Aufstände in der arabischen Welt: Ausbruch ins Weltgeschehen

Vor einem Jahr begannen die Aufstände in der arabischen Welt. Der Berliner Mido Hafez hat die Revolte auf dem Tahrirplatz in Kairo miterlebt.

Auch in diesem Jahr gibt es Demonstrationen auf dem Tahrirplatz. Bild: dapd Ap, Khalil Hamra

Er hat lang auf die Revolution gewartet, und als sie kam, hat sie tiefe Spuren hinterlassen - schöne wie grausame. Seit er 20 war, interessierte sich Mido Hafez, heute 29, für Politik. Auf die Weise, "wie in Ägypten damals alle interessierten jungen Menschen sich für Politik interessierten": ebenso verzweifelt wie ausdauernd, ohne Hoffnung.

Vor fünf Jahren hat er Ägypten verlassen, lebt seither mit seiner deutschen Frau in Berlin. Er ist hier zu Hause, unterrichtet auf privater Basis Arabisch, vor wenigen Tagen hat er sein erstes Kind bekommen. Doch seine Eltern, seine Schwester, seine Freunde - "alle, mit denen ich aufgewachsen bin" - sind noch in Ägypten. Er ist auch oft dort. "Länger als fünf, sechs Monate halte ich es sonst nicht aus."

2008 war er noch einmal länger in Ägypten, seine deutsche Frau hatte für sechs Monate eine Job in Alexandria. Es war die Zeit, als in der Textilarbeiterstadt Mahalla ein mächtiger Streik ausbrach, überall im Land Demonstrationen stattfanden, aus den Solidaritätsgruppen die Jugendbewegung 6. April entstand. "Ab da habe ich gewartet", sagt er heute. "Auf die Revolution." Als die Revolution in Tunesien den Präsidenten Ben Ali stürzte, wusste er: "Mit 80 Prozent Chance geht es auch in Ägypten los."

Am 25. Januar, dem ersten Tag der großen Demonstrationen, war er noch skeptisch, "ob alles wieder läuft wie immer - die Schlägertrupps des Präsidenten Mubarak prügeln die Demonstrationen auseinander". Doch zwei Tage später war ihm klar, dieses Mal nicht.

Er buchte einen Flug nach Hurghada am Roten Meer. Dort herrschte zu dem Zeitpunkt schon Ausgangssperre, kein Bus fuhr mehr nach Kairo. "Ich lief vier Stunden lang die Fernstraße entlang, bis mich zum Glück ein Auto mitnahm." Am 30. Januar kam er in Kairo an und ging direkt auf den Tahrirplatz: zu seiner Schwester, seinen alten Freunden, die dort schon unter Tausenden anderen ihre Zelte aufgeschlagen hatten.

Mido Hafez blieb keine Zeit anzukommen. In der Nacht griffen Tausende bezahlter Schläger, unterstützt von der Polizei, die Demonstrierenden an, mit scharfen Schüssen, Molotowcocktails, Stöcken, Pferden und Kamelen; der "Camel Day" war der brutalste Tag der ägyptischen Revolution. 14 Stunden lang kämpften die Protestierenden um den Platz - und um ihr Leben. Hafez sah, wie Menschen verstümmelt wurden und wie sie starben, sah manche über sich hinauswachsen und andere zusammenbrechen. Seine Eltern riefen auf dem Handy an, warnten, weinten. - "Wir wussten nicht, ob wir die Nacht überleben", sagt Hafez.

Am 25. Dezember 2010 setzt sich der 26-jährige Mohammed Boauzizi im tunesischen Sidi Bouzid in Brand - aus Protest gegen prekäre Lebensbedingungen und Polizeiwillkür. Das löst in Tunesien landesweit Unruhen aus, die das Regime trotz harter Repression nicht in den Griff bekommt. Am

14. Januar 2011 flieht der tunesische Präsident Ben Ali.

Aufstände in der ganzen arabischen Welt folgen: Am 25. Januar beginnt die Revolution in Ägypten, nach 18 Tagen Massenprotest und Streiks tritt Präsident Husni Mubark nach 30 Jahren an der Macht zurück. Das Militär übernimmt die Macht. In Bahrain und Jemen beginnen kurz darauf Aufstände gegen die Machthaber. Libyen folgt am 16. Februar: Mit Unterstützung von Nato-Truppen stürzen die Aufständischen im August Muammar al-Gaddafi.

Im März beginnt in Syrien die Revolution, sie wird vom Regime Baschar al-Assads blutig unterdrückt. Aufstände und Proteste flammen in Irak, Iran, den Golfstaaten, Marokko und Algerien auf. Auch die Protestbewegungen in Spanien ab Juli und den USA ab September beziehen sich auf die Arabische Revolution.

Am Morgen, als die Angriffe nachließen, schleppte er sich mit Freunden erschöpft zu einem nahen Hotel. "Da kamen uns die Menschen entgegen, die die Bilder der Angriffe gesehen hatten, alle strömten zum Platz, manche trugen Schilder: ,Entschuldigt, dass wir euch allein gelassen haben'." Da habe er gewusst: "Wir haben gewonnen."

Er verließ den Platz, ging nach Hause, um sich auszuruhen. Und merkte, dass er nicht mehr schlafen konnte, dass er immer zu zittern begann. "Es ging einfach nicht mehr. Die nächsten Tage ging ich immer wieder zum Tahrirplatz, aber länger als drei, vier Stunden konnte ich auch dort nicht bleiben. Diese Ereignisse, die Bilder dieser Nacht waren einfach zu viel." Als am 8. Februar die ersten Airlines ihre Flüge wiederaufnahmen, flog er zurück nach Berlin.

In Sicherheit

Es war eine Erleichterung - erst mal -, nach Hause zu kommen, in Sicherheit zu sein. Und hart dennoch. "Der beste Tag, das war der Tag, als Mubarak zurücktrat. Und der schmerzlichste zugleich. Alle in Ägypten feierten, selbst mein Vater, der zuvor nie auf die Straße gegangen war. Und ich war nicht dort." Gefeiert hat er dennoch, im Café Umm Kalthoum in der Neuköllner Sonnenallee, wo sich die ägyptische Exilgemeinde traf. Etwa 30 Leute waren da, sie kennen sich, hatten sich über Telefon über die Neuigkeit informiert. Hafez trifft sie auch jetzt noch manchmal, bei Demos vor der ägyptischen Botschaft.

Aber richtig heimisch ist Hafez nicht mehr geworden in seinem Berliner Leben, in der ruhigen Wohnung mit Blick auf den Mariannenplatz, in der er mit seiner Frau wohnt, in die seine Schüler zum Unterricht kommen. Einem Leben, für dessen Sicherheit er dankbar ist und das doch in seltsamem Kontrast steht zu den Ereignissen in Kairo, die ihn beschäftigen. Zweimal ist er seit Februar nach Ägypten geflogen, für ein oder zwei Wochen.

Doch auch wenn er nicht dort ist: Die Ereignisse lassen ihn nicht los. "Ich saß Tag und Nacht vor dem Computer, sah Videos, verfolgte, was geschah. Ich konnte noch immer nicht schlafen, war unfähig, mein normales Leben weiterzuleben. Die Bilder aus den Tagen und Nächten auf den Platz ließen mich nicht los."

Auch jetzt, zehn Monate später, ist sein Alltag von der Revolution und ihren Nachwehen bestimmt. In "normalen" Zeiten, wenn in Kairo wenig passiert, versucht er sein Leben in Berlin zu leben, gibt Unterricht, checkt "nur ein bis zwei Stunden am Tag" die Neuigkeiten aus Ägypten. "Aber sobald dort das Militär wieder die Demonstrierenden angreift, Proteste ausbrechen, geht für eine Woche nichts mehr. Dann bin ich in Gedanken nur noch dort."

Was "dort" inzwischen passiert, das enttäuscht ihn. Am Anfang, sagt er, sei so viel Hoffnung gewesen. Er war nicht mehr da, als die Gruppen, die Freundschaften, die auf dem Platz entstanden seien, zerbrachen. Das Militär, dem die Bewegung nach der Revolution bedingungslos vertraut hat, dass es das Land in die Demokratie führen würde, herrsche jetzt mit derselben Brutalität wie das Regime vor ihm. "Vor ein, zwei Monaten", sagt Hafez, "ist mir klar geworden, dass wir wieder an demselben Punkt sind wie ein Jahr zuvor." Die politisch Aktiven seien isoliert.

Und dennoch, sagt Hafez, habe die Revolution für ihn alles verändert. Nicht nur sein Gefühl, Ägypter zu sein, das auf einmal mit so etwas wie Stolz verbunden sei, mit ebenjener Würde, die sich die Menschen auf dem Tahrirplatz zurückerkämpft hätten. Sondern auch sein Blick auf Deutschland. "Davor", sagt er nachdenklich, "war das hier für mich das Paradies. Ich dachte, das hier wäre Freiheit, Demokratie." Seit er vom Tahrirplatz zurückgekehrt sei, sehe er auch die Gesellschaft in Deutschland, in Europa in einem anderen Licht. "Ich habe dort auf dem Platz erlebt, wie Menschen wirklich sein können. Und habe gemerkt, dass zu wirklicher Freiheit, zu wirklicher Teilhabe, zu einem würdevollen Leben noch viel fehlt."

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