Asylpolitik der EU: "Europa attraktiver machen"

Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Asylpolitik, fürchtet, dass Europa sich abschottet. Sie hat Ideen, wie Migration erleichtert und Menschenschmuggel verhindert werden kann.

Demonstration von Einwanderern in Athen. Bild: dapd

taz: Frau Malmström, Einwanderungspolitik ist in der Wirtschaftskrise kein sehr beliebtes Thema. Frustriert Sie Ihr Job derzeit?

Cecilia Malmström: Ja, es ist schwierig derzeit, mit den Mitgliedstaaten der EU über andere Themen als die Wirtschaftskrise zu sprechen. Die Minister sagen mir: ,Wir haben zurzeit eine hohe Arbeitslosigkeit in der EU. Wir können uns jetzt nicht um die Zuwanderung von Arbeitskräften kümmern.' Das ist kurzsichtig. Alle wissen, dass wir Arbeitskräfte aus Drittländern brauchen werden, wenn unsere Wirtschaft wieder wächst.

Wie versuchen Sie die Minister von Ihrem Thema zu überzeugen?

In ein paar Jahren brauchen wir 200.000 Arbeitskräfte im Gesundheitsbereich. Die gibt es in der EU nicht. Im IT-Sektor gehen die Schätzungen von rund 800.000 fehlenden Fachkräften aus. Also müssen wir Europa im Vergleich mit den USA oder Kanada attraktiver machen.

Die Blue-Card ermöglicht es Hochqualifizierten, legal einzuwandern. Wie sieht es mit der Umsetzung dieser Karte aus?

geboren 1968 in Stockholm, promovierte an der Universität Göteborg in Politikwissenschaft und ist seit Ende der 1980er Jahre Mitglied der Liberalen Volkspartei. Seit 2010 ist sie EU-Kommissarin für Innenpolitik. Darunter fallen Migrationsfragen, Visa- und Asylangelegenheiten. Sie war von 1999 bis 2006 Abgeordnete im Europaparlament und von 2006 bis 2010 schwedische Europaministerin.

Sechs Länder, darunter auch Deutschland, haben die Karte noch nicht ordnungsgemäß eingeführt. Ich habe entsprechende Briefe an die Regierungen geschickt, und wir werden ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, falls wir keine zufriedenstellenden Antworten bekommen. Es ist noch zu früh, um den Erfolg der Blue Card zu messen. Aber sie gilt sowieso nur für eine kleine Gruppe. Wir brauchen viel mehr.

Was wünschen Sie sich?

Ich hätte gern die gleiche Prozedur in der gesamten EU: Die Person, die einwandern will, muss nachweisen, dass sie ein Jobangebot hat. Der betroffene Mitgliedstaat prüft, ob es diesen Job tatsächlich gibt, und dann darf die Person einreisen. Das wäre ideal. Aber wir haben eine Stückelung: Es gibt die Blue Card für bestimmte Bereiche. Zurzeit arbeiten wir an einer Richtlinie für Saisonarbeiter. Dann gibt es eine Regelung für Studenten und Forscher. Das ist zurzeit der einzige Weg, alle EU-Länder ins Boot zu holen.

Ist die Einwanderungspolitik ein Opfer der Wirtschafts- und Finanzkrise?

Auf jeden Fall. Aber wir müssen Verantwortung übernehmen. Die Welt hört nicht auf, sich zu drehen, nur weil wir hier eine Krise haben. Wir haben eine Verantwortung, die Flüchtlinge, die derzeit beispielsweise aus Libyen, Syrien oder dem Jemen kommen, menschenwürdig zu behandeln.

Sie setzen sich für ein gemeinsames europäisches Asylsystem ein. Das soll 2012 installiert werden, aber vor allem Deutschland blockiert das.

Jemand, der um Asyl bittet, muss überall in der EU die gleichen Bedingungen haben. Man kann doch mit Schicksalen keine Lotterie betreiben. Aber es ist noch möglich, im Laufe des kommenden Jahres einen Kompromiss zu finden. Optimismus ist eine Pflicht, vor allem in diesem Politikbereich.

Die deutsche Bundesregierung behauptet, wenn überall in der EU die gleichen Asylregeln gelten, würden viel mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Stimmt das?

Diese Angst ist völlig unbegründet. Derzeit stellen 90 Prozent aller Asylbewerber in der EU ihre Anträge in zehn Ländern, darunter auch Deutschland. Sie gehen dorthin, weil sie wissen, dass das System funktioniert und sie eine Chance auf eine faire Behandlung haben. Wenn in den anderen 17 Ländern diese Bedingungen vorhanden wären, könnte man die Verantwortung besser verteilen. Und es wäre auch eine effektive Waffe gegen das "Asyl-Shopping", also dass Flüchtlinge ihre Anträge in mehreren Ländern hintereinander stellen.

Die deutsche Regierung wehrt sich nicht nur gegen eine Harmonisierung der Aufnahmekriterien. Sie will auch keine Änderung des sogenannten Dublin-II-Abkommens, das festlegt, dass Asylbewerber ihren Antrag in dem Land stellen müssen, über das sie in die EU eingereist sind.

Im Allgemeinen funktioniert Dublin. Nur in Griechenland ist die Situation ein Desaster. Da versuchen wir zu helfen. Aber wir brauchen für solche Fälle einen Notfallmechanismus. Wenn ein Land die Asylanträge nicht mehr ordnungsgemäß bearbeiten kann, dann muss es die Möglichkeit geben, die Abschiebungen dorthin für eine bestimmte Zeit auszusetzen.Aber die Mitgliedstaaten wehren sich gegen eine solche Solidaritätsklausel.

Wäre es nicht besser, die Flüchtlinge nach anderen Kriterien, beispielsweise nach ihren Sprachkenntnissen, zu verteilen?

Ja, das wäre besser. In einer idealen Welt hätten wir solch ein System. Aber Brüssel kann den Mitgliedstaaten nicht vorschreiben, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen sollen. Die Griechen wollen eine Mauer oder einen Graben errichten an der Grenze zur Türkei, um gegen illegale Einwanderung vorzugehen.

Haben Sie Angst, dass die EU tatsächlich zu einer Festung wird?

Ja, das befürchte ich. Natürlich müssen unsere Grenzen geschützt werden. Wir können nicht alle Flüchtlinge aufnehmen. Aber wir müssen sicherstellen, dass Menschen an unsere Grenzen kommen und um Schutz bitten können. Das ist ein Menschenrecht.

Und wir müssen auch jenen Menschen ermöglichen, die in die EU wollen, weil sie ihr Leben frei gestalten, arbeiten, eine Zukunft haben wollen. In immer mehr EU-Ländern sind ausländerfeindliche Parteien an der Regierung beteiligt oder zumindest im Parlament vertreten. Das macht es schwer, eine verantwortungsvolle Einwanderungspolitik zu gestalten. Und ja, es führt dazu, dass wir eine Festung um uns herum bauen.

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