Stichwahl in Argentinien: Kirchner-Lager befürchtet Niederlage

Der konservative Präsidentschaftskandidat Macri liegt vor der Stichwahl am Sonntag in Führung. Das könnte zu einem Machtwechsel in Argentinien führen.

Mauricio Macri bei einer Wahlkampfrede

Wirkt wie ein Schlagersänger: Präsidentschaftskandidat Mauricio Macri. Foto: reuters

BUENOS AIRES taz | Am Sonntag fällt in Argentinien die Entscheidung. Zum ersten Mal bestimmen die 32 Millionen Wahlberechtigten ihren Präsidenten in einer Stichwahl. Daniel Scioli, Kandidat der peronistischen Regierungspartei Frente para la Victoria, war im ersten Wahlgang auf 37 Prozent der Stimmen gekommen, Mauricio Macri vom rechten Parteienbündnis Cambiemos auf 34 Prozent. Vor der Stichwahl allerdings sehen alle Umfragen Macri vorn, den amtierender Bürgermeister der Hauptstadt.

Vielen macht die Wahl Angst. In La Matanza etwa, dem größten Bezirk der Provinz Buenos Aires, standen auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2001 Tausende von Arbeitslosen auf der Straße und boten sich als Tagelöhner an. Heute geht es im Stop-and-go vorbei an den zahlreichen kleinen industriellen Schuh-, Textil- und Metallbetrieben, in denen viele wieder Arbeit gefunden haben.

„Damals lebten wir buchstäblich von der Hand in den Mund“, erzählt Román Rodriguez. Der 24-Jährige studiert Wirtschaftswissenschaften an der Universidad Nacional de La Matanza. „Dank der Kirchnerpolitik haben meine Eltern wieder Arbeit gefunden, und deshalb kann ich auf die Uni“, sagt Román. Die Stichwahl bereite ihm schlaflose Nächte, wie so vielen.

„Die Politik der Kirchners war eine großangelegte keynesianische Nachfragepolitik, Kaufkraftsteigerung durch Subventionen und Anreize auch für die unteren Schichten, flankiert mit Sozialprogrammen, finanziert durch den Boom der Rohstoffpreise.“ Aber es sei nicht genug investiert worden.

Ziehkinder der neoliberalen Ära

Heute sind die Rohstoffpreise gesunken und damit die staatlichen Exporteinnahmen. „Egal ob Scioli oder Macri, das Pendel wird zur liberalen Angebotspolitik umschlagen.“ Es werde Einsparungen geben und Kredite für Investitionen müssten aufgenommen werden. Möglich, dass Scioli das sanfter mache als Macri. Möglich auch, dass Scioli mehr auf eine nationale Entwicklung setze und Macri keine Berührungsängste mit dem Internationalen Währungsfonds hat. Beide aber seien politische Ziehkinder der neoliberalen Ära von Carlos Menem, und der sei schließlich auch mit sozialen Versprechungen gestartet.

An der Avenida Luro in Laferrere steht Sebastián Apablaza und macht Wahlkampf für Mauricio Macri. In der größten Siedlung des Bezirks leben 200.000 Menschen. „Unterschicht“, sagt der 38-Jährige. Vier von zehn Bewohnern hängen an einem der 18 staatlichen Sozialprogramme. Deshalb greife die Angstkampagne, dass mit Macri die Unterstützungen gestrichen würden und es zu Massenentlassungen komme, weil den Betrieben die Beihilfen nicht mehr gezahlt werden würden.

Drei Block weiter verteilt Christian Peréz Wahlkampfzettel, die auflisten, was Macri alles zusammenstreichen werde: Gesundheit, Bildung, Rente und Arbeitsplätze. „Nur Scioli garantiert, dass dies nicht so kommt“, sagt der 28-jährige Geschichtslehrer. Und deshalb werde Scioli am Sonntagabend die Nase, wenn auch knapp, vorn haben.

Zehn Prozent unentschlossen

Fest steht, dass Argentinien nach zwölf Jahren links-progressiver Kirchnerregierungen nach rechts rücken wird. Ob Scioli das Rennen macht oder Macri, ist noch nicht entschieden. Rund zehn Prozent der Wähler seien noch unentschlossen, so die Umfragen.

Und um die ging es auch in der großen Fernsehdebatte der zwei Kandidaten am vergangenen Sonntag. In 53 Prozent der Haushalte waren die Geräte eingeschaltet, das zweithöchste Rating in Argentinien, nur knapp hinter dem WM-Finale gegen Deutschland.

Zu sehen war ein souveräner und gelassener Mauricio Macri, der seinen Kontrahenten als Fortsetzung einer korrupten Kirchner-Regierung mit ihrer Klientelpolitik beschrieb und der eine Angstkampagne gegen ihn führe. Und einen angespannt kämpfenden Daniel Scioli, der Macri als Rückkehr des Neoliberalismus der 1990er Jahre charakterisierte, der Argentinien schon einmal in den Abgrund geführt habe. Es ist gut möglich, dass die Botschaft bei den noch Unentschlossenen angekommen ist.

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