Atomkatastrophe in Japan: Heimliche Rückkehr in verbotene Zone

Trotz der Furcht vor Radioaktivität verlässt eine wachsende Zahl von Atomflüchtlingen aus der Präfektur Fukushima die Evakuierungslager und kehrt in ihre Häuser zurück.

Flüchtlinge im Evakuierungszentrum der Stadt Rikuzentakata warten auf ihre Zuteilung. Bild: dapd

TOKIO taz | Mit zunehmender Verzweiflung verfolgen tausende Evakuierte in der Präfektur Fukushima die steigenden Strahlenwerte in den Atomreaktoren an der Pazifikküste. "Ich habe Angst", sagte eine Frau dem Fernsehsender NHK. "Ein Erdbeben geht irgendwann vorbei, aber gegen die Strahlung muss man ein Leben lang kämpfen." Die Furcht vor Radioaktivität ist nicht der einzige Stressfaktor.

Bei der Evakuierung vor anderthalb Wochen mussten viele ihre gesamte Habe zurücklassen. Außerdem bekamen sie keine Chance mehr, sich nach dem Verbleib ihrer Angehörigen in den Nachbarorten zu kümmern. In Fukushima sind bisher Tsunami-Aufräumarbeiten unterblieben. Andere fürchten um Leben und Gesundheit von Angehörigen, die rund um die Uhr in der Atomanlage arbeiten. Nach NHK-Angaben sind in knapp 300 Sammelzentren in der Präfektur Fukushima derzeit fast 32.500 Menschen untergebracht. Die meisten davon stammen aus der 20-Kilometer-Zone um den Atomkomplex.

Seitdem die AKW-Betreiber Tepco vor monatelangen Reparaturen warnten, dämmert immer mehr Evakuierten, dass sie ihre Heimat für lange Zeit verlieren könnten. Daher kehren immer mehr heimlich in ihre Häuser und Wohnungen in der verbotenen Zone zurück. Teils transportieren sie Wertgegenstände und andere lebensnotwendige Besitztümer ab, teils bleiben sie ganz da.

Vor allem die Älteren seien müde und erschöpft vom Leben in den oft überfüllten Notlagern, erklärte die Provinzregierung und verlangte eine Versorgung der Rückkehrer. Der Verkehrsfluss in die Zone ist in den letzten Tagen so angeschwollen, dass die Regierung die Anwohner öffentlich warnte. "Es besteht ein großes Risiko für die Gesundheit", mahnte Regierungssprecher Yukio Edano.

Bei einem Treffen im Gesundheitsministerium verlangten Sprecher von 169 Nichtregierungsorganisationen mehr Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Evakuierten. Zwei Dutzend Parlamentsabgeordnete forderten in einer Petition an die Regierung eine "drastische Ausweitung" der Sicherheitszone. Vor allem schwangere Frauen und Kinder sollten evakuiert werden, weil ihnen die Freisetzung von radioaktivem Jod besonders schade.

"Wir brauchen einen offiziellen Evakuierungsbefehl", so der Oppositionsabgeordnete Yasutoshi Nishimura nach einem Besuch in Fukushima. Viele Anwohner würden sich isoliert fühlen, weil sie seit anderthalb Wochen ihre Unterkunft nicht verlassen haben. Der US-Strahlenmediziner Robert Peter Gale kritisierte nach Gesprächen in Fukushima, dass die Behörden den Menschen nicht erklären würden, wie sich die gemessenen Strahlenwerte auf ihre Gesundheit auswirken.

Am Freitag hatte die Regierung den Anwohnern im Abstand zwischen 20 und 30 Kilometer von den Atommeilern empfohlen, die Zone freiwillig zu verlassen. Gleichzeitig wurden die Behörden angewiesen, die Evakuierung vorzubereiten und beim Transport zu helfen. Nach inoffiziellen Schätzungen sind schon bis zu 30.000 Atomflüchtlinge in Nachbarpräfekturen abgewandert.

In die Strahlenfurcht mischen sich Zukunftssorgen. Viele Evakuierte sind Bauern und Fischer, oft im Pensionsalter und ohne geregelte Einkünfte. "Ohne Zusicherung der Regierung können die Bauern keinen Reis pflanzen", sagte Takuo Ichiya von der Japanischen Agrargenossenschaft, der die meisten Landwirte angehören, der Finanzagentur Bloomberg. In der Präfektur Fukushima werden 15 Prozent des japanischen Reis produziert. Bodenuntersuchungen können laut Agrarministeriums frühestens Mitte April stattfinden.

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