Häuser von allen für alle

GRUPPENDYNAMIK In vielen Städten ist Wohnraum knapp und teuer. Genossenschaftliche Baugruppen gelten als Modell, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Doch sie können Neubauprojekte finanziell nur schwer stemmen

■ Eine Gruppe tut sich zusammen, um gemeinsam ein Haus zu bauen, statt separat Eigentumswohnungen zu kaufen.

■ Diese Bauherrengemeinschaft geht damit hohe finanzielle Verpflichtungen ein und muss auch Entscheidungen im Baubetrieb treffen. Ein Gesellschaftsvertrag regelt die (finanziellen) Verpflichtungen der Gruppe und ihrer Mitglieder.

■ Die Gruppe beauftragt in der Regel Experten, zum Beispiel Architekten, um das Projekt sowie den Bau zu planen.

■ Die Kosten liegen deutlich unter den üblichen Immobilienpreisen, weil selbst organisierte Baugruppen die Gewinnmarge sparen, die sich Projektentwickler in die Tasche stecken.

■ Ist das Haus fertig und bezogen, betreibt die Gruppe es als Wohnungseigentümergemeinschaft oder als Genossenschaft. Es gibt auch Mischformen. (lk)

VON LARS KLAASSEN

Vor allem in den Städten steigen die Mieten seit Jahren stark an. Oft ist die Nachfrage größer als das Angebot. Neubau soll das Gleichgewicht wiederherstellen, aber der Staat kommt nicht hinterher. Als Alternative zu Immobilieninvestoren gelten Projekte von privaten Baugruppen: Bürger schaffen sich ihren Wohnraum selbst. Wenn dabei Eigentumswohnungen entstehen, trägt das zur sozialen Mischung aber wenig bei. Genossenschaftliche Projekte hingegen können den Spagat zwischen ökonomischen Hürden und sozialem Anspruch meistern – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

„Die Zahl gemeinschaftlicher Wohnprojekte ist in den vergangenen Jahren gestiegen – sowohl insgesamt als auch in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG).“ Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Neues Wohnen – Gemeinschaftliche Wohnformen bei Genossenschaften“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Die Mehrzahl der darin untersuchten Wohnprojekte ist im Neubau realisiert worden.

„In keiner anderen Trägerform verbindet sich die soziale Utopie vom Leben in der Gemeinschaft so eng mit einem konkreten Rechtsmodell“, sagt Constance Cremer, Projektleiterin der Netzwerkagentur GenerationenWohnen und Geschäftsführerin der Stadtentwicklungsgesellschaft Stattbau. „Die rechtliche Übereinstimmung von Eigentümer und Nutzer sowie der Verzicht auf Profit zugunsten des Förderprinzips ebnet den Weg zu langfristig bezahlbarem Wohnraum.“

München etwa vergibt an Genossenschaften und Baugemeinschaften eigene Flächenkontingente

Eine besonders vielfältige Landschaft von Genossenschaften hat Berlin. Um die Genossenschaften zu ermuntern, weiter zu bauen, hatte die Senatsverwaltung 2012 einen Neubauwettbewerb ausgerufen. Ende 2014 folgte die zweite Runde. Der Titel lautet: „Generationenwohnen – Wohnen in Gemeinschaft“. Den ersten Preis, dotiert mit 50.000 Euro, erhielt Ende vergangenen Jahres ein Projekt der Gemeinnützigen Baugenossenschaft Steglitz, die elf Wohnhäuser bauen will. Darin sollen 192 Wohnungen 36 bis 108 Quadratmetern entstehen sowie Gemeinschaftsflächen und ein Nachbarschaftsgarten. Der durchschnittliche Mietpreis wird mit 8,50 Euro pro Quadratmeter kalkuliert. Das ist für einen Neubau sehr günstig, liegt aber über dem Berliner Mittel.

Selbst Genossenschaften tun sich generell schwer, wirklich günstigen Wohnraum zu schaffen: „Mit Neubau sind relativ hohe Baukosten verbunden, die sich in der Höhe der Pflichtanteile bei den Projektgenossenschaften und bei den Nutzungsentgelten in beiden Formen niederschlagen“, so die BBSR-Studie. „Solche Kosten stehen allerdings in Relation zur Qualität der Wohnprojekte“, sagt Barbara von Neumann-Cosel, Geschäftsbesorgerin des Genossenschaftsforums. „Genossenschafen bieten in dieser Hinsicht meist ein überdurchschnittliches Niveau.“

Ein Bauprojekt überhaupt zu stemmen, schaffen ohnehin nicht alle. „Kleine Genossenschaften – mit einem Wohnungsbestand deutlich unter 1.000 Wohnungen – würden gern mehr bauen, mehr Grundstücke der Bodenspekulation entziehen, mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen“, sagt Angelika Noß, Verbandsdirektorin des Prüfungsverbands der kleinen und mittelständischen Genossenschaften. „Dem stehen aber deutlich Hindernisse im Weg. So werden städtische Grundstücke in der Regel entweder bevorzugt an stadteigene Wohnungsbaugesellschaften oder zum Höchstgebot an Investoren veräußert.“ Kleinere Nachfrager mit einer schwachen Eigenkapitaldecke hätten das Nachsehen.

Nicht nur die kleinen kämpfen mit ökonomischen Hürden. Eines der größten genossenschaftlichen Wohnungsbauprojekte in Berlin musste Ende vergangenen Jahres einen Baustopp verhängen: Im Kreuzberger Möckernkiez sind 15 Gebäude geplant, in denen 464 Wohnungen entstehen sollen, außerdem ein Hotel, ein Biomarkt und eine Kindertagesstätte. Die Baukosten wurden 2007 mit 80 Millionen Euro angegeben. Mittlerweile liegen die Schätzungen bei 124 Millionen. Es kam zu Auseinandersetzungen mit Banken, wie schnell Kredite zurückgezahlt werden sollen. Mieten, die ursprünglich zwischen sieben und elf Euro kalt pro Quadratmeter veranschlagt worden sind, müssen deutlich höher kalkuliert werden – wenn es denn weitergeht. Je länger sich das Vorhaben zieht, desto teurer wird es. Genossenschaftler, die schon an die 100.000 Euro in das Projekt gesteckt haben, bekommen Angst um ihr Geld.

Neubau ist teuer, kleinere Projekte mit schwacher Eigenkapitaldecke haben das Nachsehen

Gesellschaftlich ist es erwünscht, dass nicht ausschließlich wohlhabende Menschen sich in Genossenschaften engagieren, weil unter anderem das soziale Gefüge der Stadt dadurch stabilisiert wird. „Um solches Engagement zu stärken, sollte die öffentliche Hand mehr tun, denn derzeit bleibt zu vielen Bürgern dieser Weg aufgrund der ökonomischen Hürden versperrt“, sagt Rolf Novy-Huy. Der Geschäftsführer der gemeinnützigen Stiftung Trias für Boden, Ökologie und Wohnen hat einerseits die Vergabe von Grundstücken im Blick, darüber hinaus aber auch die Finanzierung: „Ein Null-Zins-Darlehen etwa würde vielen Genossenschaften Neubauprojekte ermöglichen – und der gesellschaftliche Mehrwert wäre ebenfalls garantiert.“

Solche Instrumente gibt es bereits. Zum Beispiel in München: Genossenschaften und Baugemeinschaften erhalten bei den Ausschreibungen in den großen städtischen Planungsgebieten eigene Flächenkontingente. Ausschreibungsverfahren werden auf Genossenschaften zugeschnitten. Auch die Genossenschaftseinlage, ein zins- und tilgungsfreies Darlehen von bis zu 750 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche wurde beschlossen. Trotz solcher Schritte sind Bedarf und Wille, in den deutschen Ballungsräumen genossenschaftlich zu bauen, aber noch deutlich größer, als die ökonomische Realität es zulässt.