Wider die pinke Camouflage

Homofreundlichkeit aus der falschen Ecke ist beim „kleinen CSD“ in Kreuzberg nicht erwünscht. Die OrganisatorInnen des KCSD sagen: „Queer bleibt radikal“

■ Phillip Schumann von der Rattenbar und Tülin Duman vom Südblock sind dieses Jahr im jährlich wechselnden Orga-Team. Auch das gehört zum KCSD: Ein Stammteam gibt es nicht – nicht zuletzt um Zugänge offen und niedrigschwellig zu halten.

INTERVIEW SYBILLE BIERMANN

„Oldschool lesbisch, hipster queer, polit trans*?“ Berlins queere Identitäten, betont der Aufruf zum diesjährigen Kreuzberger CSD (KCSD), sind vielfältig und ständig in Bewegung. So auch die politischen Positionen innerhalb der Szene. Vor 18 Jahren vom etablierten Ku’damm-CSD abgestoßen, hat sich der KCSD als radikalere Alternative entwickelt. Sponsoren, Parteikuscheleien und Fürsprechertum werden abgelehnt. Vor allen Dingen ist mensch offen für Veränderungen. Als sich die Orga vor zwei Jahren mit der Kritik konfrontiert sah, es würde auch hier eine mehrheitlich weißes, rassistisches Bild gezeichnet, stand die Veranstaltung fast vor dem Aus. Seither wurde aus dem Transgenialen CSD der KCSD, mit viel Willen zu Veränderung und Selbstkritik. Dieses Jahr steht der KCSD unter dem Motto „Keine pinke Camouflage – Queer bleibt RADIKAL“.

taz: Könnt ihr rückblickend Bilanz ziehen, was sich seit eurer Abspaltung vom „großen“ CSD verändert hat?

Tülin: Die queere Welt in Berlin ist vielfältig. Es ist immer einfach zu sagen, da ist der Mainstream und hier die Alternativen. Was der Transgeniale CSD damals verkörpert hat, ist aber weiter relevant, nämlich die Stimmen derer, die nicht so ins Bild passen. Wir werden immer noch als Spalter und Unzufriedene wahrgenommen.

Phillip: Ich sehe das nur vordergründig gegeben, Berlin verträgt zwei CSDs. Einiges, was der damalige Transgeniale CSD angestoßen hat, ist mittlerweile im Mainstream-CSD angekommen, also ein größeres Verständnis von Genderrollen und für wen man da eigentlich demonstriert.

Tülin: Dennoch muss man sagen, dass viele von uns prinzipiell nicht zum großen CSD gehen. Dort werden Themen zwar aufgegriffen, aber nur oberflächlich. Dieses Jahr zum Beispiel mit „Refugees Welcome“. Dabei haben die gar nichts mit der Bewegung zu tun, es wird nicht verkörpert, wenn man sich Teilnehmer oder Vorstand ansieht. Die Zeiten, in denen man sagen kann, wir haben niemanden gefunden mit diesem oder jenem Background, sind vorbei. Wenn diese Leute also nicht selbst präsent sind, dann stimmt etwas mit dem Zugang nicht.

Daher auch euer Motto „Keine pinke Camouflage“? Aktuell gab es ja Debatten wegen einer Kuss-Aktion und des Plakats des Lesbisch-Schwulen Stadtfests, auf dem sich eine Lesbe und eine Muslima küssen.

Phillip: Es gibt in der Szene immer noch dieses Bild, dass es in Neukölln und Kreuzberg gefährlich sei, wegen Türken und Arabern und in Marzahn wegen Russen und Vietnamesen. Das hat mit der Realität nichts zu tun.

Tülin: Es wird nach unten getreten, und das hat Auswirkungen. Wenn zum Beispiel der schwule Verein Maneo eine Kuss-Aktion am Kotti veranstaltet, dann ist das Aktionismus auf Kosten anderer. Die Konsequenzen werden nicht bedacht. Das spiegelt sich im Sprachgebrauch wider oder darin, dass in Schöneberg „Bürgerbewegungen“ ausgerufen werden. Da gibt es seit Jahren eine Angstdebatte, die medial funktioniert, aber mit Emanzipation nichts zu tun hat.

Die Reaktion auf die Kritik am Stadtfest war, man könne wohl immer alles nur falsch machen. Wieso die Abwehrhaltung?

Tülin: Gute Frage, ich glaube, da geht es auch um Gelder und Machtpositionen.

■ Samstag, 27. JuniAuftaktkundgebung am Oranienplatz (Refugee-Infopoint) um 16 Uhr, danach bewegt sich der KCSD vom Oranienplatz über Moritzplatz, Prinzenstraße, Ritterstraße, Skalitzer Straße, Kottbusser Tor zum Heinrichplatz, an dem es eine Abschlusskundgebung mit zahlreichen Redebeiträgen, Musik und Performances bis etwa Mitternacht geben wird.

Phillip: Letztes Jahr war zum Beispiel auch die AfD mit einem Stand auf dem Stadtfest vertreten, um gemeinsam mit den Schwulen gegen die Islamisten zu kämpfen.

Tülin: Die AfD hat im Nachhinein erklärt, sie habe an dem Tag weitaus mehr Unterschriften sammeln können als erwartet. Da wird dann eben an vorhandene Positionen in der Szene angeknüpft, auch dort gibt es die klassische Sarrazin-Haltung: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Es gibt keine ernsthafte Auseinandersetzung, daher die Reaktion vom Stadtfest.

Queer ist hip geworden, auch in Kreuzberg. Was bedeutet das für den KCSD?

Tülin: Dieser Trend, das cool zu finden oder sich so bezeichnen, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ist natürlich schade, weil die Begriffe und Lebensrealitäten damit leerer werden. Auch deswegen unser Untertitel „Queer bleibt Radikal“.

Phillip: Kreuzberg ist Gastgeber, es kommen aber Menschen aus ganz Berlin. Die Gentrifizierung ist in Kreuzberg immer zu merken, hat aber den KCSD bisher nicht verändert. Dafür nehmen neue Gruppen teil, wie die griechische Queergruppe SoliTsoli, die eigene antikapitalistische Standpunkte mit einbringen.