Aufstand der Zapatisten: Revolte aus dem Dschungel

Vor 20 Jahren rebellierten die Zapatisten gegen Neoliberalismus und die Unterdrückung der Ureinwohner in Mexiko. Verändert hat sich seitdem nicht viel.

Vor 20 Jahren: Mitglieder des Zapatischen Befreiungsheers im mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Bild: reuters

BERLIN taz | Es war eine verrückte Silvesternacht, 1993/94, in Mexiko. In der Hauptstadt erhob Präsident Carlos Salinas de Gortari sein Glas auf das wichtigste Werk seiner sechsjährigen Amtszeit: das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta. Kanada, die USA und Mexiko bildeten zusammen einen kaum noch regulierten neoliberalen Markt. Der Vertrag hat Mexiko von Grund auf verändert.

Zur selben Stunde, im südlichsten und ärmsten Bundesstaat Chiapas, krochen vermummte indigene Guerilleros – in ihrer Mehrzahl vom Volk der Mayas – aus ihren Verstecken im Nebel des Urwalds von Lakandonien. Sie nahmen San Cristóbal de las Casas und sechs weitere Provinzstädte im Handstreich ein.

Mit einem spektakulären Überraschungscoup betrat das Zapatistische Befreiungsheer (EZLN) die Bühne der Öffentlichkeit. Auch das hat Mexiko verändert. Wenn auch – das kann mit dem Abstand von zwanzig Jahren gesagt werden – nicht viel.

Der Mann: Emiliano Zapata (1979–1919) ist der Namenspatron des EZLN. Markenzeichen: der vollendet geschwungene Schnurrbart und der breitkrempige Sombrero. 1911 wurde er zum Revolutionsführer in Südmexiko gewählt.

Das Programm: Er befehligte rund 4.000 besitzlose Landarbeiter, die als eine der ersten Guerilla-Armeen den Regierungstruppen schwere Verluste beibrachten. Sein Ziel: eine Agrarreform.

Sein Ende: 1919 wurde Zapata auf Geheiß Venustiano Carranzas, der auf dem Ticket der Revolution das Präsidentenamt anstrebte, heimtückisch ermordet.

Präsident Salinas de Gortari reagierte schlau. Er wollte den Konflikt auf kleiner Flamme abkochen. Er schickte 12.000 Soldaten ins Konfliktgebiet, ordnete aber bereits am 12. Januar einen einseitigen Waffenstillstand an und stellte den Zapatistas eine Generalamnestie in Aussicht. Bis dahin waren bei kleineren Scharmützeln 46 Rebellen getötet worden. Die Zapatisten, die in entlegenen Gegenden Land von Großgrundbesitzern requirierten, sollten belagert, neutralisiert und ohne großes internationales Aufsehen aufgerieben werden.

Das militärische war nur Theater

Salinas de Gortari, ein Raubtierkapitalist durch und durch, glaubte, Freihandel und deregulierte Märkte, das sei die Zukunft. Die Zapatistas wirkten dagegen eher wie die wiederauferstandene Vergangenheit. Die Hochzeit der bewaffneten Rebellion hatte in Lateinamerika und in der Karibik Mitte der fünfziger Jahre in Kuba begonnen und war 1994 längst vorbei.

Keine guten Voraussetzungen also für eine kleine und schlecht bewaffnete Guerilla, die zudem über keine breite Machtbasis verfügte. Ihr militärischer Anfangserfolg – die Besetzung von sieben Provinzstädten – war einzig dem Überraschungsmoment zu verdanken und währte nur wenige Tage. Dann zog sich die Zapatistische Befreiungsarmee zurück in den Urwald.

Der linke chilenische Soziologe Tomás Moulián sprach später von der „Inszenierung“ eines Guerillakriegs. Er meinte das nicht negativ. Er verstand die Zapatistas als Protagonisten einer ganz neuen Form des militanten Klassenkampfs, in dem die Botschaft, der Diskurs an erster Stelle stand; das Militärische war nur Theater.

Revolutionäre Accessoires

Subcomandante Marcos, das öffentliche und zugleich versteckte Gesicht der Zapatistas mit den grünen Augen im Sehschlitz der über den Kopf gezogenen Wollmütze, war zur Ikone stilisiert, die eine Zeit lang dem Porträt Ernesto Che Guevaras mit dem melancholisch in die Ferne schweifenden Blick ebenbürtig war.

Der Mann im grünen Drillich zeigte sich gerne zu Pferd, die Pfeife im Mund, über die Brust zwei gekreuzte Patronengurte wie einst der mexikanische Freiheitsheld Emiliano Zapata, der Namensgeber der Guerilla. Über die Schulter lugte der Lauf seines Gewehrs, und wer ein bisschen genauer hinsah, konnte erkennen, dass die Munition vor der Brust nicht in den Lauf der umgehängten Waffe passte. Es waren dicke Schrotpatronen, optisch beeindruckend, aber fürs Töten denkbar ungeeignet. Sie waren keine Drohung, sondern ein revolutionäres Accessoire.

Der militärische Aufmarsch des 1. Januar 1994, sagt Moulián, war „ein Scheingefecht“. Die Zapatistas „benutzten ihn als Sprachrohr, als Pamphlet, zur verbalen Auseinandersetzung – so wie sie auch die charismatische Führerfigur benutzten: Sie machten Marcos zu einer Gestalt der Massenmedien.“

Die ersten Worte des ersten Kommuniqués vom 2. Januar 1994 waren ein griffiger Slogan, der seither bei allen sozialen Kämpfen Lateinamerikas millionenfach wiederholt wurde: „Hoy decimos ¡basta!“ – „Heute sagen wir: es reicht!“ Triumphalistisch wurde angekündigt, die zapatistischen Truppen würden in die über tausend Kilometer entfernte Hauptstadt marschieren und die Regierungsarmee besiegen. Sie würden kämpfen für „Arbeit, Land, Wohnung, Nahrung, Gesundheit, Bildung, Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden“. Das „Volk von Mexiko“ solle sich ihnen anschließen.

Zwischen Scheinverhandlung und Repression

Der umfassende Katalog der Ziele erinnert ein bisschen an Che Guevaras Aufruf: „Seid realistisch! Fordert das Unmögliche!“ Und es war ebendieser Utopismus, der damals, 1994, einen Nerv traf. Marcos erkannte schnell, dass er international fast mehr Widerhall fand als im eigenen Land und richtete sich darauf ein. Seine eher poetisch und vage gehaltenen Briefe aus dem Dschungel – die mehr Fragen als Antworten enthielten – wurden Kult.

Die Rede von der „nationalen Befreiung“ trat in den Hintergrund, es ging um sehr viel mehr. Spätestens seit dem „Ersten Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus“ vom August 1996 in Aguascalientes, wo 3.000 Besucher aus 42 Ländern zusammen mit 2.000 Mexikanern debattierten, war klar: Die Zapatistas waren die Vorläufer eines neuen linken Projekts. Sie waren die Ersten, die zeigten: Der ungezügelte Kapitalismus muss nicht das Ende der Geschichte sein. Der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, Attac, Occupy – das alles kam erst danach.

Salinas und genauso sein Nachfolger Ernesto Zedillo balancierten zwischen Scheinverhandlung und Repression. Mehr als das Abkommen von San Andrés vom Februar 1996 kam dabei nicht heraus, und auch dieser Vertrag über Rechte und Kultur der indigenen Bevölkerung wurde bis heute nicht umgesetzt. In Zedillos Amtszeit fällt das größte Massaker in der Geschichte des zapatistischen Aufstands: Kurz vor Weihnachten 1997 überfiel eine der Regierungspartei nahestehende Miliz das mit den Zapatistas sympathisierende indigene Dorf Acteal und ermordete 45 wehrlose Männer, Frauen und Kinder.

Der Kampf um die Rechte der diskriminierten Urbevölkerung des Landes stand bei den Zapatistas immer in einer seltsamen Parallelität zur Rede von der gesamten Menschheit. Die beiden Themen bezogen sich zwar stets aufeinander, konnten sich aber doch nie richtig berühren. In Mexiko ging es um indigene Rechte, international um Humanität und gegen den Neoliberalismus.

Letzter Propagandaerfolg

Die mexikanische Regierung nahm immer nur das indigene Anliegen wahr. Auch der 2000 an die Macht gekommene konservative Präsident Vicente Fox lud die Zapatistas zu Gesprächen darüber ein und glaubte, man könne das Thema „in 15 Minuten erledigen“. Der Marsch der Rebellen Anfang 2001 von Chiapas bis nach Mexiko-Stadt war ihr letzter Propagandaerfolg. Doch die Verhandlungen endeten, wie stets, im Nichts.

2003 zogen die zapatistischen Mayas Konsequenzen: Sie schlossen die von ihnen beherrschten 27 „autonomen rebellischen Gemeinden“ in fünf Verbände zusammen, die sie nach ihrer Mythologie „caracoles“ („Schnecken“) nennen und die nach eigenen Regeln verwaltet werden. 2005 kündigte das EZLN an, die Waffen niederzulegen. 2006 und 2007 warben sie mit „la otra campaña“ („der andere Wahlkampf“) genannten Rundreise durch Mexiko für ihr Ideal autonomer Selbstverwaltung – und wurden kaum mehr beachtet.

Im März 2013 erklärte Marcos seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit. Jetzt, zum 20. Jahrestag des Aufstands, hat er noch einmal einen Brief aus dem Dschungel geschrieben, wie gewohnt im eher poetisch vagen Stil. Er enthält Merksätze wie: „Gerechtigkeit bedeutet auch, zu verhindern, dass sich Ungerechtigkeit wiederholt.“ Sein Thema: Der Kampf geht weiter. Wieder enthält der Brief mehr Fragen als Antworten und klingt dabei nicht kämpferisch oder trotzig, eher ein bisschen melancholisch.

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