Ausschuss zu Cum-Ex-Steuerhinterziehung: Die Koalition schützt ihre Minister

Ein Ausschuss sollte die Hinterziehung von Milliarden in der Cum-Ex-Affäre aufarbeiten. Das wäre nicht nötig gewesen, findet die Regierung.

Aktienhändler in Frankfurt

Mit Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften sind viele sehr reich geworden: Aktienhändler in Frankfurt/M. Foto: dpa

BERLIN taz | Die roten und schwarzen Finanzminister haben alles richtig gemacht: Zu diesem Ergebnis kommt die Regierungskoalition in ihrem Abschlussbericht zum sogenannten Cum-Ex-Untersuchungsausschuss im Bundestag.

Am Dienstag präsentierten Union und SPD ihre Schlussfolgerungen aus mehr als einem Jahr Aufklärungsarbeit. Das entspannte Resümee ist erstaunlich angesichts der Höhe des vermutlichen Schadens: Banken und Investoren sollen die Allgemeinheit um bis zu 16 Milliarden Euro betrogen haben, schätzen die Grünen.

Trotzdem schreiben Union und SPD in ihrem Mehrheitsvotum: „Dieser Untersuchungsausschuss war nicht erforderlich.“ Es sei immer klar gewesen, dass die umstrittenen Steuertricks illegal waren. Als das Bundesfinanzministerium und andere Institutionen merkten, was im Gange war, seien sie schnell und konsequent eingeschritten.

„Dem Finanzministerium und dem Bundeszentralamt für Steuern kann nicht der Vorwurf gemacht werden, dass die Aufklärung zögerlich behandelt und die Bedeutung der Fälle nicht erkannt wurde“, so der Bericht. Dementsprechend habe der Ausschuss „die Überzeugung gewonnen, dass die Verantwortlichen in Bund und Ländern keiner Empfehlung bedürfen“. Fazit des Vorsitzenden Ulrich Krüger (SPD): „Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden.“

Schätzungen: Mit einem Schaden von 16 bis 32 Milliarden Euro handelt es sich bei den „Cum-Ex-“ und „Cum-Cum-Geschäften“ um den größten Steuerskandal der deutschen Geschichte.

System: Anders als bei klassischer Steuerhinterziehung, bei der Einnahmen verschwiegen werden oder Vermögen ins Ausland verlagert wird, um das Bezahlen von Steuern zu vermeiden, holen sich bei Cum-Ex-Geschäften Anleger eine Steuer zurück, die sie überhaupt nicht bezahlt haben.

Strafbarkeit: Um ihre Rendite zu steigern, betrügen sie also den Staat – mutmaßlich, denn ein letztinstanzliches Urteil zur Strafbarkeit steht noch aus. (mkr)

Das sehen die Oppositionspolitiker Gerhard Schick (Grüne) und Richard Pitterle (Linke), die den Ausschuss vorantrieben, durchaus anders. Für Schick zeigen die aufgedeckten Machenschaften eine Kombination aus „Gier, organisierter Kriminalität und Staatsversagen“. Pitterle sagt: „Der Finanzverwaltung sind katastrophale Fehler unterlaufen, die den milliardenschweren Raubzug der Cum-Ex-Mafia überhaupt erst ermöglicht haben.“

Die unterschiedlichen Bewertungen spiegeln den Wahlkampf: Grüne und Linke sahen in der Ausschussarbeit auch ein Mittel, um die Große Koalition kurz vor der Bundestagswahl schlecht aussehen zu lassen. Union und SPD dagegen bemühten sich nach Kräften, ihre Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (2005­–2009) und Wolfgang Schäuble (seit 2009) aus dem Skandal herauszuhalten.

Der Begriff „Cum-Ex“ bezeichnet eine Steuersparstrategie, die Banken, Berater und Investoren seit den 1990er Jahren entwickelten. Auch als der Skandal schon öffentlich war, interessierte sich kaum jemand für das Thema. Das sperrige Wort trug wohl dazu bei, dass die meisten sofort abschalteten.

Bei diesen Geschäften wurden Aktien mit (lateinisch: cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch gehandelt. Die BesitzerInnen zahlten einmal Kapitalertragssteuer für die erhaltene Gewinnausschüttung – ließen sich dies aber mehrfach vom Finanzamt zurückerstatten. Möglich wurden die lukrativen Tricks, indem Investoren ihre Anteilscheine im Umkreis des Termins der Dividendenzahlung schnell hin- und herverkauften. Rechtlich waren dadurch zum selben Zeitpunkt mehrere Leute im Besitz derselben Aktie.

Grünen-Politiker Schick schätzt den Schaden für Staat und BürgerInnen auf rund 10 Milliarden Euro bei Cum-Ex und bis zu 6 Milliarden jährlich bei den verwandten Cum-Cum-Geschäften. Zum Vergleich: Davon könnte man zehn Jahre lang rund 30.000 LehrerInnen bezahlen. Der Finanzwissenschaftler Christoph Spengel (Universität Mannheim) kommt sogar auf einen Verlust von insgesamt rund 32 Milliarden Euro.

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Rund 40 Banken in Deutschland und 100 weltweit wurden im Zusammenhang mit der Affäre genannt – darunter die Deutsche Bank, die Commerzbank, die ehemalige West LB, die HSH Nordbank und die Landesbank Baden-Württemberg. Einige Prominente erschienen als Zeugen vor dem Ausschuss. Finanzinvestor Carsten Maschmeyer etwa will von den illegalen Praktiken nichts gewusst haben, Drogerieunternehmer Erwin Müller ebenso wenig.

Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, es bestehe der „hinreichende Tatverdacht der besonders schweren Steuerhinterziehung“. Staatsanwaltschaften betreiben über 30 Ermittlungsverfahren. Rund eine Milliarde Euro sollen Banken und Investoren inzwischen an Finanzämter zurückgezahlt haben.

„Krasses Organisationsversagen“

Mit seinem Sondervotum zum Abschlussbericht wirft Schick den verantwortlichen Institutionen „krasses Organisationsversagen“ vor. Die dem Bundesfinanzministerium unterstehende Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) habe spätestens ab 2007 über die nötigen Informationen verfügt, das Ministerium sie jedoch ignoriert. So seien nur halbherzige Versuche unternommen worden, das Finanzloch zu stopfen, bemängelte der grüne Abgeordnete.

Hübsch ist dabei diese Anekdote: Ein Finanzexperte arbeitete im Wechsel für Bankenverbände und das Bundesfinanzministerium. Er war dort tätig, weil akuter Mangel an Fachpersonal herrschte. Die Opposition hegt den Verdacht, der Spezialist habe die Gesetzgebung zum Nachteil des Staates beeinflusst. Erst Ende 2011 schob ein neues Gesetz der Cum-Ex-Steuergestaltung endgültig den Riegel vor. Nach Einschätzung der großen Koalition ist das mit der Investmentsteuerreform von 2016 auch für Cum-Cum-Geschäfte gelungen.

An diesem Punkt lässt auch Andreas Schwarz, SPD-Sprecher im Ausschuss, leise Kritik durchblicken. „Das Finanzministerium braucht eine gute personelle Ausstattung, um auf Augenhöhe mit den Finanzmarktakteuren“ zu handeln.

Die Grünen fordern derweil ein Gesetz, das Informanten aus dem Finanzbereich schützt. „Wenn wir dort Kriminalität aufklären wollen, sind wir auf die Hinweise von Whistleblowern angewiesen“, sagt Finanzexpertin Lisa Paus. Außerdem plädiert sie für eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle, wie sie Großbritannien praktiziert, und ein neues Spezialfinanzamt auf Bundesebene für große Konzerne, Banken und Einkommensmillionäre. Bundestagspräsident Norbert Lammert erhält den Bericht offiziell am Mittwoch, am Freitag debattiert der Bundestag.

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