Was tun wenn’s brennt?

Die Rote Hilfe fängt AktivistInnen auf, die Repressionen erfahren – etwa in Form von Gefängnis für Spendensammlungen oder Verhaftung wegen Prügelschutz aus Papier

■ Die linke Solidaritätsorganisation mit über 7.000 Mitgliedern bundesweit bietet politische und finanzielle Unterstützung für Menschen, die wegen politischen Aktivitäten Repressionen erfahren. Sie ist in Neukölln (Mittwochs, 19 bis 20 Uhr, Lunte, Weisestraße 53), Friedrichshain (an jedem 2. und 4. Montag, 19 bis 20 Uhr, Daneben, Liebigstraße 34) und bald auch im Wedding zu erreichen.

INTERVIEW SYBILLE BIERMANN

taz: Eure Arbeit gilt laut Selbstdarstellung politisch Verfolgten aus dem linken Spektrum in der BRD. Wie definiert ihr dieses „verfolgt sein“?

Arthur*: Darunter verstehen wir staatliche Repression. Das fängt bei willkürlichen Festnahmen auf Demonstrationen an, wenn Medien verboten werden, wie jüngst die türkische Zeitung Yürüyüs, bei Gesetzesverschärfungen oder wenn Prozesse gegen Aktivist_innen geführt werden.

In eurem Flyer „Was tun wenn’s brennt“ schreibt ihr, dass ihr eine Zunahme staatlicher Repression seht.

Alex*: Repression hat viele Gesichter. Zum Beispiel das Verbot sämtlicher Passivbewaffnung, also Knie- oder Kopfschutz aber auch schon eine Zeitung, die man sich um den Arm wickelt, um den eigenen Körper gegen Polizeiknüppel zu schützen. Das kann bereits unter Strafanzeige gestellt werden. Ein weiterer Punkt ist, dass Demonstrationen massiv abgefilmt werden. Arthur: Zunehmend werden vor Demonstrationen gezielt junge Leute abgegriffen und in Gewahrsam genommen. So will die Polizei junge Aktivist_innen einschüchtern. Eine weitere Entwicklung ist der massive Einsatz von Pfefferspray, der ja mitunter auch tödlich enden kann, wie zum Beispiel vor ein paar Wochen in Nürnberg.

Ihr ratet auch davon ab, Handys auf Demos dabei zu haben?

Alex: Ja, wir werden tatsächlich gerne mal als technologiefeindlich gesehen, das stimmt natürlich nicht. Wir warnen aber davor, dass Bewegungsbilder von einzelnen Personen erstellt werden können und Informationen darüber, wer mit wem in Kontakt steht. Dafür eignen sich auch Soziale Medien. Es geht also darum, es dem Staat nicht unnötig leicht zu machen, Strukturen zu durchleuchten.

Entsteht nicht auch ein Nutzen daraus, dass Polizeigewalt gefilmt werden kann?

Arthur: Viele Verhaltensweisen auf Demonstrationen sind inzwischen potentiell strafbar. Privatpersonen stehen nicht unter Presserecht, damit kann das Material eingezogen werden und andere gefährden. Daher raten wir davon ab, auf Demos oder Aktionen zu filmen. Natürlich hat es auf der anderen Seite das Potential Polizeigewalt öffentlich zu machen, wie das ja momentan in den USA der Fall ist. Wir raten aber nicht dazu, Polizist_innen anzuzeigen. In 99,4% der Fälle wird das Verfahren eingestellt. Die Refugeeproteste in Berlin zum Beispiel werden unverhältnismäßig kriminalisiert.

Alex: Ja, in den letzten 2 Jahren haben wir dort massive Repressionen beobachtet, besonders im Zuge der Belagerung um die G.-H.-Schule. Dann gibt es natürlich die Repressionen gegen die Refugees selbst, auch um den Görlitzer Park herum. Da findet eine Vermengung mit vermeintlicher Drogenkriminalität statt, die von der Polizei dazu genutzt wird, die Proteste zu kriminalisieren und eine weitere Organisierung zu verhindern. Ein prägnantes Bild war die Präsenz von Polizeihunden bei einer von Schülern organisierten Demo letztes Jahr, bei der überwiegend Minderjährige demonstrierten.

Alex: Dass die Mittel der Polizei unverhältnismäßig sind, beobachten wir ständig, das schockiert uns nicht. Dennoch ist es ein Skandal.

Arthur: Skandalisiert wird Polizeigewalt nur wenn es Menschen trifft, die sonst nicht davon betroffen sind. Das beste Beispiel dafür ist Stuttgart 21, als eine an sich bürgerliche Demo angegriffen wurde wie jede linke Demonstration sonst auch.

In eurer Arbeit kommt auch der sogenannten Gesinnungsparagraf 129 zutragen. Was hat es damit auf sich?

Arthur: Der Vorläufer von Paragraf 129 wurde im 19. Jahrhundert eingeführt um Sozialdemokrat_innen zu kriminalisieren. Bei inländischen Organisationen wird er hauptsächlich dazu genutzt, in linken Bewegungen zu schnüffeln und diese zu kriminalisieren. In den wenigsten Fällen kommt es zu Verurteilungen, wobei die Ermittlungen alle Mittel ausschöpfen können, bis zu Methoden geheimdienstlicher Arbeit. 2002 wurde er erweitert und wirkt nun auch für die Unterstützung „ausländischer terroristischer Vereinigungen“, also 129b. Die Frage danach, wer als terroristische Vereinigung gilt, ist natürlich eine sehr politische.

Zur Zeit unterstützt ihr Gülaferit Ünsal, die in der JVA Pankow einsitzt und seit dem 6. 4. gegen ihre Haftbedingungen in den Hungerstreik getreten ist.Arthur: Gülaferit Ünsal wurde nach Paragraf 129b wegen angeblicher Mitgliedschaft in der türkischen DHKP-C verurteilt, einer als terroristische Vereinigung eingestuften Organisation. Konkret wird ihr vorgeworfen, dass sie Spenden gesammelt und Konzerte organisiert hat, also eine an sich legale Handlung, die aber im Kontext von 129b zu jahrelangen Haftstrafen führt.

* Die Namen wurden geändert.