Ausbeutung: Rausschmiss statt Mutterschutz

Windkraft-Unternehmer soll Indonesierin jahrelang unterjocht haben: Für 80 Arbeitsstunden die Woche gab es 100 Euro. Als die Frau ein Kind erwartet, kündigt er ihr.

Tia H. klagt gegen ihre Ausbeutung. Bild: Miguel Ferraz

Mit großen Hoffnungen kam Tia H. nach Deutschland. Die im indonesischen Bandung geborene Frau, die in ihrer Heimat Deutsch auf Lehramt studiert hatte, wollte in Hamburg weiter studieren, sich das notwendige Geld als Au-Pair verdienen. Das war 2007, Tia H. war 26 Jahre alt. Doch statt Uni und zeitlich begrenztem Job im Haushalt musste die junge Frau jahrelang rund um die Uhr für ein Taschengeld schuften und wurde schließlich hochschwanger vor die Tür gesetzt.

Ein Fall, stellvertretend für viele Arbeitsmigranten in Deutschland. „Sie kennen ihre Rechte nicht, ahnen nicht einmal dass sie sich wehren können“, sagt Mónica Orjeda, die im Rahmen des Projekts „ambulante Betreuung für MigrantInnen“ des Verbunds für interkulturelle Kommunikation (Verikom) die Asiatin betreut. Tia H. aber zieht nun vor Gericht, fordert von ihrem ehemaligem Chef den ausstehenden Arbeitslohn ein. „Sie ist eine Ausnahme, die anderen Migranten in einer ähnlichen Situation Mut machen sollte, ihre rechtmäßigen Ansprüche einzuklagen“, sagt Orjeda.

Tia Hs. Leidensweg, wie er in der Klageschrift dokumentiert ist, beginnt, als die Freundin ihres in Harvestehude wohnenden Arbeitgebers Stefan M.* im August 2010 eine Tochter bekommt. Hatte die Indonesierin schon vorher für 400 Euro im Monat rund 100 bis 120 Stunden im Haushalt des Geschäftsführers eines schleswig-holsteinischen Windparks gearbeitet, ist sie nun von einem auf den anderen Tag fast komplett für die Betreuung des Babys zuständig: „Ich habe der Mutter das Kind nur noch zum Stillen gebracht.“

Daneben putzt sie die Wohnung, zeitweise auch des Büro ihres Chefs, erledigt die Einkäufe und bereitet das Essen zu. 14 Stunden sei sie täglich beschäftigt gewesen, sechs Tage pro Woche, erinnert sich Tia H. Nur sonntags gibt es weniger zu tun. Da muss sie nur 12 Stunden ran. Erst als sie – der Dauerbelastung nicht mehr gewachsen – einen Zusammenbruch erleidet, wird eine Haushaltshilfe eingestellt und ihre Arbeitsbelastung auf 72 bis 80 Wochenstunden reduziert.

Mehr Geld aber gibt es für den pausenlosen Einsatz zunächst nicht. Erst 2011 stockt ihr Chef das Gehalt auf – erst auf 500, dann auf 700 Euro netto. Ihre Krankenversicherung aber muss Tia H. selbst tragen.

Zudem begleitet sie Stefan M. und seine Freundin auch auf ausgedehnte Auslandsaufenthalte, kümmert sich auch hier um das Kind. Gefragt, ob sie mitkommen wolle, wird sie nicht. Stets bucht M. Flugtickets für sie mit, informiert sie erst nachträglich. „Meine Mentalität hat es mir unmöglich gemacht, dagegen aufzubegehren“, sagt die Indonesierin heute. Auch habe sie ihre Rechte gar nicht gekannt.

Das Ende kommt, als Tia H. schwanger wird. Der Belastung nicht mehr gewachsen, wird sie erneut krank. Sie weigert sich zudem – inzwischen mit ihrem Sohn Jannik im 7. Monat schwanger – das Paar auf eine mehrwöchigen Griechenlandreise zu begleiten. Die Folge: Als sie nach ein paar krankheitsbedingten Ruhetagen die Tür zum Büro ihres Chefs, in dem ihr gesamtes Hab und Gut untergebracht ist, öffnen will, ist das Schloss ausgetauscht. Ihre Dienste würden nun „nicht mehr benötigt“ wird ihr mündlich mitgeteilt. Eine schriftliche Kündigung hält Stefan M. nicht für notwendig.

„Es ist unglaublich, wie diese Frau zuerst ausgebeutet und dann hochschwanger einfach auf die Straße gesetzt wurde“, sagt Orjeda. Sie schaltete das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ ein, das die anstehende arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung aus seinem Rechtshilfefonds finanzieren wird.

Insgesamt fordert Tia H. laut Orjeda rund 100.000 Euro von ihrem ehemaligen Arbeitgeber. Einen ersten „Gütetermin“, indem es um einen Teilbetrag dieser Summe geht, hat das Hamburger Arbeitsgericht für kommenden Donnerstag anberaumt. Zudem prüft eine Anwältin, ob Stefan M. auch strafrechtlich zu belangen ist.

Heike Rabe, die für das Menschenrechts-Institut das Projekt „Zwangsarbeit heute – Betroffene von Menschenhandel stärken“ leitet, betont, auch Arbeitsmigranten hätten – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus – „dieselben Rechte auf Lohn wie jeder andere Arbeitnehmer“. Eine Selbstverständlichkeit, die vielen Betroffenen aber nicht bewusst sei. Und wer um seinen Aufenthalt fürchten müsse, ziehe sowieso nur in den seltensten Fällen vor Gericht.

Rabe benennt zudem ein weiteres Problem in dem anstehenden Verfahren: „Bei Hausarbeitsjobs gibt es nur selten Zeugen für den Umfang der Tätigkeit, meist steht Aussage gegen Aussage. Die ausgebeuteten ArbeitsmigrantInnen müssen jede Überstunde belegen.“ Und das sei „kaum möglich“.

*Name geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.