Attac-Mitglied über 68er-Kongress: "Gewollte Biederkeit"

Der Hochschulverband der Linkspartei veranstaltet einen 68er-Kongress. Ein Versuch, mit linken Traditionen der 80er und 90er zu brechen, meint Philosoph und Attac-Mitglied Thomas Seibert.

Seibert erwartet eine "Gegenbewegung zu dem, was meine Generation versucht hat". Bild: dpa

taz: Herr Seibert, ein Studierendenkongress zu 68 - finden Sie das nicht bieder?

Thomas Seibert: Verglichen mit linken Veranstaltungen der letzten Jahre ist sie relativ bieder, und diese Biederkeit wird durch den emphatischen Bezug auf die 68er-Ikonen noch bestätigt. Doch diese Biederkeit ist gewollt.

Weshalb gewollt?

Dahinter steckt ein neues politisches Projekt. Viele hier wollen sich bewusst absetzen von dem Nicht-mehr-Biederen und Fortgeschritteneren, das linke Veranstaltungen der 80er und 90er-Jahre prägte. Das macht den Kongress interessant.

Sind die kulturellen Codes nicht bereits völlig andere als die hier aufgerufenen, also Jimi Hendrix, Che Guevara …?

In den 80ern und 90ern waren die Codes schon andere. Mit diesen gibt es aber ein doppeltes Problem: Sofern sie Codes der Linken waren, waren es Codes einer Linken, die jede gesellschaftliche Relevanz verloren und sich in Subkulturalität verfangen hatte. Gleichzeitig haben diese Codes ihre Subversivität verloren, weil sie die sind, mit denen man im modernen Alltagsleben sowieso zurechtkommen muss. Was damals rebellisch war, wird einem heute abverlangt. Es wurde ein Habitus produziert, der letztlich zu dem wurde, mit dem man unter heutigen Verhältnissen sein Geld verdient.

Aber die 68er-Forderung nach einem selbstbestimmten Leben ist auch längst umgeschlagen in den Zwang zu Selbstverwertung. Wozu überhaupt noch die Chiffre 68?

Es geht weniger darum, wieder so werden zu wollen. Es geht darum, dass 68 und die Jahre danach der letzte Moment einer gesellschaftlich relevanten Linken waren. Das interessiert die Leute - eine solche Relevanz wiederherstellen zu können. Insofern ist sowohl die Biederkeit als auch der Rückbezug auf 68 nicht wörtlich zu nehmen.

Wäre ein Vatermord nicht dennoch notwendig?

Der Vatermord ist eher ein Vatermord gegenüber der Linken der 80er- und 90er-Jahre.

Der Kongresstitel lautet "Die letzte Schlacht gewinnen wir". Sehen Sie jenseits dieser symbolischen Allianz einen politischen Akteur?

Das ist der Punkt, wo diese Biederkeit ihr Recht in der Sache hat. Es gibt eine politische Veränderung, die auch mit dem Auftauchen einer linken Option neben der SPD zu tun hat. Was viele der jungen Leute auf diesem Kongress an der Linkspartei interessant finden, ist deren Relevanz. Die besteht in gewisser Weise gerade in der Biederkeit dieser Partei.

Die Partei als Option für die Jungen, das klingt sehr freundlich …

Ich habe Erfahrung mit einer Linken, die sich jenseits der Partei platziert hat. Das war zwar richtig, hat aber Schwächen produziert, die in der subkulturellen Isolation bestand. Insofern halte ich das, was hier versucht wird, effektiv für eine Gegenbewegung zu dem, was meine Generation versucht hat. Wenn es zu etwas Neuem führt, ist es gut.

INTERVIEW: TANIA MARTINI

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