zivildienst und nur noch 32.673 den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr.

Wenn es nach zwei Weltkriegen im vorigen Jahrhundert einen klaren Indikator für die positive zivilgesellschaftliche Entwicklung Deutschlands gibt, dann sind es wohl diese Zahlen. „Normal“ ist nicht mehr wie in den Jahrhunderten davor der Gang zur Armee und das Versprechen, für „Ehre“, „Vaterland“, „Freiheit am Hindukusch“ oder andere Worthülsen ins Gras zu beißen, „normal“ ist mittlerweile ein politisches Bewusstsein, dass Krieg als Mittel der Konfliktlösung keine Zukunft haben darf – und der beste Wege dahin schlicht in der Verweigerung des Kriegsdienstes besteht.

„Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ – weil diese antimilitaristische Parole ein Stück Realität geworden ist, sieht sich die Bundeswehr zu aufwändigen PR-Maßnahmen gezwungen, um Nachwuchs zu rekrutieren. Doch trotz eines Werbeetats von mehr als 20 Millionen pro Jahr sind nach wie vor Tausende Stellen bei der Bundeswehr unbesetzt. Ein gutes Zeichen.

MATTHIAS BRÖCKERS