Arzt über Masern-Pflichtimpfung: „Die Befürworter sind hysterisch“

Der Bremer Hausarzt Günther Egidi hält es für richtig, gegen Masern zu immunisieren. Die jetzt beschlossene Einführung einer Impfpflicht lehnt er ab.

Günther Egidi sitzt auf einer Couch im Hintergrund ein Bücherregal und eine offene Tür, die in ein Arbeitszimmer führt. An der Tür hängt das berühmte Plakat von Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge

Kein Impfgegner, sondern Gegner der Pflicht: Der Bremer Hausarzt Günther Egidi Foto: Kay Michalak

taz: Herr Egidi, was halten Sie von der Masernimpfpflicht?

Günther Egidi: Dass Eltern 2.500 Euro Strafe zahlen müssen, wenn sie ihre Kinder nicht impfen lassen, ist ein starker Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Außerdem kann eine Zwangsimpfung das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstören. Man braucht sehr gute Argumente, um eine solche Pflicht durchzusetzen – und die sind bei den Masern einfach nicht gegeben.

Warum nicht?

2018 hatten wir 500 Masernfälle und pro Jahr ein bis zwei Todesfälle. Von einer epidemischen Situation kann man da nicht reden. Die Masern sind weltweit ein großes Problem, aber nicht in Deutschland. Bei uns sind viele geimpft: 97 Prozent aller Kinder sind einmalig geimpft, 93 Prozent haben auch die für den Impfschutz notwendige zweite Impfung bekommen. Außerdem sind die meisten Ungeimpften junge Erwachsene, die nach 1970 geboren worden sind. Eine Impfpflicht für Kinder würde diese Gruppe überhaupt nicht betreffen.

Empfehlen Sie Ihren Patient*innen eine Impfung?

Obwohl ich strikter Gegner einer Impfpflicht gegen Masern bin, bin ich hoch engagiert beim Impfen! Meinen Patient*innen empfehle ich Impfungen, wenn ich der Meinung bin, dass die Nutzen-Risiko-Relation ausreicht, also wenn der Nutzen mehr wiegt als ein möglicher Schaden. Wir stützen uns dabei auf zwei kritische Quellen: das „arznei-telegramm“ und die internationale Forschergruppe „Cochrane Collaboration.“

62, Bremer Hausarzt, Mitglied im Präsidium der deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin.

Was wäre Ihrer Meinung nach besser als eine Impfpflicht?

Besser als eine Pflicht wären finanzielle Belohnungen für Ärzte, die besonders gut geimpft haben. Damit würde ein Wettbewerb entstehen und die Praxen hätten einen Anreiz, gut zu informieren. Wenn wir hingegen Zwang und Strafen einführen, werden die Leute dem Impfen gegenüber immer skeptischer.

Fragen Sie den Impfstatus Ihrer Patient*innen systematisch ab?

Ja, das machen wir seit 2006. Generell empfehle ich jedem, sich gegen Tetanus, Diphtherie, Polio und Keuchhusten impfen zu lassen. Bei Kindern kommen noch die Impfungen gegen HIB und Hepatitis B hinzu. Andere Impfungen empfehle ich nach je Risiko: Alte und sehr kranke Menschen sollten sich beispielsweise gegen Grippe impfen lassen. Nach den von uns selbst erstellten Kriterien sind viele vollständig durchgeimpft.

Treffen Sie in Ihrer Praxis überhaupt auf Impfgegner*innen?

Natürlich. Ich notiere, dass sie Impfgegner sind und akzeptiere es. Die Zahl liegt aber, wenn es hoch kommt, bei gerade mal zwei Prozent. Das ist so eine geringe Zahl, dass sie seuchenhygienisch unproblematisch ist. Solche Menschen haben eben Angst vor Impfschäden.

Können Sie die Ängste, die die Menschen äußern, nachvollziehen?

Die Ängste vor einer Masernimpfung kann ich nicht nachvollziehen, denn die hilft definitiv mehr als sie schadet. Aber ich kann verstehen, dass Patient*innen misstrauisch werden, wenn sie merken, dass es ein großes Interesse von den Konzernen gibt. Es gab die sehr ungute Situation, dass die ständige Impfkommission der Ärzteschaft stark verseucht war mit Mitgliedern von Pharmafirmen. Der vorletzte Vorsitzende der Impfkommission ist direkt zu Novartis gegangen, einem Impfstoffhersteller. Das hat sich zwar inzwischen erheblich verbessert, führt aber zur Skepsis. Die Leute sehen auch, wie viele weitere Impfungen in Deutschland hinzugekommen sind, während sich andere europäische Länder wie die Schweiz oder England deutlich zurückhalten. Bei denen brechen auch keine Epidemien aus.

Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist das häufigste Hindernis für eine Masernimpfung fehlende Aufklärung: Haben Sie genügend Zeit, die Menschen aufzuklären?

Die Kapazitäten für Gespräche sind schon da. Hilfreich sind auch Broschüren und einen Teil der Arbeit delegieren wir an unsere nicht-ärztlichen Mitarbeiter*innen. In meiner Praxis in Huchting reicht erstaunlich oft schon mein Ratschlag als Arzt. Das mag in einer Praxis im Viertel oder Ober­neuland nicht so sein. Da gibt es mehr Anthroposophen, und man muss mehr diskutieren.

Was sagen Ihre Kollegen zur Impfpflicht?

Ich glaube, ich bewege mich in einer Filterblase von eher kritisch denkenden Ärzt*innen. Manche Kinderärzte sind vielleicht etwas paternalistisch, das liegt möglicherweise in der Natur der Sache: Wenn es um Kinder geht, schalten wir gerne mal das rationale Denken aus. Aber ich glaube, dass auch viele Hausärzt*innen sich nicht so systematisch mit dem Thema auseinandersetzen. Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat ja auch auf dem deutschen Ärztetag Beifallsstürme geerntet. Eine sachliche Diskussion war da gar nicht mehr möglich.

Impfgegner werden in der aktuellen Debatte häufig als laut und hysterisch beschrieben, wie sehen Sie das?

Wenn einer laut ist zurzeit, dann sind das Spahn und Konsorten, also die Impfapologeten. Die deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, in deren Präsidium ich sitze, hat ein sehr differenziertes Positionspapier erstellt. Ich habe das Gefühl, wir dringen nicht damit durch. Schon gar nicht zum Minister. Die Befürworter sind auf jeden Fall hysterisch geworden. Alle Kriterien für eine Hysterie sind gegeben: Man spricht davon, dass sich die Zahl der Fälle verdoppelt hat, ohne zu erwähnen, das die Masernfälle in der langfristigen Betrachtung seit 2006 sogar zurückgegangen sind. Eine epidemische Situation wird herbei fantasiert, obwohl wir nur wenige Erkrankungen haben und die wenigsten Infektionen zum Tod führen.

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