Gestalten im Kollektiv

AUSSTELLUNG Der Architekt und ehemalige Bauhausdirektor Hannes Meyer ist in der Stiftung Bauhaus Dessau zu entdecken

Hannes Meyers ideologischer Überbau brachte ihm fast überall nur Probleme ein

VON RONALD BERG

Hannes Meyer, der Bauhausdirektor von 1928 bis 1930, ist immer noch vergleichsweise unbekannt. Dass Meyer in der Rezeption des Bauhauses hinter den beiden anderen Chefs, Gropius und Mies van der Rohe, bis heute fast verschwindet, liegt vor allem an der dezidiert linksradikalen Haltung des 1889 geboren Schweizers. Das wesentliche Element, was Meyer dem Bauhaus einimpfen wollte, war das „prinzip coop“, wie nun die erste Überblicksausstellung an dessen alter Wirkungsstätte im Dessauer Bauhausgebäude betitelt ist.

Für Meyer, der ursprünglich nur den Architekturunterricht am Bauhaus leiten sollte, war Bauen ein kollektiver Prozess und Architektur sah er im Grunde nur als Resultat eingehender wissenschaftlicher Analysen über die Bedürfnisse und Voraussetzungen für die jeweilige Bauaufgabe. Die Hauptaufgabe während seiner Zeit am Bauhaus war für Meyer die Entwicklung einer „Volkswohnung“. Die Kurzformel lautete „Volksbedarf statt Luxusbedarf“.

Möbel fürs Volk

Ein Beispiel für die Ergebnisse dieser Absicht ist nun in der Dessauer Schau zu Meyer ganz praktisch zu testen. Zusammen mit den Deutschen Werkstätten Hellerau hat die Stiftung Bauhaus Dessau den als Möblierung für die Volkswohnung gedachten Tisch und einen Hocker nachbauen lassen. Die schlichten, ja minimalistischen Holzmöbel widersprechen den gängigen Klischees eines chromblinkenden Bauhaus-Stils auf heftigste.

Für Meyer war nicht Stahlrohr, sondern Holz das bevorzugte Material im Möbelbau, weil es viel billiger war und einfacher in der Herstellung. Auch im Design zielte Meyer durch Materialeinsparung und konstruktive Effizienz auf Verbilligung, damit sich das Volk – für Meyer in erster Linie die Arbeiterklasse – modern einrichten konnte. Der „Volkswohnungs“-Tisch mit seinen kreuzförmigen Beinen ist solide, aber unspektakulär wie der dazugehörige Hocker mit seiner Stoffbespannung als Sitzfläche. Die Arbeiterschaft war aber an derlei minimalistischem Design nicht interessiert. Die eigentlich für die Massenproduktion gedachten Volksmöbel kamen im Grunde über das Stadium von Prototypen nie hinaus.

Das beste Beispiel, sich die Prinzipien und die Ästhetik von Meyer vorzustellen, bietet noch heute die ADGB-Schule in Bernau. Meyer selbst lehnte den Begriff Ästhetik ab. Die von ihm zusammen mit Hans Wittwer während seiner Bauhausjahre gebaute Schule für den Gewerkschaftsbund nordöstlich von Berlin ist aber zugleich so etwas wie ein Gegenentwurf zu Gropius’ Bauhaus-Gebäude in Dessau.

In der Schau in Dessau vermittelt sich das leider nur bedingt durch ein Holzmodell und einige Fotografien der Schule aus der Bauphase. Das Prinzip Coop verwirklichte sich hier ganz praktisch, indem Studenten des Bauhauses – die sogenannten Vertikalbrigaden quer durch alle Semester – mit Hand anlegten. Die ADGB-Schule war praktischer Unterricht und zugleich Integration der Studenten in das Kollektiv der Bauarbeiter und Planer. Die ganze Anlage in Bernau mit ihren Schlaftrakten, Lehrerwohnhäusern, Seminarräumen, der Sporthalle und dem Speisesaal atmet eine Heimeligkeit im besten Sinne, die dem Gropius’schen Gebäude in Dessau, eigentlich ein Gedankengebäude im Industriegewand, abgeht. Das fängt schon damit an, dass Meyer bei der ADGB-Schule Architektur und Landschaft aufeinander bezieht. Die gezackte, Z-förmige Gebäudekette gruppiert sich um einen See und schmiegt sich an einen leicht anfallenden Hang.

Überall umfließt Kiefernwald das Gebäudeensemble, während Gropius in Dessau nur Freiflächen mit Rasen um sein Bauhaus-Gebäude duldete. Auch beim Material, dem unverputzten Backstein, öffnet sich Meyer zu Erde und Landschaft, während Gropius die Neutralität glatter weißer Wände bevorzugt. „Landschaft“ – neben Lehre, Gesellschaft und Architektur – ist nun eines der vier großen Themen der Dessauer Meyer-Ausstellung. Nur lässt sich durch Zeichnungen und Fotos kaum wirklich erahnen, was Meyer mit dem Satz meinte: „als gestalter erfüllen wir das geschick der landschaft.“

Um sich Meyer ästhetisch anzunähern, versucht man es mit einer Reprise der von ihm gestalteten Wanderausstellung des Bauhauses von 1929/30. Rohe Holztafeln und minimalistisches Design sind nun auch aktuell das Mittel der Wahl. Das Problem ist nur, dass Meyer als Person dadurch auch nicht wirklich plastisch wird. Vielleicht war es sogar Absicht, keine Personalausstellung im üblichen Sinne zu machen, gerade im Hinblick auf die dominierende Rolle des Kollektivs in der Konzeption von Meyer. Die wenigen Arbeiten von Meyers eigener Hand in der Ausstellung sind eine schwarzweiße, konstruktive Grafik und eine Architekturzeichnung des Entwurfs zum Völkerbundpalast in Genf von 1927. Beide verzichten schon von sich aus auf eine individuelle Handschrift. Gegen den übermächtigen Gropius, der Meyer systematisch aus dem Andenken ans Bauhaus radieren wollte, und vor allem gegen das Gropius’sche Bauhaus-Gebäude als Ausstellungsort kommt der zweite Bauhauschef in der aktuellen Ausstellung jedenfalls nicht recht zum Zuge.

Kette des Scheiterns

Zwar funktionierten Meyers Gebäude praktisch besser als zum Beispiel das im Winter zu kalte und im Sommer zu heiße Bauhaus-Gebäude von Gropius. Aber die von Meyer postulierte Haltung, aufgrund wissenschaftlicher Grundlagen etwa aus Diagrammen von Sonnenstand und monatlichen Temperaturschwankungen gleichsam eine passende Fassade und eine angemessene Raumtiefe zu entwickeln, ist natürlich materialistische Ideologie. Die Gestaltung wird auch bei Meyer letztlich im Sinne der Ästhetik vollendet, auch wenn sich der Architekt das nicht selbst eingestehen wollte.

Deshalb sieht auch die für die Organisation der Bauhauslehre entwickelte und in Dessau ausgestellte Grafik bereits schön und elegant aus, als wäre sie ein Kunstwerk. Aber kein noch so schöner Plan kann sämtliche Faktoren zur Lösung etwa von wohnlichen Bedürfnissen berücksichtigen, zumal diese ja bei jedem Menschen individuell verschieden ausfallen.

Dass Meyer sich mit seiner kommunistischen Haltung bei der Stadt Dessau unbeliebt machte und schließlich 1930 als Bauhausdirektor fristlos entlassen wurde, begründete sich allerdings nicht durch die Ablehnung seiner fachlichen Lehre oder seiner Architektur. Vielmehr wollte die Stadt das vonseiten der politischen Rechten als kommunistische Kaderschmiede verschriene Bauhaus aus ideologischen Kämpfen heraushalten.

Meyers Architekturentwürfe sind nicht bloße Illustration kollektivistischer Ideen, sondern fußen mindestens genauso auf ein „Feeling“ für Proportion und Materialität. Und gerade diese Ästhetik macht Meyer zu einer großen Figur, während sein ideologischer Überbau ihm fast überall nur Probleme einbrachte.

Die Kette seines Scheiterns hört nämlich nach dem Rauswurf in Dessau nicht auf: In Russland konnte er 1936 noch vor den großen Säuberungen fliehen, in Mexiko wechselte 1939 die Regierung, die ihn ins Land geholt hatte, und in der Schweiz konnte er auch nur in den dreißiger Jahren noch etwas bauen. Es war bezeichnenderweise ein Kinderheim. Meyers eigener Aufenthalt in einem Waisenhaus wird wohl auch die Entscheidung für Idee des Kollektivs als (geistige) Heimat mitbestimmt haben.

■ „das prinzip coop – Hannes Meyer und die Idee einer kollektiven Gestaltung“, Stiftung Bauhaus Dessau, bis 4. Oktober