Ein deftiger Schuss Polemik

DER ADFC MACHT DRUCK

Es gab einmal – die Älteren werden sich erinnern – einen Radverkehrsbeauftragten in Berlin. Der sollte ein offenes Ohr für alle FahrradfahrerInnen haben und ihre Belange in den Planungsprozess der Verwaltung einbringen. Es war ein Job für Workaholics, denn als Ehrenamt wurde er nicht richtig bezahlt. Nicht mal ein eigenes Büro hatte der Fürsprecher der Pedalisten.

Umgekehrt wussten Letztere oft nicht genau, mit wem sie es eigentlich zu tun hatten: Die Nähe des Beauftragten zur Verwaltung bewirkte, dass er gegenüber der eigenen Lobbygruppe beschwichtigend auftrat. Einer, der den Job jahrelang machte, wurde uns Journalisten gegenüber immer ganz fuchsig, wenn wir schrieben, dass in Sachen Fahrrad nicht alles rundlief. Dabei war er gleichzeitig ADFC-Chef.

Seit 2012 ist der Posten vakant. Allen Beteiligten ist klar, dass das Ehrenamtsmodell in einer Stadt vom Ausmaß Berlins nicht funktioniert. Ein Beauftragter muss von diesem Amt leben können. Aber Berlin hat ein Ressourcenproblem. Besser gesagt: Die für den Radverkehr zuständigen Planer und Verwalter haben eins.

Umso erfreulicher, dass sich jetzt der ADFC selbst aufs Hinterrad stellt: Die oft recht zahme Organisation wirft dem Senat Untätigkeit und Knauserei vor, indem sie ihm vergangene Woche – ungefragt – ein „Umsetzungskonzept“ für seine seit 2013 geltende Radverkehrsstrategie präsentierte. Darin fordert der Fahrrad-Club letztlich eines: viel mehr Geld. Für Experten in der Senatsverwaltung, in den Bezirken, bei Verkehrslenkung und Polizei.

Der Senat will den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. Im Hause von Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) rechnet man vor, dass der Radverkehr viel mehr Geld bekommt als vom ADFC behauptet. Nur stehe auf den jeweiligen Töpfen nicht immer groß und breit „Fahrrad“.

Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Jedenfalls ist es gut, dass wieder gestritten wird. Gerade vor den Wahlen im kommenden Jahr kann die Debatte einen Schuss Polemik gebrauchen. CLAUDIUS PRÖSSER