Außenhandelsstatistik revolutioniert: Das Märchen „Made in Germany“

WTO und OECD wollen es genau wissen: Wird die Herkunft einzelner Produktkomponenten berücksichtigt, verändern sich die Außenhandelsbilanzen.

„Made in Germany“ steht für Qualität, die nicht unbedingt aus Deuschland stammt. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Welthandelsorganisation WTO und der Club der Industrieländer, die OECD, haben sich darangemacht, die Außenhandelsstatistik zu revolutionieren. Ihre Ökonomen untersuchten: Was heißt eigentlich „Made in Germany“ oder „Made in China“? Oder genauer: Wie soll ein deutsches Exportgut, dessen Bestandteile in China hergestellt wurden, in der Handelsbilanz bezeichnet werden?

Bislang ist die Sache einfach: Überquert eine Handelsware im Wert von 100 US-Dollar die Grenze, tauchen in der Handelsbilanz 100 Dollar als Export auf. Das findet die OECD-WTO-Arbeitsgruppe zu einfach: Es berücksichtige nicht, dass Exportgüter oft auch aus importierten Komponenten bestehen. Die neuen Statistiken sollen auch erfassen, wo die Wertschöpfung der Einzelteile stattfand. „Wir müssen Waren und Dienstleistungen als ’Made in the World‘ sehen“, sagt OECD-Chef Angel Gurría. So sei beispielsweise ein typisches deutsches Auto nur zu zwei Dritteln „Made in Germany“.

Die Änderung klingt sinnvoll. Aber die beiden Organisationen verfolgen mit ihrer Initiative ein klares politisches Ziel: mehr freien Handel. Der Exporterfolg von Ländern „hängt von ihrer Fähigkeit und ihrer Bereitschaft ab, in der Welt einzukaufen, so Gurría. Zollmauern zum Schutz der heimischen Industrie würden dieser mehr schaden als nützen. Müssten die Hersteller doch teure heimische Vorprodukte kaufen, statt sich billig auf dem Weltmarkt einzudecken.

Die neuen Berechnungen zeichnen die Karte des Welthandels neu. Nicht mehr Frankreich ist Deutschlands größter Handelspartner. Diesen Platz nehmen die USA ein. Deren Handelsbilanzdefizit gegenüber China ist dafür kleiner als bisher berechnet.

Denn viele der von dort importierten Waren werden aus Teilen zusammengebaut, die in Drittländern wie Südkorea oder Japan hergestellt wurden. Gegenüber diesen fällt das US-Defizit nun größer aus. Die Forderung vieler US-Politiker, China müsse seine künstlich billig gehaltene Währung aufwerten, lehnt Gurría deshalb ab. Eine nur bilateral ausgerichtete Handelspolitik sei sinnlos.

Vollkommen verzerrte Bilanzen

Von der Systematik her treibt das Problem Ökonomen schon länger um. Der in Tokio lehrende Ökonom Yuqing Xing etwa hatte beschrieben, dass alle Bestandteile des in China von dem IT-Zulieferer Foxconn montierten iPhones aus dem Ausland stammen, unter anderem aus Deutschland und den USA. Doch obwohl die Produktionskosten in China selbst daher nur 6,50 Dollar pro Stück betragen, wird der chinesischen Handelsbilanz der volle Exportpreis von 179 Dollar gutgeschrieben.

In Deutschland hatte der Chef des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, 2007 dafür das Schlagwort „Basarökonomie“ geprägt. Seine Schlussfolgerung damals: Die Löhne müssten auch in Deutschland runter. Um die Basarökonomie war es allerdings still geworden, nachdem das Prognos-Institut vorgerechnet hatte, dass die deutsche Industrie nicht nur Vorlieferungen aus dem Ausland beziehe, sondern zugleich selbst auch als Zulieferer aktiv sei – siehe das Beispiel iPhone. Daraus schlussfolgern lasse sich lediglich, dass die grenzüberschreitenden Handelsverflechtungen tatsächlich enger geworden sind.

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