Aufarbeitung der eigenen Geschichte: Völkerkunde ade

Im Museum für Völkerkunde diskutiert man, ob sich das Haus einen neuen Namen geben soll. In der taz-Redaktion stößt das auf ein gemischtes Echo.

Strahlkraft braucht das Museum – aber unter welchem Namen? Foto: imago

Pro

Letztlich ist es eine Frage von Ethik und Anstand. Und das nicht in einem oberflächlichen, sondern politisch, ja historisch korrekten Sinne: Denn wer schaut in einem „Museum für Völkerkunde“ eigentlich auf wen? Wer ist Subjekt, wer Objekt, wer hat die Deutungshoheit über den anderen und über beider Beziehung?

Alte Fotos von Kolonialherren oder Missionaren offenbaren es besonders klar: Hier der „wissende“ weiße Dokumentar und Sammler, der sortiert und entscheidet, was aufbewahrens- und berichtenswert ist. Und dort Mitglieder einer als „fremd“ definierten Gemeinschaft, exemplarisch hergezeigt als „Exoten“.

Ein „Völkerkundemuseum“ übersetzt dieses koloniale Machtgefälle ins Dreidimensionale – nur, dass dort nicht Menschen, sondern ihre Besitztümer vorgeführt werden. Aber das macht die Sache nicht besser: Oft willkürlich zusammengewürfelt liegen da Objekte aus Alltag, Kult und Kunst in den Vitrinen. So weit ging die Sortier- und Deutungslust der europäischen Museumsgründer und -macher dann doch nicht, dass sie hier ins Feintuning gegangen wären.

Dass Deutschlands Völkerkundemuseen unter den Bedingungen des Kolonialismus gegründet wurden, hat sich inzwischen herumgesprochen. Welche Exponate aber konkret Einheimischen billig abgepresst, geraubt und nie erstattet wurden, ist noch längst nicht so klar.

Barbara Plankensteiner, seit April 2017 Direktorin von Hamburgs Museum für Völkerkunde, hat deshalb – wie schon ihre Kollegen in Berlin, Dresden, Frankfurt/M., München und Wien – eine Neuorientierung ihres Hauses beschlossen. Das impliziert nicht nur Tagungen zur kolonialen Vergangenheit des Museums, sondern auch Beschriftungen, die die koloniale Herkunft der Exponate benennen.

Über die Rückgabe von Objekten wird ebenfalls zu sprechen sein.

Zudem diskutiert das Museumsteam derzeit über die Umbenennung des Museums, wie Pressesprecherin Julia Daumann auf taz-Anfrage bestätigt. Man sammele zurzeit intern mögliche Namensvorschläge, sagt sie. Ob es in einigen Monaten wirklich zur Umbenennung komme, sei aber noch offen.

Das Label des Ganzen manifestiert dieses Denken, schreibt es fort, denn der Begriff „Völkerkunde“ ruft gleich zwei problematische Epochen auf: das zur (auch moralischen) Ab- und Ausgrenzung genutzte „Völkische“ der NS-Zeit – sowie die „Völkerschauen“ etwa in Hagenbecks Tierpark um 1900, als außereuropäische Menschen in Gehegen mit Käfigen ausgestellt wurden.

Solch ein diffamierendes Menschenbild – und all das schwingt mit in dem Wort „Völkerkunde“ – kann in Zeiten globaler Migration und Verflechtung nicht toleriert werden. Deshalb ist es gut, dass Hamburg jetzt plant, was andere längst taten: Das Münchner Haus heißt inzwischen „Museum Fünf Kontinente“, das Frankfurter „Museum der Weltkulturen“, das Berliner „Ethnologisches Museum“. Und die einstige „Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde“ hat sich kürzlich in „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie“ umbenannt.

Und auch wenn ein neuer Name noch keine Revolution des Denkens und lange eingeübter Perspektiven bedeutet: Die Umbenennung ist – wie auch bei kolonialen Straßennamen – ein unerlässlicher erster Schritt. Denn öffentlich verwandte Begriffe bezeugen immer Zeitgeist und teilen mit, was die jeweilige Gesellschaft toleriert und was nicht. Deshalb ist ein neuer Name für das Hamburger Museum dringend geboten. Petra Schellen

Contra

Viel dringender als einen neuen Namen braucht Hamburgs Kolonial-, Pardon, Völkerkunde-Museum ein neues Denken – das wäre die ganz kurze Antwort. Vielleicht was mit Globalisierung. Oder Welt. Aber das scheint ja auch gegeben: Einen etwaigen neuen Namen soll das Haus, so dringt es hinter dessen Mauern hervor, erst am Ende kriegen, am Ende einer „intensiven Phase der Neuorientierung“, heißt es. So weit, so seriös.

Bloß ist die Gefahr nicht gänzlich gebannt. Denn einen neuen Namen draußen dran schrauben, Briefköpfe ändern, neue Visitenkarten bestellen: Das alles ist überschaubarer Aufwand, verschwindend im Vergleich mit der Strahlkraft des Ergebnisses. Wer sagt eigentlich, dass am Ende nicht doch vor allem die Umbenennung kommt? Weil alles weitere am Sich-neu-Orientieren so mühsam ist, und wegen der begrenzten Vermittelbarkeit ans breite Publikum winken nicht mal Rum und Ehre?

Es ist aber auch eine Frage der Aufrichtigkeit: Wer einen vom Zeitgeist ausgemusterten Begriff wie „Völkerkunde“ glaubt verschwinden lassen zu müssen, der beseitigt zwar nicht gleich ganz das Wissen darum, dass eben dieser Begriff lange Zeit anders bewertet wurde. Und des Problematischen am Völkischen werden wir ganz sicher nicht Herr, indem wir das Wort Volk möglichst wenig verwenden; ganz zu schweigen davon, dass mit dem Ausfallschritt hin zu irgendwelchen Bindestrich-Ethnologien im Namen nun wirklich kein Fortschritt erreicht ist, denn die Ethnie ist ja nichts anderes als das griechische, mithin bildungsbürgerlich verbrämte – Volk.

Das Museum zu modernisieren, ihm seinen überkommenen Geist auszutreiben, die Asymmetrie zu korrigieren, zwischen dem weißen Mann im Tropenanzug (oder auch dem Missionarsgewand) und den angeblich so Wilden mit Knochen im krausen Haar: Das alles ist geboten. Es sind dies die eigentlichen Aufgaben an der Rothenbaumchaussee, die wirklich hart zu knackenden Nüsse. Die Änderung eines Namens, und dann ausgerechnet, weil er „keine Identifikationsmöglichkeit mehr“ biete, ist dagegen bloße Kosmetik.

Insofern: Klar kann sich das derzeit noch der Völkerkunde verpflichtete Museum einen neuen Namen gönnen. Es kann daraus sogar ein Mitmach-Event machen, etwas, wie man es heute so gerne (wie falsch) zur „Partizipation“ hochjazzt (über deren „Identifikationsmöglichkeit“ gesondert nachzudenken wäre). Es darf sich halt nur nicht darauf beschränken. Alexander Diehl

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