Ausbeutung des Glaubens in Brasilien: Lukratives Callcenter für bezahlte Wunder
In Rio de Janeiro gehen die Behörden gegen einen angeblichen Pastor vor. Er hat den Ärmsten Segen und Wunder per Schnellüberweisung verkauft.

„Dieses Video ist genau für dich,“ behauptet der 30-Jährige mit salbungsvoller Stimme „Es ist Gottes Entscheidung, dass du unter Tausenden von Videos im Internet genau dieses gefunden hast“. Gerne kündigt er den Zuschauenden an, ihr Telefon werde innerhalb der nächsten 72 Stunden klingeln, und sie würden eine gute Nachricht erhalten.
Es sind simple Dinge, die der vermeintliche Gottesmann verspricht: Verwünschungen in Segen umzuwandeln etwa, finanzieller Wohlstand oder die Ausschaltung von Neidern. Vor allem die Ärmsten glauben an ihn. Etwa eine Kundin, die schreibt, sie habe nicht einmal etwas zu essen zu Hause und hoffe, durch den erbeteten Wohlstand demnächst das verlangte Entgelt entrichten zu können.
Dabei sprechen die Kunden über WhatsApp nicht mit Santini selbst, sondern mit dessen Mitarbeitern, die auf die jeweilige Situation abgestimmte, zuvor aufgenommene Standard-Audiobotschaften ihres Chefs abspielen. Die Angestellten müssen keine religiöse Bindung haben.
Angestellte löste Ermittlungen aus
Die Kunden bezahlen zwischen 20 Reais und 1500 Real (3,10 bis 235 Euro) für die angeblichen Dienste des Pastors. Ein Opfer soll allein mehr als 80 Überweisungen getätigt haben.
Innerhalb von zwei Jahren brachte das System seinem Erfinder mindestens drei Milliarden Real Gewinn (482 Millionen Euro). Eine Angestellte zeigte ihren Arbeitgeber schließlich im Februar 2025 an und löste damit erste polizeiliche Ermittlungen aus.
In der sogenannten Operation Blasphemie durchsuchte die Polizei kürzlich die Wohnung des Propheten in einer Luxus-Wohnanlage im Westen Rios. Dabei fand sie mehr als umgerechnet 5000 Euro in Banknoten verschiedener ausländischer Währungen und diverse Handys. Gefunden wurden auch Aufzeichnungen, aus denen hervorging, dass die Mitarbeiter Quoten von umgerechnet mindestens 80 Euro pro Tag erfüllen mussten, sonst wurden sie entlassen. Unter den Mitarbeitern waren sieben noch Teenager.
Die Callcenter operierten an mindestens drei Standorten im Großraum von Rio sowie in der Innenstadt. „Es ging bei diesen Diensten nicht um Gebet, sondern um kriminelle Ausbeutung des Glaubens“, sagt eine Polizistin in einem TV-Interview des Senders SBT.
Der selbsternnte Prophet beklagt religiöse Verfolgung
Die Polizei beschlagnahmte sämtliche Beweismittel sowie den Reisepass des angeblichen Geistlichen. Das Gericht ordnete laut Medienberichten eine elektronische Fußfessel an und untersagte dos Santos, das Land zu verlassen oder elektronische Medien zu benutzen.
Die Anklage lautet unter anderem auf Betrug, kriminelle Vereinigung, Scharlatanismus, falsche Identität und Geldwäsche. Die Höchststrafe für alle Straftaten zusamen beträgt bis zu 29 Jahren Haft.
Der „Prophet“ hingegen stellt sich als Opfer religiöser Verfolgung dar. Auf seinem Instagram-Konto versichert er seinen Followern ganz ohne Geigenklänge, ihm seien ungerechtfertigte Vorwürfe gemacht worden, und es seien Falschmeldungen über ihn im Umlauf. Er trage aber keine Fußfessel und sei auch nicht verhaftet. Hunderte seiner „spirituellen Söhne und Töchter“ versichern daraufhin: „Ich glaube an dich!“. Nur einer fordert ihn auf: „Zeig doch mal deine Beine“. Diese Bitte ignoriert der „Prophet“ lieber.
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