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AuftragskompositionHarmonien für die Grimmershörnbucht

Markus Stockhausen hat das Stück "GeZEITen" geschrieben, mit dem am Sonntag die Niedersächsischen Musiktage eröffnen. Anders als sein Vater will er aber niemanden verschrecken.

Hamburg taz | Hauptsache, der Wind spielt mit. Weht sachte, dann und wann vielleicht ein wenig brisig, kommt am besten von Nordwesten her. Und schwingt sich nicht zu Böen auf, die ständig die Richtung wechseln und bringt erst recht keinen Regen mit, damit die Töne nicht verwehen und die Musiker trocken bleiben. Denn am Sonntag, so gegen 17 Uhr, gut 80 Minuten vor Hochwasser, wird erstmalig und danach wohl nie wieder eine Komposition mit der ambitionierten Schreibweise "GeZEITen" aufgeführt werden. Im Freien, im Rund der Grimmershörnbucht vom Fährhafen bis zur Kugelbake, mit Blick auf die Elbmündung und die beginnende Nordsee. Gut sechzig Minuten soll das Stück dauern.

Mit der Landschaftsmusik, mit der dieses Jahr die Niedersächsischen Musiktage eröffnen, wurde der Komponist Markus Stockhausen beauftragt, der auch vor Ort dirigieren wird. Zwar wohnt Stockhausen relativ weit weg von der Küste im Norden des Rheinlandes, doch das sei kein Problem gewesen: "Wenn man so einen Auftrag bekommt, muss man zunächst keine spezielle Beziehung zu einem solchen speziellen Ort haben, aber ich baue sie mir auf."

Und so reiste Stockhausen im vergangenen November, dann wieder im Januar und auch Ende März nach Cuxhaven an die Küste, wanderte durch Wind und Regen, um sich umzuschauen und die im Kopfe entstandenen Ideen, Klänge und Tonfolgen mit der möglichen Wirklichkeit vor Ort abzugleichen: "Es ist eine Wiese direkt am Meer, wo wir spielen werden und in gewisser Weise ist es damit ein beliebiger Ort. Aber es ist ein spezieller Ort für die Cuxhavener und für das Festival."

Die Stadt setzt große Hoffnungen auf dieses Konzert, an dem nach heutigem Stand 600 Musiker teilnehmen werden - Chöre, Bläserensembles und ein Akkordeonorchester. Es handele sich um "kein übliches Konzertprogramm", sondern um ein "einzigartiges ,ganzheitliches' Konzerterlebnis", heißt es in einem Werbepapier der Stadt. "GeZEITen" sei "Community"-Projekt, bei dem Kinder und Jugendliche sowie Laienmusiker und Sänger aller Altersklassen und Spielniveaus involviert seien.

Damit das auch alles klappt, ist seit Monaten Christian Hofmann unterwegs. Er hat Aufrufe an mögliche Musiker in der Ortspresse schalten lassen, er hat immer wieder die diversen Kreismusikverbände kontaktiert und auf dem Laufenden gehalten. Er hat sich darum gekümmert, das rechtzeitig die Strandkörbe vom Strand verschwinden werden und er hat genau ausgetüftelt, wo die Musiker am Tag der Aufführung ihr Gepäck lassen können, wann und wo es eine gemeinsame und sicherlich verbindende Mahlzeit gibt und zuvor geklärt, wer die wie anliefert.

Damit nicht genug: Er war auch stets Ansprechpartner für Markus Stockhausen, wenn der an seinem Komponistenpult stehend atmosphärisch wichtige Informationen benötigte - etwa, wie genau sich der Klang der Hörner der Schiffe anhöre, die dann in Hörweite vor der Küste liegen werden. Dabei hat Hofmann mit Musik erst mal gar nicht so viel am Hut: "Ich war früher Berufssoldat und mag es zu planen und zu organisieren, als Nebenprodukt meines Berufs sozusagen." Gemanagt hat er Auftritte der Big Band der Bundeswehr wie auch Konzerte der Petersburger Sängerknaben.

"Ich habe versucht, ein Stück zu schreiben, das wirkt und das den Mitspielern auch Spaß macht", sagt Stockhausen. "Und es muss spielbar sein, was ein wichtiges Kriterium ist, denn ich würde gern voll in die Tasten greifen, aber das geht nicht, weil ich weiß, ich habe es mit Laien zu tun oder Schülern, die es eben gerade erst lernen, ihr Instrument zu spielen."

Eine kleine Hürde gebe es allerdings doch: Die Musiker und Sänger sollten ihren jeweiligen Part auswendig spielen beziehungsweise singen können - denn sie werden sich den Wellen und den Gezeiten nachempfindend, von einem Ort zum anderen bewegen, statt nur auf einem Fleck stehenzubleiben: "Das war eine Bedingung für das Mitmachen, wo dann viele zuerst vor zurückgeschreckt sind."

Doch nach den ersten Bewegungsskizzen, die herumgereicht wurden, verflog die Skepsis. Geholfen hat auch, dass sich bei den örtlichen Musikern langsam herumsprach, dass Markus Stockhausen zwar der Sohn des Avantgarde-Komponisten Karlheinz Stockhausen ist, musikalisch aber andere Wege beschreitet: "Ich schreibe nicht Kunst für die Kunst. Ich schreibe Gebrauchsmusik, die man auch benutzen kann", sagt Stockhausen.

So sei eine melodische Musik entstanden, die auf klassischen Elementen aufbaue. "Aber sie hat Eigenheiten und es gibt Momente, wo die Musiker frei improvisieren können; wo sie sich innerhalb einer Tonart frei bewegen können. Es wird eine harmonische Musik, die in einigen Momenten mal etwas neutönerisch klingen wird. Es war nicht mein Anliegen, eine schräge, intellektuell überbordende Musik zu komponieren."

Wie bei seinem Vater, der sich stark an der Esoterik orientierte, ist auch bei Markus Stockhausen eine Neigung zum Spirituellen nicht zu übersehen: "Herrlich das Meer/ herrlich der Wind/ klares Licht unsrer Sonne/ Schöpfer des Alls/ wir singen Dir/ Deine Liebe strahlt", heißt es in einem der Liederteile der Komposition. "Ob das nun per se christlich ist, weiß ich nicht; ich glaube, auch in Indien ruft man so den Schöpfer an", sagt der Komponist.

Stockhausen sagt auch: "Wenn man da steht und auf das Meer schaut, das ist nicht ohne." Anfang Juli gab es eine musikalische Gesamtprobe, die allerdings in einer Halle auf dem Cuxhavener Kasernengelände ausgerichtet wurde. Es habe alles gut geklappt.

Bereits am Sonntagvormittag werden Chöre und Bläserensembles die Cuxhavener Innenstadt bespielen - dann noch in Eigenregie, ohne Stockhausen. Nach dem Mittag, so gegen 14 Uhr, geht es langsam raus zur Generalprobe. Vermutlich werden dann schon die ersten Gäste auf den ausgewiesenen Parkplätzen eintrudeln, dirigiert von den Helfern Christian Hofmanns in ihren roten Jacken. "Der Spätnachmittag muss trocken sein", sagt Hofmann. "Wir können das Konzert vielleicht eine halbe Stunde oder auch eine Stunde verschieben - aber es gibt keinen Plan B."

Besonders heikel sei es für die Akkordeonisten - deren Instrumente würden ja nun wirklich keinen Tropfen Regenwasser vertragen. Markus Stockhausen atmet einmal tief durch, sagt dann: "Ich wünsche den Zuschauern eine schöne Aufführung am Meer."

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