Attentat auf Charlie Kirk: Ein Spektakel der Gewalt
Von dem Tod Charlie Kirks gibt es eine Menge brutaler Videos. Sie befeuern die Radikalisierung der Rechten, während einige Linke Schadenfreude zeigen.

M inuten nach dem Attentat waren die Videos überall. Charlie Kirk, der rechtskonservative Publizist, sitzt auf der Bühne eines Campus in Utah und spricht gerade über Massenschießereien, als ihn eine Kugel am Hals trifft. Sofort spritzt Blut, Kirk kippt zur Seite weg.
Die schwer erträglichen Videos ersetzen andere, nicht minder schwer erträgliche, die in der laufenden Woche die Timelines von Millionen US-Amerikanern füllten: Aus der Perspektive mehrerer Überwachungskameras zeigen sie eine junge Geflüchtete aus der Ukraine, die in North Carolina in einem Zug sitzt und auf ihr Smartphone schaut. Auf einmal steht hinter ihr ein Mann auf und rammt ihr ein Messer in den Hals. Iryna Zarutska verblutet noch am Tatort. Alles vor laufenden Kameras, alles unzählige Male aufgerufen und angeschaut.
Die Szenen der Gewalt werden medial verbreitet und algorithmisch verstärkt. Weil der psychisch kranke Mörder der Ukrainerin Schwarz war, stürzen sich die Rechten auf den Fall, die Reaktionen sind selbst für die Verhältnisse von Elon Musks Plattform X enthemmt rassistisch. US-Präsident Trump bezeichnet den Täter als „Tier“ und fordert die Todesstrafe im Schnellverfahren.
Die Bilder treiben gerade unter Konservativen und Rechten eine Radikalisierung voran, die man nicht unterschätzen sollte. Das ist keine Vermutung, das sagen viele auf X und Co offen von sich selbst (obwohl im Fall von Kirk bislang nicht einmal klar ist, wer ihn erschossen hat). „Wenn sie mich fragen: ‚Was hat dich radikalisiert?‘, dann zeige ich ihnen das“, lautet ein Post, dazu Screenshots der beiden Tötungen.
Ja, der Mord an dem jungen Trump-Vertrauten Kirk hätte auch ohne die fast pornografisch konsumierten Gore-Videos einen lauten Nachhall ausgelöst. Aber die psychologische Kraft der Bilder ist dennoch enorm.
Schadenfreude und Sorge
Viele linke Influencer und Journalisten äußerten sich schockiert über das Attentat. In ihren eigenen Kommentarspalten fallen die Reaktion dagegen anders aus. Da herrscht mancherorts ein Gefühl vor, das die US-Amerikaner oft mit seinem deutschen Wort benennen: Schadenfreude. Teile der Linken und Linksliberalen feixen im Netz und schreiben ihre kleinen Witzchen, scheinbar ohne jedes Gespür für die möglichen Folgen für ihr Land.
Hasan Piker, der wohl bekannteste linke Streamer der USA, wies seine Zuschauer in einem Livestream dafür zurecht. Er hätte mit Kirk eigentlich Ende September debattieren sollen. Auch er könnte zum Ziel eines solchen Anschlags werden, sagte Piker.
Man kann natürlich feststellen, dass Kirk mit seiner Agitation, seiner Freund-Feind-Rhetorik selbst zu der Gewaltlust beigetragen hat. Nach dem Hammerangriff auf den Ehemann der Demokratin Nancy Pelosi 2022 sagte Kirk hämisch, „irgendein großartiger Patriot“ solle doch bitte die Kaution des Attentäters bezahlen.
Solche Geschmacklosigkeiten rechtfertigen einen Mord in keiner Weise. Es handelt sich nicht nur um einen abscheulichen Angriff auf die Freiheit der Rede, das Attentat ist auch politisch hochgefährlich. Die Radikalisierung könnte eine Welle der Gegengewalt zeitigen, ebenso wie sie den Boden für eine mögliche Repressionskampagne der Trump-Regierung düngt.
Zynische Zuschauer
Schon bei dem Attentat auf den United-Healthcare-CEO im Dezember 2024 zeigte sich, wie empfänglich die Linken wieder für die „Propaganda der Tat“ sind. Den Attentäter Luigi Mangione feierten viele mit einem wochenlangen Meme-Festival.
Es ist auch eine Art Eskapismus: Der Erregungsrausch kompensiert für den Moment das Gefühl politischer Ohnmacht – auch wenn die Aussichten auf ein emanzipatorisches Projekt noch weiter schwinden. Die Rechten sehen derweil dieselben Videos und schwören Rache.
Schon Mark Fisher diagnostizierte in seinem Buch „Kapitalistischer Realismus“, dass sich die junge Generation vom politischen Engagement abwende, und sich dafür in der passiven Rolle zynischer Zuschauer einrichte. Politische Gewalt verkommt so zum düsteren Massenspektakel im Social-Media-Feed, eingespült zwischen Katzen-Memes und Kochvideos.
Noch passt der Bürgerkrieg im Smartphoneformat in die Hosentasche. Bald hält er womöglich auf den Straßen Einzug.
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