Ausgehebelter Mindestlohn: Kreative Lohngestaltung

Viele Minijobber bekommen keinen Mindestlohn, sagt eine Studie. In Kneipen und im Handel wird oft die wirkliche Arbeitszeit nicht dokumentiert.

Anstoßen mit Bierflaschen

Die einen prosten sich zu, die anderen schuften für wenig Geld Foto: dpa

BERLIN taz | Ein Tanzclub in Berlin zum Beispiel. Die jungen KellnerInnen schuften bis spät in die Nacht. Sie kriegen den Mindestlohn von 8,84 Euro die Stunde – nur eben leider nicht für die ganze Zeit. Ein großer Teil der Arbeitsstunden wird nur mit 7 Euro vergütet. Schwarz. Sodass im Schnitt dann ein Lohn von etwas über 7,50 Euro rauskommt plus Trinkgeld.

„Das ist ganz üblich im Gastrobereich“, sagt Germanistikstudent Johannes D., 21, der im Club kellnert. Die Hilfskräfte dort haben Minijob-Verträge zum Mindestlohn. Die schlechter bezahlten zusätzlichen Stunden laufen nicht über die Bücher, das Geld gibt es bar auf die Hand. Keiner der jungen Angestellten käme auf die Idee, den Chef zu verpfeifen. „Dann wäre man den Job ja los“, sagt D.. Zumal der Chef gerne daraufhin weist, dass ihn höhere Personalkosten umgehend in den Ruin treiben würden und die kreative Lohngestaltung ganz verbreitet sei in der Gastronomie.

Der Club passt zur neuesten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, nach der Tausende von Arbeitgebern ihren Angestellten nicht den Mindestlohn zahlen. Die Studie bezieht sich auf Minijobber aus zwei Datensätzen aus dem Jahre 2015 des sozioökonomischen Panels (SOEP) und des Panels Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS).

Fast die Hälfte der Minijobber bekamen laut der Studie weniger als 8,50 Euro die Stunde. Jeder Fünfte der Minijobber verdiente sogar weniger als 5,50 Euro brutto. Das Mindestlohngesetz werde bei Minijobs „noch längst nicht flächendeckend angewendet“, resümierten die WSI-Forscher Toralf Pusch und Hartmut Seifert. Die Lohnangaben beruhen auf Befragungen. Praktikanten oder Auszubildende wurden dabei herausgefiltert sowie Beschäftigte, die Branchenmindestlöhnen unterlagen. Für diese Gruppen gilt der gesetzliche Mindestlohn nicht, der 2015 und 2016 noch 8,50 Euro betrug und Anfang des Jahres auf 8,84 Euro erhöht wurde.

Tricksen mit Pausenzeiten

Am meisten getrickst wird mit der Arbeitszeit. „Die Vor- und Nachbereitungszeit wird oftmals nicht dokumentiert und vergütet“, berichtet Holger Willem, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Magdeburg. Der Dienstbeginn wird dann mit der Ladenöffnungszeit gleichgesetzt, dabei müssen die Beschäftigten in Wirklichkeit schon eine Dreiviertelstunde vorher antreten und nach Ladenschluss unbezahlt putzen und aufräumen. Im Taxi­gewerbe hat sich mancherorts die „kreative Pause“ etabliert, längere Wartezeiten am Halteplatz werden einfach nicht als Arbeitszeit dokumentiert. „Die Papiere für das Finanzamt sind das eine“, erzählt ein Berliner Taxifahrer, „die Wirklichkeit ist das andere.“

Der Mindestlohn wurde Anfang des Jahres von 8,50 auf 8,84 Euro erhöht

„Viele Arbeitgeber prellen Minijobber um ihren Lohn. Da helfen nur mehr Kontrollen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), gerade auch in kleinen Betrieben der Gastronomie und des Einzelhandels“, sagt Stefan Körzell, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der Mindestlohn habe aber schon genutzt, meint Hilfskellner Johannes D., „seit zwei Jahren kriegen wir ja mehr“. Nur eben nicht für alle Stunden.

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