Rock it, Kohlhaas

THEATER Yael Ronen inszeniert am Maxim Gorki Theater „Das Kohlhaas-Prinzip“ mit großer Lust am Spiel auf der Bühne. Der Stoff büßt aber an Widersprüchlichkeit ein

VON MIRJA GABATHULER

„Tapfer sein reicht nicht aus, man muss auch mal wütend sein“, brüllt Dimitrij Schaad ins Mikrofon. Sein scheinbar improvisierter Monolog, unterlegt mit „Paint It Black“ von den Rolling Stones, bildet den Auftakt von Yael Ronens Inszenierung „Das Kohlhaas-Prinzip“, die am Samstag am Maxim Gorki Premiere feierte. Während der folgenden 90 Minuten bleibt das Darsteller-Quintett in voller Fahrt.

Michael Kohlhaas, laut Heinrich von Kleists Novelle „einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“, wird in Yael Ronens freier Bearbeitung in die Gegenwart versetzt. Auf der Bühne tauscht er (gespielt von Thomas Wodianka) dafür Kaufmanns-Mütze gegen Fahrradhelm und verwandelt sich vom Pferdehändler aus dem Havelland zum selbst ernannten Entrepreneur für Elektrofahrräder im hippen Friedrichshain. Die Darsteller geben sich gegenseitig die Stichworte und skizzieren Kohlhaas als Ökobürger, wie er im Buche steht: dem Zeitgeist des 21. Jahrhundert entsprechend, trennt Kohlhaas fein säuberlich seinen Bioabfall und ernährt sich vegan.

Bis der Unbescholtene mit seinem Sohn vom Firmenboss Hans-Joachim von Tronka (von Dimitrij Schaad als aalglattes Milliardärssöhnchen verkörpert) im gepanzerten Luxus-BMW angefahren wird und gegen verschlossene Türen anrennt, als er auf juristischem Weg eine Entschuldigung verlangt. Kurzerhand nimmt der Geprellte das Recht in die eigene Hand und startet eine Kampagne. Mit Stinkbomben versetzt er von Tronkas Partyfreunde in Angst und Schrecken und erntet dafür auf Facebook 15.000 Likes. Von Kohlhaas inspiriert, fordert eine anonyme Gruppe „Gerechtigkeit für alle“ und verübt Terroranschläge auf Luxushotels.

Sündenbock durch Zufall

Die Geschichte überlagert sich mit der des palästinensischen Käsehändlers Mikhael (in mehreren Rollen mit beeindruckender Strahlkraft: Taner Sahintürk), der vom israelischen Militär schikaniert wird. Von den eigenen Freunden als Kollaborateur beschimpft, flieht er als illegaler Einwanderer nach Berlin, wo er durch Zufall zum Sündenbock der Kohlhaas-Affäre wird.

Während die Handlung zwischen Orten und Zeiten hin und her springt, ziehen die fünf Schauspieler entsprechende Requisiten aus einer Schrotthalde, die den Kern des Bühnenbilds von Heike Schuppelius bildet. Der Einfallsreichtum ist beachtlich: Um einen Unfall zu inszenieren, reichen etwa zwei Handscheinwerfer, eine Nebelmaschine und eine Handvoll Geräuscheffekte aus. Kohlhaas’ Sohn wird dabei durch eine Puppe ersetzt, die Jerry Hoffmann hochkonzentriert führt.

Es ist diese kindliche Freude am Spiel mit Rollen und Bühnenelementen, die den Schauspielern eine ansteckende Energie verleiht. Der Saal reagiert auf die fantasievollen und komischen Arrangements, es wird gelacht und applaudiert. Der Bühnenraum wird als Ort der Spielfreude gefeiert, ohne die politischen Implikationen des Stoffes aus den Augen zu verlieren.

Yael Ronen, die zuletzt mit dem Balkankriegs-Stück „Common Ground“ am Theatertreffen zu Gast war, versteht sich darauf, sich hochpolitischen Stoffen mit Leichtigkeit und Selbstironie anzunähern. Die Kernfragen von Kleists Novelle verlieren durch die bewusst eingesetzten ironischen Brechungen aber nicht an Sprengkraft, scheinen die Zuschauer dadurch sogar unvermittelter zu treffen.

Schön zu sehen etwa in der Szene, in der Wodianka als Kohlhaas „Paint It Black“ ins Mikrofon schmettert, während im Hintergrund Aufwiegler mit Guy-Fawkes-Masken das Bühnenbild in Flammen setzen. Ein Funke Revoluzzergeist springt auch aufs Publikum über: Für den Mann, der auf der Bühne zum Fanatiker wird und eine Wortsalve nach der anderen gegen das System abfeuert, gibt es spontanen Szenenapplaus. Ein besseres Bild für die Solidarität mit dem kleinen Mann, der seiner großen Wut ihren Lauf lässt, hätte keine Dramaturgie sich ausdenken können: Michael Kohlhaas, gefeiert wie ein Rockstar.

Das Manifest, das Kohlhaas dabei in der Pose des Rebellen vorträgt, klingt wie eine lose Aneinanderreihung von Versatzstücken aus antikapitalistischen 1.-Mai-Parolen und der Anti-Establishment-Propaganda von Pegida. Das hatten wir doch alles schon einmal, auf diese Aussage hin spitzt sich Yael Ronens Kohlhaas-Interpretation zu. Die von Tronkas, die skrupellosen und von egoistischen Trieben geleiteten Mächtigen dieser Welt, gibt es heute wie gestern, während der einfache, rechtschaffene Bürger sich gegen deren Willkür nur empören kann.

Latent aggressiv

Widersprüche der Kohlhaas-Figur klingen bei Yael Ronen nur zugunsten einer komischen Verzerrung an, wenn er etwa seinen Sohn wiederholt latent aggressiv zurechtweist. Am Ende liefert er sich aber großmütig selbst ans Messer. „Das Kohlhaas-Prinzip“ weicht hier markant von Kleists Novelle ab, wo dem tugendhaften Terroristen am Ende für seine Taten der Prozess gemacht wird. Dadurch werden aber gerade die Ambivalenzen, die den Pferdehändler Kohlhaas unsterblich gemacht haben, getilgt. Diese moralische Aufladung auf der Zielgeraden bleibt den Zuschauern am Ende, nach einem ehr lustvoll inszenierten und hervorragend besetzten Stück, im Hals stecken.

■ Nächste Aufführungen: 4. 6., 14. 6.