Aufwertung durch Kunst?: Migration als Naturzustand

Um unbeliebte Stadtteile attraktiver zu machen, vergibt Hamburgs städtische Wohnungsgesellschaft Saga Künstlerstipendien. Adnan Softic war auf der Veddel.

Der Künstler Adnan Softic steht zwischen Birken vor dem Auswanderermuseum auf der Veddel.

Einwanderer vor Auswandererhallen: Der Künstler Adnan Softic auf der Veddel. Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Wenn es gut läuft, hört man irgendwann auf, Flüchtling zu sein und wird Mensch. Aber das kann dauern, fünf oder zehn Jahre waren es bei ihm, sagt Adnan Softic. Heute ist der gebürtige Bosnier Künstler, Ehemann, Vater, Freund und noch einiges andere. Am Zollhafen auf der Veddel hatte er zwei Jahre lang ein Wohnatelier, finanziert von der Saga. Die Stiftung „Nachbarschaft“ der städtischen Wohnungsesellschaft vergibt seit 2007 Stipendien an sogenannte „Quartierskünstler“, die im Gegenzug Kunst machen, die irgendwas mit dem Viertel zu tun hat. In Softics Fall also mit der Veddel.

GentrifizierungsgegnerInnen kritisieren das als Aufwertungsstrategie: ImmobilienbesitzerInnen finanzieren KünstlerInnen das Wohnen in einem unbeliebten Viertel, um es attraktiv zu machen. Eine subkulturelle Kreativ-Szene soll entstehen, das Viertel soll cool werden.

Gezielte Gentrifizierung durch das Ansiedeln von KünstlerInnen also? Die Aufwertung des Viertels sei nicht die alleinige Zielsetzung des Künstlerstipendiums, sagte Saga-Sprecherin Kerstin Matzen auf Nachfrage. „Ein Ziel ist es, einen niedrigschwelligen Zugang zur Kunst zu schaffen“, erklärte sie. Es sei wichtig, durch eine positive Identifikation der BewohnerInnen mit dem Viertel eine gute Nachbarschaft zu fördern. „Wir haben schließlich einen sozialen Auftrag: die Entwicklung und Förderung der Quartiere.“

Der Sozialwissenschaftler und Stadtentwicklungsforscher Andrej Holm spricht lieber von einer Werbemaßnahme der Saga. Allerdings gehe diese an den Problemen im Viertel vorbei. „Der soziale Auftrag der Saga ist nicht, Kunst zu fördern, sondern günstige Mieten zu sichern“, findet Holm. Was auf der Veddel fehle, seien günstige Mieten und vernünftig bezahlte Arbeitsplätze, nicht Kunst- und Kultureinrichtungen.

Adnan Softic ist sich seiner Rolle als Stadtteil-aufwertender Künstler bewusst. „Ich bin nicht gegen Aufwertung“, sagt er. „Das wäre auch falsch. Ich wünsche den jetzigen BewohnerInnen Aufwertung.“ In den zwei Jahren des Stipendiums hat er zwei Theaterstücke und eine Performance mit Veddel-BewohnerInnen inszeniert, eine Ausstellung kuratiert, einen Film mit Kindern gedreht und ein Buch geschrieben. Bei allen Projekten geht es um Migration.

Ob die Veddel dadurch attraktiver geworden ist? „Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun“, sagt Softic. Hauptsächlich fehle es an Geld. Aber er sieht die Elbinsel als Viertel der Zukunft: im Hinblick auf die Überwindung nationaler Strukturen. Von den rund 5.000 BewohnerInnen haben 70 Prozent einen Migrationshintergrund, unter den Kindern und Jugendlichen sind es laut Statistikamt Nord sogar 90 Prozent. „Das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit ist umgedreht“, sagt Softic. „Die nationale Erzählung funktioniert hier nicht.“ Das sei es, was ihm an der Veddel so gefalle: „Migration ist Naturzustand.“

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