Aufstand in Libyen: Gaddafi entgleitet die Macht

Gaddafi-Gegner kommen Tripolis und damit dem libyschen Regime immer näher. Die drittgrößte Stadt Misurata haben sie bereits unter Kontrolle. In Bengasi sitzt nun eine Übergangsregierung.

Die Gaddafi-Gegner kommen dem Regime immer näher. Bild: reuters

TRIPOLIS/BENGASI afp/dpa | Unbeeindruckt von den Sanktionen des UN-Sicherheitsrates hält der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi weiter an seiner bröckelnden Macht fest. Loyale Milizen kontrollierten weiterhin die meisten Stadtteile in der Hauptstadt Tripolis, berichtete der arabische Fernsehsender al-Dschasira am Sonntag. Eine Frau berichtete in einem Telefongespräch: "Ich habe Angst auf die Straße zu gehen, weil ständig geschossen wird." Milizen würden Taschen, Ausweise und sogar die Mobiltelefone kontrollieren. Doch selbst in Tripolis sollen Aufständische erste Stadtteile erobert haben.

Der Großteil des Ostens Libyens ist nach Angaben der Opposition in der Hand der Aufständischen. Gegner Gaddafis haben jetzt auch die drittgrößte Stadt des Landes ihre unter Kontrolle gebracht. Regierungstreue Truppen und Milizen hätten Misurata verlassen, sagte ein Einwohner am Sonntag in einem Telefongespräch al-Dschasira. Am Stadtrand gebe es noch vereinzelte Gefechte.

Misurata liegt rund 200 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis am Mittelmeer und gilt als Wirtschaftszentrum. Nach Angaben der Opposition soll der gesamte Osten des Landes inzwischen befreit sein. Auch die nur 50 Kilometer von westlich der Hauptstadt gelegene Stadt Al-Sawija soll mittlerweile in der Hand der Gaddafi-Gegner sein.

Staatschef Gaddafi hat sich in der Hauptstadt Tripolis im Stadtteil Bab al-Asisija verschanzt. Die Sicherheitsmaßnahmen in der Gegend seien beispiellos, berichtete die arabische Tageszeitung Asharq Al-Awsat. Augenzeugen geben an, dass loyale Milizen den Zugang zum Stadtteil kontrollierten. Al-Dschasira berichtet, Gaddafi wolle Tripolis auf keinen Fall verlassen. Unter Berufung auf engste Familienkreise heißt es, er wolle eher sterben. Der Militärkomplex, in dem sich Gaddafi aufhält, wird nach Angaben der Zeitung Asharq al Awsat mit Panzern und Raktenwerfern geschützt.

Übergangsregierung für drei Monate

Der ehemalige libysche Justizminister Mustafa Abdul Dschalil will in Bengasi unterdessen eine Übergangsregierung bilden. Obwohl die ehemaligen staatlichen Sicherheitsstrukturen in der zweitgrößten Stadt des Landes zusammengebrochen sind, ist die Lage nach Berichten von Einwohnern ruhig. "Das befreite Libyen ist stabil. Das zeigt, dass die Menschen das Land regieren können", sagte Awad al-Feituri vom libyschen Informationszentrum al-Dschasira. Allein in Bengasi sollen nach ersten Schätzungen mindestens 750 Menschen getötet worden sein.

Die Zahl der Toten in ganz Libyen ist nach den Worten des stellvertretenden libyschen UN-Botschafters Ibrahim Dabbaschi auf weit über 1.000 angestiegen. Die vom ehemaligen libyschen Justizminister Mustafa Abdel Dschalili angekündigte Übergangsregierung soll Neuwahlen in dem nordafrikanischen Land vorbereiten. Die Entscheidung, eine derartige Regierung zu bilden, sei von den Mitgliedern lokaler Räte in den östlichen Regionen des Landes getroffen worden, sagte Dschalil am Samstag. Die geplante Übergangsregierung solle sich aus Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft und des Militärs zusammensetzen und für höchstens drei Monate im Amt sein. "Anschließend wird es gerechte Wahlen geben und die Leute können ihren Führer wählen", fügte Dschalil hinzu. Er schloss Verhandlungen mit Muammar el Gaddafi über eine mögliche Ausreise aus Libyen aus. Der langjährige Machthaber müsse sich vor der libyschen Justiz verantworten.

Dschalil äußerte sich in der Stadt El Baida östlich von Bengasi, dem Zentrum des Aufstands gegen Gaddafi. Der frühere Justizminister war am 21. Februar aus Protest gegen das brutale Vorgehen der libyschen Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten von seinem Amt zurückgetreten.

Bewaffnete Soldaten an Rettungseinsatz beteiligt

Derweil wurde bekannt, dass an dem Rettungseinsatz der deutschen Luftwaffe, bei dem 133 Menschen aus Libyen ausgeflogen wurden, offenbar auch bewaffnete Bundeswehrsoldaten beteiligt waren. Fallschirmjäger aus Seedorf seien an Bord der zwei Transall-Maschinen gewesen, die die ausländischen Staatsangehörigen von einem Flughafen nahe dem Ölfeld Nafurah in Sicherheit brachten, berichtete die Bild am Sonntag (BamS) unter Berufung auf Regierungskreise.

Die Bundeswehr hatte zuvor mitgeteilt, dass die Menschen in Begleitung von Sicherungskräften auf die griechische Insel Kreta geflogen worden seien. Unter ihnen waren nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Berlin dutzende Deutsche und andere EU-Bürger. Nach Schätzungen des Ministeriums befinden sich derzeit noch rund hundert Deutsche in Libyen, die Hälfte von ihnen im Landesinneren. Der Krisenstab sei "weiterhin mit Hochdruck bemüht, den verbliebenen deutschen Staatsangehörigen die Ausreise zu ermöglichen", hieß es.

Die BamS berichtete, eine Gruppe Deutscher sei mit dem Auto von Tripolis aus nach Tunesien geflohen. Das Auswärtige Amt bestätigte demnach, dass die Deutschen von der tunesischen Insel Djerba aus nach Berlin geflogen seien.

Etwa 1400 Italiener haben inzwischen das von Aufständen erschütterte Libyen verlassen. Wie das Außenministerium am Sonntag in Rom mitteilte, verbleiben nur noch "einige Dutzend" Italiener in Libyen. Sie sollen in den nächsten Tagen zurückgeholt werden. Am Vormittag traf das italienische Marineschiff "San Giorgio" mit 258 Menschen aus verschiedenen Ländern von Misurata kommend auf der Insel Sizilien ein. Darunter waren 121 Italiener.

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