Aus Le Monde diplomatique: Nicaraguas ewiger Präsident

Die Wahl ist Daniel Ortega sicher. Dafür hebelte er die Verfassung aus, entmachtete die Opposition und krönte seine Frau zur Vizepräsidentin.

Auf einer Werbetafel ist Daniel Ortega in siegesgewisser Pose zu sehen, daneben seine Frau, die applaudiert

Dem Sieg der Ortegas steht wenig entgegen Foto: dpa

Es war ein traumatischer Moment im Leben von Präsident Daniel Ortega, als er 1990 abgewählt wurde. Elf Jahre nach dem Sturz von Diktator Manuel Somoza war der revolutionäre Eifer in Nicaragua verpufft. Die Wähler sagten den Umfragen zum Trotz überraschend „Nein“ zu Ineffizienz und Mangelwirtschaft. An seiner Abwahl hatte der Comandante der sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) noch lange zu knabbern. Zwar hatte er sich bei der piñata, der schamlosen Selbstbereicherung der sandinistischen Kader vor dem Regierungswechsel, noch schnell Busunternehmen, Zuckerrohrhaciendas, Sägewerke und eine Villa im Zentrum von Managua unter den Nagel gerissen und war materiell bestens versorgt. Aber es war die Macht, die Ortega interessierte.

Dabei gab es allerdings ein Hindernis: Umfragen zufolge konnte er nur mit 35 Prozent der Stimmen rechnen. Schließlich fand er einen Umweg. Der führte über eine Aussöhnung mit seinen Erzfeinden – der katholischen Kirche und der konservativen Liberalen Partei (PLC) unter dem korrupten Präsidenten Arnoldo Alemán (1997–2002). Mit Alemán schloss Ortega 1999 eine seither immer wieder um neue Abmachungen ergänzte Vereinbarung, gemeinhin als el pacto bekannt. Darin ist die Aufteilung der Posten im obersten Gericht und dem Wahlrat zwischen beiden Parteien vorgesehen; außerdem soll für einen Sieg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen bereits ein Stimmenanteil von 35 Prozent ausreichen und dem Zweitplatzierten ist ein Parlamentssitz garantiert – ebenso dem scheidenden Präsidenten. Es ist ein Pakt der gegenseitigen Straffreiheit durch Immunität.

Ortega brauchte ihn, weil ihn seine Stieftochter Zoliamérica des sexuellen Missbrauchs bezichtigte; Alemán kam die Vereinbarung 2003 zu Hilfe, als ihn ein Gericht wegen Veruntreuung von 10 Millionen US-Dollar zu 20 Jahren Haft verurteilte. Eine sandinistische Berufungsrichterin wandelte kurze Zeit später die Strafe in einen „Hausarrest“ um, der Alemán Bewegungsfreiheit in der Hauptstadt Managua gewährte.

Von dem konservativen Kardinal Miguel Obando y Bravo, den die Sandinisten beschuldigten, im Bürgerkrieg die rechten Contras unterstützt zu haben, ließ sich Ortega 2005 mit seiner langjährigen Weggefährtin Rosario Murillo verheiraten. Zuvor bat Ortega öffentlich um Verzeihung für die Fehler der Vergangenheit, unter vier Augen versprach er dem Kardinal eine wertkonservative Politik, sollte er wieder an die Macht kommen. Damit war der Keim für eines der striktesten Abtreibungsgesetze Amerikas gelegt. Was die beiden annäherte, war die Notwendigkeit: Ortega brauchte das Wohlwollen der Kirche für seine Wiederwahl, Obando brauchte Straffreiheit für seinen Ziehsohn Roberto Rivas. Der hatte über Jahre hinweg krumme Geschäfte mit der Regierung Alemán getätigt und der Kirche Stipendien, eine Radiofrequenz und Lizenzen zur zollfreien Einfuhr von Luxusautos verschafft. Rivas ist seit 20 Jahren Vorsitzender des Wahlrats.

Zurück an die Macht

So gelang Ortega 2006 mit 37,9 Prozent der Stimmen die Rückkehr auf den Präsidentensessel. In den nächsten zehn Jahren baute er Schritt für Schritt seine Herrschaft aus. Die Macht sei ein Aphrodisiakum, sagte der vor drei Jahren verstorbene sandinistische Ex-Innenminister Tomás Borge. 2009 erklärte er: „Egal was die anderen sagen, wir werden die Macht nie wieder abgeben.“

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique, der großen Monatszeitung für internationale Politik. LMd gibt es jeden Monat neu gedruckt und digital sowie zum Anhören. Das komplette Inhaltsverzeichnis der neuesten Ausgabe kann man hier nachlesen: www.monde-diplomatique.de/zeitung.

Den nächsten Pakt schloss Ortega mit den Wirtschaftsbossen, die eine Wiederholung der kommunistischen Staatswirtschaft fürchteten. Das werde es nicht geben, sie dürften unbehelligt ihre Geschäfte machen, sofern sie sich nicht in die Politik einmischten, signalisierte Ortega. Die Absprache funktionierte. Militär und Polizei brachte der Präsident unter seine Kontrolle, indem er die Regeln für Beförderungen änderte. Einfluss sicherte er sich auch über seinen Bruder Humberto, der von 1979 bis 1994 Verteidigungsminister gewesen war. Bald waren die Einzigen, denen Ortega wirklich vertraute, die Mitglieder seiner eigenen Familie. Ihnen schanzt er Pfründe zu wie ein allmächtiger Gutsherr.

So ist sein Sohn Rafael Vorsitzender der staatlichen Erdölgesellschaft, die die Lieferungen aus dem Bruderland Venezuela verteilt. Sohn Laureano leitet seit 2009 ProNicaragua, die Behörde, über die alle ausländischen Investitionen laufen, zum Beispiel das gigantische transozeanische Kanalprojekt, das mit dem Geld des chinesischen Telekommunikationszaren Wang Jing realisiert werden soll. Die Töchter Luciana und Camila sind Präsidentenberaterinnen, die Söhne Maurice, Daniel und Juan Carlos kontrollieren den staatlichen TV-Kanal 6 und mehrere Privatsender.

Ortegas esoterisch angehauchte Frau kandidiert bei der Wahl am 6. November als Vizepräsidentin. Ein derartiges Ausmaß an Vetternwirtschaft habe es im Land zuletzt unter dem Diktator Somoza gegeben, kritisiert Dora Maria Téllez, ehemalige sandinistische Comandante und heute eine der schärfsten Kritikerinnen des Ortega-Clans. Fast alle einstigen Weggefährten haben sich von Ortega abgewendet – mit Ausnahme von Bayardo Arce, der als Wirtschaftsberater des Präsidenten fungiert.

Unbegrenzte Wiederwahl

Nach seinem Wahlsieg 2006 stand Ortega vor dem Problem, dass die Verfassung von 1995 keine direkte Wiederwahl vorsah. Deshalb reichte er bei dem von ihm und Alemán kontrollierten obersten Gerichtshof Verfassungsklage ein. Das Gericht erklärte den Verfassungsartikel im September 2009 für „nicht anwendbar“. Zuvor hatte es bereits Alemán von allen Korruptionsvorwürfen befreit. 2011 wurde Ortega mit 62 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Die Wahl war überschattet von Betrugsvorwürfen und wurde von der Opposition nicht anerkannt; EU-Beobachter sprachen von zahlreichen Unregelmäßigkeiten.

Die Zweidrittelmehrheit des FSLN im Parlament beschloss 2014 eine neuerliche Verfassungsänderung, um die unbegrenzte Wiederwahl Ortegas zu ermöglichen. Außerdem dürfen nun auch Militärs Kabinettsposten innehaben, es gibt eine Frauenquote von 50 Prozent, der Präsident darf per Dekret regieren, Steuern erlassen (wofür bis dahin allein das Parlament zuständig war), und er braucht für den Sieg in der ersten Wahlrunde nur noch eine relative Mehrheit.

Doch noch immer gab es ein paar störende Stolpersteine. Zum einen die Popularität Ortegas. Je nach Umfrage liegt sie bei 44 bis 67 Prozent. Studiert man die Details, kommen Zweifel auf: 48 Prozent erklären sich für unpolitisch oder machen keine Angaben zu ihrer politischen Präferenz; 70 Prozent sagen, sie seien unzufrieden mit der wirtschaftlichen Lage.

Trotz im Schnitt 4,5 Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr ist Nicaragua nach Haiti das ärmste Land der Hemisphäre. Der Reichtum ist extrem ungleich verteilt, 30 Prozent der Bevölkerung sind arm, das durchschnittliche Jahreseinkommen beträgt gerade einmal 2000 US-Dollar pro Kopf, so wenig wie sonst nirgends in Mittelamerika. Auf dem Land, wo 40 Prozent der Bevölkerung leben, ist Ortega allerdings populär. Dafür sorgen populistische Sozialprogramme: billiges Erdöl aus Venezuela, Lehrer und Ärzte aus Kuba, billige Kredite, geschenkte Traktoren, Baumaterialien, Kühe und Schweine.

Die Opposition juristisch kaltgestellt

Hätte Ortega wirklich so viel Zustimmung, wie die Umfragen behaupten, hätte es all der Manöver nicht bedurft, mit denen er die Opposition lahmlegte. Sein Hauptproblem war, dass Alemán, sein Verbündeter, immer mehr Rückhalt verlor, während neue Oppositionsbewegungen im Aufwind waren, wie die Sandinistische Erneuerungsbewegung MRS, die vor allem in der kleinen, städtischen Mittelschicht verankert ist und mit ihrer fundierten Kritik im Ausland und einigen wenigen kritischen Medien wie dem Portal El Confidencial Wellen schlägt. 2008 entzog ihr der Wahlrat die Zulassung „mangels aktualisierter Register“. Der Einspruch dagegen vergammelt seither in den Schubladen der Justiz.

Der Unabhängigen Liberalen Partei (PLI), einer Abspaltung der PLC unter Führung des 2006 zweitplatzierten Kandidaten Eduardo Montealegre, erging es ähnlich. Mit 24 von 92 Abgeordneten war die PLI die stärkste Oppositionspartei im Parlament und hatte eine Koalition für die Demokratie geschmiedet, Keim einer Einheitsfront gegen den Ortega-Clan. Im Juni dieses Jahres beschloss das oberste Gericht unter Berufung auf einen uralten parteiinternen Zwist, dass der Parteivorsitz dem inzwischen verstorbenen Politiker Rollin Tobie Forbes zu übertragen sei, und damit dessen Anwalt Pedro Reyes. Der gilt als Strohmann Ortegas.

Auf Fahnen ist das Gesicht Daniel Ortegas zu sehen

Werbung für den Präsidenten hat noch auf der kleinsten Fahne Platz Foto: reuters

Alle Kandidaturen der PLI, einschließlich die des populären Präsidentschaftsanwärters Luis Callejas, wurden hinfällig. Demonstrationen gegen den Beschluss wurden von Sicherheitskräften und regierungsnahen Schlägertrupps aufgelöst. Ähnlich ergeht es seit Jahren allen Protesten, seien sie gegen Rentenkürzungen, mangelnde Gesundheitsfürsorge oder gegen Enteignungen für den chinesischen Kanal.

Damit nicht genug: Die Gerichte ließen eine Verleumdungsklage gegen Oppositionsführer Montealegre aufleben; und die sandinistische Parlamentsmehrheit verfügte gleich noch den Ausschluss der alten PLI-Abgeordneten. Der Grund: Sie hätten sich nicht der neuen PLI-Parteiführung gebeugt. Von den 92 Parlamentssitzen hat nun 63 die FSLN Ortegas inne, 2 die PLC Alemáns, 24 die – zum Teil von der FSLN kooptierten – Ersatzleute der PLI, der Rest sind Unabhängige. Damit hat das Parlament seine Autonomie verloren. Der Opposition bleibt nur der Weg der Proteste. Doch ihre Mobilisierungskraft ist gering.

Das Ausland schaut zu

Das Ausland schaute dem Treiben Ortegas lange zu. Unter dem Schutz der linken lateinamerikanischen Bruderstaaten, angeführt von Kuba und Venezuela, tat Ortega jegliche Kritik als „imperialistische Einmischung“ ab und präsentierte seine Maßnahmen als „Vertiefung einer sozialen Demokratie“. „Sie kritisieren uns, weil wir die Institutionen kontrollieren, aber das ist unserem Erfolg geschuldet. Hier redet sich die Regierung nicht damit raus, dass sie dieses oder jenes nicht tun kann, weil der Kongress dagegen stimmt“, erklärte der sandinistische Abgeordnete Jacinto Suárez. „Wenn alle am gleichen Strang ziehen, herrscht Stabilität. Hier lief alles legal ab, alles andere ist blödes Geschwafel und ein Medienhype.

Klare Worte. Doch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wollte sich, trotz ihrer Demokratiecharta, kein neues Sorgenkind aufladen. Schon wegen der Debatte über das strategisch viel wichtigere Erdölland Venezuela stand die intern gespaltene OAS vor einer Zerreißprobe. Der sonst eher streitbare und wortgewandte Generalsekretär Luis Almagro twitterte zu Nicaragua nur lapidar: „Transparente Wahlen erreicht man, indem man die Rechte aller Kandidaten respektiert.“

Auch die Europäische Union legte Nicaragua nach der Wahlbeobachtung zu den Akten. Nicht einmal, als Ortega Ende 2015 eine neuerliche Wahlbeobachtung als „rüpelhafte Einmischung“ untersagte, gab es eine Reaktion. Selbst die USA schwiegen lange – sogar zu dem geostrategisch sensiblen chinesischen Kanalprojekt. Denn Ortega sandte im Gegensatz zu anderen Ländern Mittelamerikas kaum Migranten gen Norden und kooperierte mit Washington bei der Bekämpfung des Drogenhandels.

Kreditblockade für freie Wahlen

Jetzt aber scheint das Maß doch voll. Das US-Außenministerium zeigte sich besorgt; Kongressabgeordnete legten den sogenannten NicaAct vor, der die Blockade von Krediten an die Regierung Nicaraguas in internationalen Finanzorganisationen vorsieht, solange es dort keine freien und transparenten Wahlen gibt.

In Rekordzeit wurde er Mitte September einstimmig angenommen und an den Senat weitergeleitet. Ortega bezeichnet ihn als „Aggression“. Der NicaAct stärkt der Opposition den Rücken und treibt einen Keil zwischen Ortega und die Unternehmerschaft. „Wir sind besorgt und glauben, dass die Regierung einen nationalen Dialog einberufen und künftig mehr Partizipation gewährleisten sollte“, sagte der Präsident des Viehzüchterverbands, Álvaro Vargas.

Auch die Unterstützung der Kirche hat der Caudillo verloren, seit Kardinal Obando in den Ruhestand versetzt wurde. Die Bischofskonferenz erklärte, jeder Versuch, einen Einparteienstaat zu errichten, sei schädlich für das Land. Trotzdem ist dies wohl erst ein Anfang. Die zerstrittene Opposition ruft zur Wahlenthaltung auf und hofft, dass Ortega durch internationalen Druck zur Abhaltung transparenter Neuwahlen gezwungen wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.