Aus für letzten Krimtataren-Sender: Das Ende der Durchsage

Der einzige krimtatarische TV-Sender ATR bekommt keine Lizenz mehr. Mitarbeiter vermuten politische Gründe für das Aus.

Mitarbeiter im Studio von ATR-TV am Dienstag kurz vor Einstellung des Sendebetriebs Bild: ap

MOSKAU taz | „Unser Volk hat Stalin überlebt“, sagte Lilja Budschurowa. Sollte es da vor dem jetzigen Problem kapitulieren?, fragte die Vizechefin des krimtatarischen Senders ATR trotzig. „Wir stehen es durch und bauen unser Haus auf unserem Grund und Boden“, waren ihre letzten Worte. Dann stellte der Kanal die Übertragung ein.

Seit dem 1. April darf der einzige krimtatarische Fernsehsender sein Programm nicht mehr ausstrahlen. ATR hätte sich nach der Annexion der Krim im März 2014 für eine Lizenz bei der russischen Medienüberwachungsbehörde neu registrieren lassen müssen. Doch das war schwieriger als erwartet. Dreimal gaben die russischen Behörden die Anträge zurück. Mal fehlten angeblich Dokumente, mal wurden Korrekturen verlangt. Immer fanden sich formale Einwände, meint ATRs Generaldirektorin Elsara Isljamowa. Zwischen jedem neuen Antrag verstrich mindestens ein Monat. „So lässt sich die Registrierung auf 100 Jahre ausdehnen.“

Republikschef Sergej Aksjonow hingegen warf ATR vor, die Registrierung hinausgezögert zu haben, um aus dem Konflikt ein öffentlichkeitswirksames Politikum zu machen. Der Konflikt hätte keinen politischen Hintergrund, denn „die Verteidigung ukrainischer Interessen auf dem Gebiet der Krim sind heute perspektivlos“. Die Schwierigkeiten entstanden nicht erst mit der neuen Sendeerlaubnis.

Bereits im Herbst fürchtete Isljamowa, ATR könne bald geschlossen werden. Die erste Warnung gab es schon Ende September. Das „Zentrum für Extremismusbekämpfung“ warnte ATR, weiter „Misstrauen gegen die Staatsmacht zu schüren“ und „russlandkritische Haltungen zu fördern“. Auch die Verbreitung von „Furcht vor möglichen Repressalien aufgrund religiöser und nationaler Merkmale“ berge Gefahr extremistischer Tätigkeit.

Aus für kritische Berichterstattung

Die Einschüchterung wirkte. Sie sei bereit, auf Nachrichtenprogramme zu verzichten, um wenigstens Sprache und Kultur des Volkes zu retten, sagte Isljamowa der taz damals. Zwei Drittel des Programms sendet ATR jedoch auch auf Russisch.

Den Machthabern war der Sender von vornherein ein Dorn im Auge. Die Krimtataren wehrten sich nicht nur gegen den Anschluss der Krim an Russland. Der Sender hielt an kritischer Berichterstattung fest, die vor den neuen sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten auf der Krim nicht haltmachte. Auch die zu ATR gehörenden Radiostationen „Meidan-FM“, „Lider“ und der Kinderkanal „Lale“ mussten den Sendebetrieb einstellen. Die tatarische Nachrichtenagentur QHA erhielt auch keine neue Lizenz.

Die 250.000 Krimtataren sind die wichtigste muslimische Minderheit der Krim. 1944 ließ Stalin das Volk nach Usbekistan deportieren. Von 300.000 Zwangsumsiedlern überlebten nur 150.000 den Transport in Viehwaggons. Anfang der 1990er Jahre kehrten die Krimtataren aus der Verbannung in ihre Heimat zurück, die seit 1954 zur Ukraine gehörte. Krimtataren sind laut Amnesty International „erbarmungsloser Einschüchterung“ ausgesetzt.

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