Asyl: Pipikram und Politik

Am Oranienplatz räumt die Polizei mit Billigung von Bezirk und Senat Kissen weg und verfolgt Flüchtlinge wegen Urinierens. Diese hoffen längst auf die Bundespolitik.

Am Oranienplatz hat die Polizei am Donnerstag Eigentum von protestierenden Flüchtlingen einkassiert und anschließend nur das wieder herausgegeben, was als "Ausstattung für Versammlungen unter freiem Himmel" erlaubt ist. Bild: dpa

Die Gespräche zwischen den auf dem Kreuzberger Oranienplatz protestierenden Flüchtlingen und der Bundesbeauftragten für Integration, Aydan Özoguz, sollen fortgesetzt werden. Özoguz will die Flüchtlinge außerdem künftig bei der Formulierung ihrer Anliegen beraten. So lauten die Ergebnisse des zweiten Treffens der Flüchtlingsgruppe, die ihren Hungerstreik zunächst weiter aussetzt, mit der Bundesbeauftragten. Das Treffen fand am Mittwoch im Büro der Berliner Integrationsbeauftragten Monika Lüke statt.

Eine Pressekonferenz der Flüchtlinge dazu konnte am Mittag allerdings erst mit Verspätung beginnen: Vorangegangen waren zwei Polizeieinsätze gegen die Protestierenden. Bereits am frühen Morgen hatte die Polizei zunächst in Verhandlungen mit Flüchtlingen und Unterstützern versucht, die Herausgabe aller Gegenstände durchzusetzen, die das Übernachten auf dem Platz ermöglichen. Die Gruppe campiert seit der Räumung des Camps am 8. April auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes.

Nachdem die Verhandlungen ergebnislos geblieben waren, kassierten die Beamten sämtliche Besitztümer der Flüchtlinge ein. Diese sollten laut einem Polizeisprecher in ein nahes Gebäude gebracht werden, wo sie die Flüchtlinge dann wieder abholen konnten, was als „Ausstattung für Versammlungen unter freiem Himmel“ erlaubt sei: ein Kissen, eine Decke und ein Regenschirm pro Person. Geräumt sei der Protestort damit aber nicht, so der Polizeisprecher: Die Flüchtlinge selbst durften vorerst bleiben.

Kurz vor Beginn der Pressekonferenz kam es zu einem weiteren Einsatz: Einer der Sprecher der Gruppe, Patras Bwansi, wurde festgenommen. Er hatte im Gebüsch uriniert – eine Ordnungswidrigkeit, deretwegen die Polizei die Personalien des Mannes festzustellen wünschte. Da Bwansi keine Papiere hat, wurde er von der Polizei mitgenommen. Laut deren Pressestelle ist es „Ermessenssache“, ob die Polizei bei dieser Ordnungswidrigkeit eingreift.

Für die Flüchtlinge stand bei der dann doch noch stattfindenden Pressekonferenz fest: Sie sollen an weiteren Protesten und an ihrem Recht, sich öffentlich Gehör zu verschaffen, gehindert werden.

Tatsächlich kommt das verschärfte Vorgehen der Polizei nicht von ungefähr: Am Dienstag hatte Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) gesagt, „es wäre ein fatales Signal, wenn sich ein Protest wie am Oranienplatz wiederholt“. Dieser müsse ein „einmaliges Ereignis“ bleiben. Sie gehe davon aus, so Kolat mit Blick auf Bezirke, Senatsverwaltungen und Polizei, dass „alle Beteiligten aus den Ereignissen ihre Lehren gezogen haben“.

In Friedrichshain-Kreuzberg wurde währenddessen der Wortlaut eines entsprechenden Beschlusses bekannt, den das Bezirksamt bereits im März gefasst hatte. In dem als vertraulich eingestuften Papier hatte sich das fünfköpfige Gremium unter Leitung von Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) geeinigt, die „Inanspruchnahme öffentlicher (Grün-)Flächen“ nicht mehr zu akzeptieren, sofern diese nicht durch das Versammlungsrecht oder eine Sondernutzungserlaubnis gedeckt seien.

In der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am Mittwoch forderten nun Linkspartei und Piraten den Widerruf der Entscheidung mit dem Hinweis auf die „jahrzehntelange Tradition des politischen Ungehorsams“ in Kreuzberg. Der Beschluss sei „eine Zäsur im politischen Handeln des Bezirks“, sagte Antragsteller Reza Amiri (Linke). Die Polizei werde ermächtigt, „Bürger davon abzuhalten, politische Forderungen vorzutragen“. Da ein konkreter Verweis auf den Flüchtlingsprotest am Oranienplatz fehle, seien womöglich sämtliche Proteste im Bezirk – etwa die der Mieter am Kottbusser Tor – betroffen. Herrmann empörte sich vor allem über die „Weitergabe der Verschlusssache“ und sah mögliche strafrechtliche Konsequenzen auf die Antragsteller zukommen. In der Sache jedoch wies sie jede Kritik von sich – der erneute Hungerstreik auf dem Oranienplatz sei ja geduldet worden.

Auch im Hinblick auf die 14 hunger- und durststreikenden Flüchtlinge am Alex sagte Integrationssenatorin Kolat am Dienstag, sie werde sich nicht „erpressbar“ machen. Die Flüchtlinge wandten sich derweil mit einem offenen Brief an das Innenministerium und das Bundesamt für Migration. Außerdem riefen sie für Freitagnachmittag zu einer Kundgebung vor dem Bundesinnenministerium auf, um dort mit „Unterstützung der Zivilgesellschaft“ ihre Forderung nach einer Aufenthaltserlaubnis zu überbringen.

Patras Bwansi, der von der Polizei festgenommene Flüchtling, befand sich am Nachmittag wieder auf freiem Fuß.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.