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Aufnahme gefährdeter Af­gha­n*in­nenDobrindts Tricksereien untergraben den Rechtsstaat

Gastkommentar von Martin Sökefeld

Das Innenministerium versucht die Einreise gefährdeter Af­gha­n*in­nen zu verhindern. Selbst in Fällen, wo ihr Visarecht gerichtlich bestätigt ist.

Die Taliban haben gut lachen, den Dobrindt ist bereit den Rechtstaat für sie zu verraten Foto: Nava Jamshidi/AP Photo

I st Deutschland ein Rechtsstaat? Man kann daran zweifeln, wenn man das Agieren der Bundesregierung im Fall der rund 2.300 gefährdeten Af­gha­n*in­nen betrachtet, die mit humanitären Aufnahmezusagen in Islamabad auf Visa für Deutschland warten. Viele von ihnen haben vor Berliner Gerichten die Bundesregierung auf Erteilung von Visa verklagt. In vielen Fällen hat die Bundesregierung verloren. Einige Familien konnten daraufhin nach Deutschland einreisen.

Aber inzwischen bedient sich das Innenministerium neuer Tricks und entzieht denjenigen, die Prozesse gewonnen haben, die Aufnahmezusage. Damit verlieren sie auch die von der Bundesregierung bereitgestellte Unterkunft in Islamabad und stehen auf der Straße. In Islamabad sind sie schutzlos der pakistanischen Polizei und Abschiebungen nach Afghanistan ausgeliefert. Auch eine hochschwangere Frau ist davon betroffen. Gleichzeitig gehen auch die brutalen Razzien der pakistanischen Polizei in den Gästehäusern weiter.

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Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) erklärt gebetsmühlenhaft, alle Zusagen würden überprüft. Er verschweigt dabei stets, dass in circa 900 Fällen die Sicherheitsüberprüfungen bereits abgeschlossen sind. Nachdem monatelang Stillstand herrschte, wurden nun in der Botschaft in Islamabad Interviews mit den Betroffenen wieder aufgenommen, allerdings anders als erhofft. Auch solche Afghan*innen, die das Sicherheitsinterview bereits durchlaufen hatten, werden erneut zum Gespräch mit Ver­tre­te­r*in­nen des zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geladen.

Bild: privat
Martin Sökefeld

ist Professor am Institut für Ethnologie der Ludwig-­Maxi­milians-­Uni­ver­si­tät München.

Die Folge davon: Auf ein BAMF-Interview muss wieder ein Sicherheitsinterview folgen, die Verfahren werden weiter in die Länge gezogen. Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) sagte, jede Aufnahmezusage werde geprüft mit dem Ziel, sie zurückzunehmen. Und Dobrindt spricht lieber mit den Taliban über regelmäßige Abschiebungen. Das ist eine Pervertierung des Rechtsstaats. Von Humanität ganz zu schweigen.

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18 Kommentare

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  • "Deutschland ein Rechtsstaat? Man kann daran zweifeln, wenn man das Agieren der Bundesregierung im Fall der rund 2.300 gefährdeten Af­gha­n*in­nen betrachtet"

    Eine Nummer kleiner hätte es auch getan. Staatliche Willkür untergräbt zwar rechtsstaatliche Prinzipien und ist in der Geschichte der Bundesrepublik auch schon häufiger vorgekommen, aber der Rechtsstaat wackelt deshalb noch lange nicht, wenn einer ihrer Säulen kurzzeitig ins Wanken gerät.

    Es ist im übrigen sehr viel gefährlicher für einen Rechtsstaat, wenn seine Funktionalität bei Fehlverhalten einzelner Komponenten der Legislative, Exekutive oder Judikative bereits von Teilen der Bevölkerung und besonders öffentlich in Frage gestellt wird. Das befeuert meistens die falsche Seite. Auch hierfür gibt es in der Historie eine ganze Reihe von Negativbeispielen.

  • Ein schmieriges Spiel. Erzähle mir von der CDU keiner mehr was von Christentum und Rechtsstaat.



    Man muss sich was überlegen.

  • Es wird nicht lange dauern, bis die rechten Acounts kommen und erklären werden, dass das alles so in Ordnung sei. Der Einfluss von MAGA auf die Union ist nicht zu unterschätzen.

  • Die Mehrheit der Amerikaner hat die menschenverachtende Politik eines Donald Trump gewählt. Die Mehrheit der Deutschen eben CDU/CSU. Same Vibes.

  • Und die SPD will sich damit herausreden, dass es okay sei, solange man nur über Dritte mit den Taliban verhandelt. Ich weiß grad gar nicht, welche Partei in der Regierung die peinlichste ist

  • Mir verschlägt es fast die Worte, angesichts dieser unmenschlichen, perfiden Vorgehensweise von Herrn Dobrindt und Konsorten. Warum können sie die Gerichtsurteile einfach ignorieren, ohne daß ihnen diesbezüglich empfindliche Strafen bei Nichtbeachtung drohen? Stehen Politiker jetzt außerhalb von Recht und Gesetz? Das kann ja wohl nicht sein. Was funktioniert da nicht?

    • @Irm mit Schirm:

      Das Beunruhigende ist, dass diese Politik bei immer mehr Menschen Anklang findet. Einfach nur grauenhaft. Unsere Gesellschaft wird mir immer fremder!

  • Na ja, Dobrindt und Rechtsstaat, das ist halt ein unüberbrückbarer Gegensatz.



    Und der Torsten Frei hat schon 2021, als kurz bevor die Bundeswehr Afghanistan fluchtartig verlies, im Bundestag über die Aufnahme von gefährdeten Ortskräften in Deutschland gesprochen wurde, eine flammende Rede gegen die Aufnahme dieser Menschen gehalten, weil angeblich gar keine Gefahr für diese Menschen bestehen würde.



    Meiner Meinung nach ein erbärmliches Zeugnis von Menschenverachtung.



    Ich verstehe nicht, wieso diese Partei nach wie vor noch das "C" im Namen führt.

  • Eine erschreckende Entwicklung. Ein Minister der längst schon aus Scham in der Versenkung hätte verschwinden müssen, lebt in neuer Rolle echte Menschenfeindlichkeit aus: Paktieren mit einem mörderischen Staat, Auslieferung von Geflüchteten in Folter und Tod und Abbau des Rechtsstaats hier vor Ort. Mensch fragt sich, wie diese Entscheiderriege noch in den Spiegel schauen kann, geschweige denn einfach weitermachen kann, als wären wir hier nicht eine Demokratie.

  • Dobrindt und Frei: Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich... möchte. (Nach Max Liebermann). Die beiden hat Pistorius dem Vernehmen nach als "völlig empathielos" bezeichnet. Zumindest hier dürfte er Recht haben.

    Dobrindt hat ja auch in Bezug auf die "Zurückweisungen" ein besonderes Verhältnis zum Rechtsstaat.

  • Kosten diese Sicherheitsüberprüfungen so wenig, dass man sie beliebig wiederholen und in die Länge ziehen kann? Oder will man die Kosten mit dem Runterfahren des Bürgergelds kompensieren? Dann hätte man die Lieblingsthemen der Innenpolitik aufs Allerliebste kombiniert ...



    Teile der Bundesregierung scheinen total begeistert von Trumps Vorbild, was den Umgang mit Recht und Gesetz angeht.



    Außerdem ist es schlichtweg widerwärtig, mit Zusagen nach Pakistan gelockte Menschen, die dort seit Jahren - oft in großer Angst - warten, jetzt vollends zu verraten. Auszuliefern an das Terrorregime der Taliban, vor denen man sie in Sicherheit bringen wollte. Stattdessen Aufwertung der Taliban-Schergen als Dobrindt-Gesprächspartner, - für mögliche Wählerstimmen im Inland. Nach dem jämmerlichen Rückzug der Truppen aus Afghanistan sinkt man nun Richtung Talsohle. Kein Einheimischer sollte sich bei künftigen Auslandseinsätzen noch als Unterstützer oder Helfer zur Verfügung stellen.

    • @Woodbine:

      "Im Januar 2025 lobte Dobrindt den neu im Amt befindlichen US-Präsidenten Donald Trump für dessen schnelles Regieren per Dekreten. Die Bilder aus den USA zeigten mit Trump einen Präsidenten, der jeden Tag mit seinen Dekreten beweise, dass er in der Lage sei, politische Veränderungen herbeizuführen. Das führe auch in Deutschland zu der Erkenntnis, dass schnelle Veränderungen möglich seien, wenn die verantwortlichen Politiker dafür bereit seien" (Wikipedia)

  • Die AfD kann ihm nur vorwerfen, dass er nicht ihre Terminologie benutzt und etwas länger braucht als ein AfD-Minister brauchen würde. Ansonsten empfiehlt er sich glaubwürdig als Koalitionspartner der Rechtsextremisten.

  • Vom Rechtsstaat hält dieser Herr offensichtlich nicht viel. Ich erinnere an die Maut-Affaire: Verstoß gegen geltendes EU-Recht -hat den Steuerzahler eine schlappe halbe Milliarde gekostet. Da wundert es mich nicht, wenn er jetzt gerichtliche Entscheidungen ignoriert. Ich habe mal seine Haltung in vielen gesellschaftspolitischen Fragen mit denen von Herrn Kickl (FPÖ) verglichen und empfehle Herrn Dobrindt einen Wechsel zur AfD.

  • Unglücklich gewähltes Foto. Zumindest ohne Subtext.

  • Dass die Union der Dobrindts, Spahns, Klöckners oder Merz‘ eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat darstellt, sollte nun wirklich niemanden verwundern. Handlungen und Äußerungen der Protagonisten sprechen schon länger für sich.

    • @Flix:

      Im April ´22 kam f.merz aus den usa zurück.



      Die Union litt noch immer am Trauma der verlorenen Bundestagswahl. Hinzu kam der gewaltige Aufschlag von Scholz´ Zeitenwende-Rede.



      Man kann vermuten, dass f.merz etwas aus den usa mitbrachte - eine Handlungsanweisung, ein playbook, ein Screenbook... - nennen wir es versuchsweise "project 2025 - die Sauerlandpapers". Man tut der Union nicht Unrecht zu unterstellen, dass sie unendlich einfallslos ist. So könnte die Blaupause aus den usa unmerklich (?) in die Bundesrepublik ein gesickert sein. Hier vermisse ich eine proaktive Recherche der Journalisten, die ungleich mehr Möglichkeiten haben als Normal-Googler und Statista-Gänger.



      Was - an MAGA-Kost ist implementiert?

  • Minister:innen sollten für eklatanten Rechtsbruch auch juristische Konsequenzen tragen müssen.



    Dank politischer Immunität kann Dobrindt aber praktisch machen was er will.



    Wenigstens eine ordentliche finanzielle Entschädigung für die Betroffenen sollte es aber geben.



    Mit der Regierung von Pakistan muss eine Übereinkunft getroffen werden, mit Sicherheitsgarantie. Ansonsten MUSS die Überprüfung in Deutschland stattfinden