Kim rasselt weiter

Chinesen wollen im Konflikt vermitteln. Südkoreaner kritisieren harte Haltung der USA. Beobachter: Pjöngjangs Strategie ist wohl überlegt

TOKIO taz ■ Nach der Drohung Pjöngjangs, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen, forderte gestern der russische Außenminister Igor Iwanow Nordkorea zur Einhaltung der Verpflichtungen auf. Der neue Generalsekretär der chinesischen KP und vermutliche Nachfolger von Staatspräsident Jiang Zemin, Hu Jintao, bot sich beim Besuch Bundeskanzler Gerhard Schröders in Schanghai als Vermittler in der Nordkorea-Frage an. Aus Regierungskreisen verlautete, auch China vertrete den Standpunkt, Pjöngjang müsse die Übereinkunft mit den USA über den Abbau der nuklearen Kapazitäten einhalten. Hu habe angeboten, seine besonderen Beziehungen zu Nordkorea zur Lösung einzubringen.

In Südkorea ist Washingtons harte Haltung auf wenig Zustimmung gestoßen. In Seoul bezeichnete der scheidende südkoreanische Präsident Kim Dae Jung eine Isolation des Nordens als „wenig Erfolg versprechend“ und erklärte, dass Südkorea an der Entspannungspolitik festhalte. „Wir können nicht gegen Nordkorea Krieg führen und auch nicht zum Kalten Krieg und extremer Konfrontation zurückkehren“, sagte Kim.

Seoul interpretiert die jüngsten Drohungen Nordkoreas als eine kühl kalkulierte Strategie Pjöngjangs, um Washington an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die jüngsten Schritte folgen einem wohl überlegten Plan. Ein ähnlich lautes Säbelrasseln wurde bereits 1994 angewandt.

Gemäß dem Politikwissenschaftler Yu Suk-ryol vom Institut für Außenpolitik in Seoul haben die Nordkoreaner noch viele Karten in der Hinterhand und viel Zeit, um sie gegen die USA auszuspielen. Nachdem die Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde IEAO heute das Land verlassen müssen, sei die am Sonntag erfolgte Drohung mit dem Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag der nächste vorhersehbare Schritt gewesen. Der Entfernung von abgebrannten Brennstäben aus den Kühlbehältern könnte die Inbetriebnahme einer weiteren, ebenfalls stillgelegten Aufbereitungsanlage für atomwaffenfähiges Plutonium in der Nähe von Pjöngjang folgen.

ANDRÉ KUNZ