Asylbewerber boykottieren Essenspakete: Auf einem Abstellgleis in Oberbayern

Im Asylbewerberheim in Denkendorf können sich die Bewohner nicht einmal ihr Essen selbst kaufen. Ein Besuch an einem Ort, an dem Integration keine Rolle spielt.

Isa Ahmad hat keinen Bock mehr auf Deutschland. "Ich bin doch nicht hierhergekommen, um nur zu essen und zu schlafen!" Er fühlt sich, als wären sie geparkt worden, hier im Asylbewerberheim Denkendorf. Und wenn er das Wort "Integration" hört, kann er nur müde lächeln. Er will etwas tun, morgens zur Arbeit gehen und abends erschöpft nach Hause kommen. Doch seit zwei Jahren passiert nichts, gar nichts. Erst war da diese gähnende Langeweile. Dann kam der Frust, später die Wut. Und jetzt noch der Ärger mit den Essenspaketen.

Dabei ist der Kühlschrank gut gefüllt. Erdbeerjoghurts, abgepackte Käsesandwichscheiben, im Gefrierfach eine in Folie eingeschweißte Hähnchenkeule. "Nicht gut", sagt ein Freund von Isa Ahmad und zeigt auf einen Joghurt, der vor drei Tagen abgelaufen ist. Das Essenspaket, der Inhalt dieses Kühlschranks, ist vor drei Tagen gekommen, doch es werden immer weniger.

19 Personen im Asylbewerberheim Denkendorf boykottieren seit vier Wochen ihre Essenspakete. Sie haben aufgehört, Kreuze zu machen auf den blauen und gelben Bögen, bei "TK Hähnchen", "Weichkäse" und "ca. 250 g Zwiebeln" und zweimal pro Woche auf die Lieferungen zu warten. Daraufhin haben sich auch andere Flüchtlinge in Oberbayern angeschlossen, mittlerweile sind 450 Menschen im Boykott, davon 250 im Hungerstreik.

Denkendorf - eine verschneite Gemeinde im Landkreis Eichstätt in Oberbayern. 4.450 Einwohner, ein Rathaus, eine Kirche, 50 Asylbewerber. Isa Ahmad ist einer von ihnen, er ist so etwas wie der Anführer des Boykotts. "Das Hähnchen stinkt, das Obst vergammelt schnell", sagt er. Und überhaupt, warum darf er sich sein Essen nicht selbst kaufen? "Wir wollen endlich selbst in den Supermarkt gehen, Guten Tag und Auf Wiedersehen sagen." Schon der Anfang einer Integration werde ihnen verwehrt, sagt er.

Isa Ahmad ist Kurde, 21 Jahre alt, schwarze gegelte Haare, billige Lederjacke. Vor zehn Jahren hat er mit seinen Eltern den Irak verlassen. Als sich die Lage dort wieder beruhigt hatte, musste er zurück, hielt es im Irak jedoch nur zwei Jahre aus. "Ich konnte in der Schule nie Fuß fassen, habe dann abgebrochen." Nach acht Jahren in Deutschland und sechs Jahren auf einer deutschen Schule hatte er aber das sogenannte Recht auf Wiederkehr.

Seit zwei Jahren ist er wieder in Deutschland, und seitdem geht es bergab. Seine Identität wurde zwar anerkannt, sein irakischer Pass aber nicht. "Die Botschaft stellt zurzeit keine neuen Pässe aus", sagt Isa Ahmad - und dieser Zustand währt nun schon zwei Jahre. Wenn er von einem besseren Leben träumt, will er seinen Schulabschluss nachholen, Abi machen und studieren. Bauingenieur werden, das wär's. Er träumt immer seltener.

Isa Ahmad hat es noch am besten getroffen hier im Heim. Er ist jung, und er spricht als Einziger perfekt Deutsch. Durchschnittlich sind die Bewohner schon seit acht Jahren in Denkendorf. Die meisten haben keinen Pass, manche wollen ihn auch gar nicht - weil sie wissen, dass ihnen mit gültigen Papieren sofortige Abschiebung drohen würde.

Die Chance auf Arbeit besteht nur theoretisch. In der Praxis brauchen sie für eine Arbeitserlaubnis zunächst einen zugesicherten Job, außerdem muss die sogenannte Nachrangigkeit von der Arbeitsagentur geprüft werden: Bevorzugt werden Deutsche, nach ihnen EU-Bürger. Am Ende sind sie an der Reihe. Ehe es so weit ist, hat sich der Arbeitgeber längst umentschieden.

"Und so wird das Heim auch nur für kurze Spaziergänge verlassen", sagt Isa Ahmad. Er führt von einer Wohneinheit zur nächsten, durch drei Stockwerke und einen Flur, in dem sich große Männer wie er bücken müssen, so tief hängt die Decke. Alles wirkt alt, kalt und grau, die von der Caritas gespendeten Polstermöbel, der Boden aus Kunststoffplatten, die Neonröhren an der Decke. Der Jugendherbergscharme, den das Haus vor Jahrzehnten vielleicht hatte, ist längst verflogen.

In seinem Zimmer, das er sich mit fünf anderen Männern teilt, ist dann doch noch etwas Farbe: Die Wände sind tapeziert mit nackten Frauen und Eminem, so dicht, dass man die Tapete kaum noch erkennt, drum herum hängen Blumengirlanden. Warum im Schlafzimmer nur zwei Betten stehen? Isa zieht zwei dünne Matratzen unter einem Bett hervor und sagt: "Der Fünfte schläft auf der Couch." So einfach ist das. Oder auch nicht.

Für die Bewohner ist das Asylbewerberheim schon lange keine Übergangsstation mehr, auch wenn das wohl viele Menschen in der Bundesrepublik, und auch die Denkendorfer, glauben. Es ist ein Abstellgleis, bis dann irgendwann abgeschoben wird. "Natürlich kann man eine Zeit lang schlechte Umstände ertragen", sagt Isa Ahmad. Ein kurzer Moment - dann steigt sein Zorn wieder hoch. "Aber wir können doch nicht jahrelang auf durchgelegenen Matratzen schlafen und jeden Tag den gleichen verdammten Käse essen!"

Das Wort Menschenwürde fällt oft in diesen Tagen. Isa Ahmad sagt es, der Bayerische Flüchtlingsrat sagt es auch, der die Zustände in den Heimen anprangert und froh darüber ist, dass die Flüchtlinge, die in Bayern leben, immer öfter gegen ihre Lebensumstände protestieren. Die bayrische Sozialministerin Christine Haderthauer sieht für den Essenspaketboykott "keinen objektiven Grund".

Dabei hatte die Regensburger Initiative Asyl bei einem Testkauf festgestellt: Die Essenspakete sind nicht so viel wert, wie sie kosten, auch Transport und Logistik kosten unnötiges Geld. Die 19 Bewohner, die ihre Essenspakete in Denkendorf boykottieren, fordern die Auszahlung von Bargeld oder Einkaufsgutscheine, damit sie sich ihre Lebensmittel selbst kaufen können.

Bar auf die Hand bekommt jeder bisher genau 40,90 Euro, als Taschengeld. "Ich würde den Leuten kein Bargeld geben", sagt ein Kneipenwirt aus Denkendorf, und viele denken wie er. In der Gemeinde hat man von den Zuständen im Heim aus der lokalen Presse erfahren, jeder hat eine Meinung dazu, nur will niemand seinen Namen in der Zeitung lesen, deshalb schweigt man lieber. Der Kneipenwirt glaubt, die Asylbewerber würden das Geld verspielen und dann beim Bäcker betteln gehen.

Auf die Nerven gehn

Wie vor ein paar Wochen, als eine kleine Spielhalle in Denkendorf eröffnet wurde und es jede Woche 6 Euro Einsatz und einen Red Bull gratis gab. "Viele von uns sind dorthin gegangen", sagt Isa Ahmad. "Als das Angebot vorbei war, haben manche tatsächlich auch noch ihr Taschengeld verzockt." Aber, so beteuert er, so seien doch nicht alle.

Wenn Isa Ahmad Politiker wäre, dann würde er jedem, der seine Identität nachweisen kann, eine Arbeitserlaubnis erteilen. "Kein Wunder, dass es so oft Streit gibt, wir haben zu viel Zeit und gehen uns auf die Nerven." Ihren Landkreis dürfen sie auch nicht verlassen: Die Residenzpflicht verbietet es ihnen, bei Verstoß drohen Strafen.

Jetzt hat Isa Ahmad keine Lust mehr zu erzählen. Lehnt müde an der weißen Kachelwand in der Gemeinschaftsküche. Es ist kahl, fast steril. "Ich hatte so viele Pläne in Deutschland." Doch offenbar wird er nicht gebraucht.

Er hat es so satt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.