DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Wütende Beine

WAS SAGT UNS DAS? Im Minirock zum Juraexamen? Geht nicht, hieß es in Algier. Gibt’s nicht, sagen jetzt die Frauen. Doch die Reaktion schläft nicht

Es war eine ungewöhnliche Kundgebung am Samstagnachmittag auf der Avenue Habib Bourguiba im Stadtzentrum von Tunis. Ein Dutzend Frauen fanden sich im Minirock ein. „Aus Solidarität mit den algerischen Frauen“, erklärten sie den verdutzten Passanten. Zu der Aktion hatten sie unter dem Motto „Alle im Minirock“ auf Facebook mobilisiert.

Der Grund ist im benachbarten Algerien zu suchen. Dort sorgt der Minirock 50 Jahre nach Erscheinen für Aufregung: Vor genau einem Monat wurde seitens der Jurafakultät in Algier einer Studentin der Zutritt zum Examen verweigert. Sie trug einen Rock, der die Knie nicht bedeckte.

Der Rektor der Universität erklärte: „Niemand muss in Burka oder verschleiert erscheinen, aber dezent gekleidet schon.“ Die Universität sei schließlich „ein Ort der Kultur“. Mit Diskriminierung habe der Ausschluss vom Examen nichts zu tun.

Viele Algerierinnen sahen dies anders. Nur wenige Stunden nachdem eine Nachrichten-Website vom Vorfall berichtete, erstellte die Filmemacherin Sofia Djama unter dem Titel „Meine Würde hat nichts mit der Länge meines Rocks zu tun“ eine Facebookgruppe und forderte ihre Geschlechtsgenossinnen auf, „wütende Beine“ zu veröffentlichen. In wenigen Tagen schlossen sich knapp 16.000 Internauten der Gruppe an und posteten ihre Bilder. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Djamas Seite wurde gehackt, in den algerischen Moscheen und im Netz formierte sich eine Gegenkampagne. Unter dem Motto „Sei ein Mann“ rufen konservative Gläubige und Islamisten die Männer auf, „ihre Frauen“ zu verschleiern. Es gehe schließlich um die Ehre und den Anstand einer ganzen Gesellschaft. „Die Inquisitoren sind zurück“, titelte die wichtigste frankophone Tageszeitung in Algerien, El Watan, empört. REINER WANDLER