Außenministerin in Zentralasien: Baerbock auf Integrationsreise

In Zentralasien will die Außenministerin klarmachen, dass es wirtschaftlich Alternativen neben China und Russland gibt. Doch viele Menschen wollen nur weg.

Zwei Schülerinnen in traditioneller usbekischer Kleidung

Schülerinnen der Schule Nr. 60 im usbekischen Taschkent während des besuchs von Annalena Baerbock Foto: Fabian Sommer/dpa

ASTANA, TASCHKENT UND SAMARKAND taz | Auf den ersten Blick wirkt der Termin in der Schule Nummer 60 im usbekischen Taschkent wie der einer Lokalpolitikerin: Die Grüne Annalena Baerbock besichtigt die Solaranlage einer Schule und spricht mit ein paar Schüler:innen. Doch geht es nach Baerbock soll genau dieser Termin wie kaum ein anderer ihre Agenda zeigen: Klima- und Außenwirtschaftspolitik, Mädchen- und Frauenförderung, hören und verstehen, was in den Ländern passiert, neue Allianzen schmieden.

Am Eingang der Schule stehen Jungen und Mädchen Spalier, wedeln mit Fähnchen in den Flaggenfarben von Usbekistan und Deutschland. Die deutsche Außenministerin soll sich schließlich willkommen fühlen in ihrer Schule. Deutsch ist neben Russisch die Hauptfremdsprache, die die Schü­le­r:in­nen lernen. Der Flur im ersten Stockwerk ist mit den Silhouetten der Sehenswürdigkeiten großer deutscher Städte bemalt: Berlin, Leipzig, Stuttgart, Duisburg. Bei Düsseldorf fehlen die beiden Punkte über dem „ü“. Die Eingänge zu den Klassenzimmern sind auf Deutsch beschriftet, Sprüche von Albert Einstein zieren die Wände in den Räumen.

Baerbock verabredet sich zum Tanz

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die geopolitische Weltordnung durcheinander gewirbelt, der Wettlauf um Ressourcen und deren Vermarktung hat sich verschärft. Stürme, Fluten, Hitzewellen zeigen, dass die Klimakrise Lebensräume bedroht. Wo ansetzen, um alle Probleme gleichzeitig anzugehen? Baerbock zieht es nach Zentralasien. In Kasachstan und Usbekistan stärkt sie wirtschaftliche Beziehungen, um Energieversorgung in beiden Staaten klimafreundlich zu machen. Und sie will zeigen: Neben China und Russland hat Deutschland, hat die EU, ein ernsthaftes Angebot zu machen.

Finanziert von der Bundesregierung hat sich die Schule in Taschkent einen Solarkoffer gekauft. Die Paneele sind auf dem Dach angebracht, die Kinder sollen lernen, wie aus Sonnenlicht elektrischer Strom entsteht und wie der für die Schule genutzt werden kann. In ihrer Rede bedankt sich Baerbock. Und sie spannt den globalen Bogen: Auch die kleine Solaranlage auf dem Dach der Schule Nummer 60 im usbekischen Taschkent leistet ihren Beitrag zur Weltklimakonferenz kommende Woche in Ägypten. „Wenn alle Schulen und alle Po­li­ti­ke­r:in­nen auf der Welt ein solches Projekt voranbringen, dann können wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen.“

Überraschend für die Schüler:innen, die ihr brav zuhören, die Presse, die Wirtschaftsdelegation, die Baerbock begleitet, ist was sie dann tut: Zwei Mädchen in rotseidenen mit Gold-Bordüren bestickten Gewändern und ihre Freundin Aziza holt sie auf die Bühne der Schulaula. Es gehe bei solchen Veranstaltungen immer viel zu viel um die Erwachsenen, sagt Baerbock. Deshalb fragt sie die beiden über ihre Kleidung aus, eine traditionelle Tracht. Und verabredet sich mit den Mädchen zu einem Tanz.

Es gibt nicht viel Arbeit in Usbekistan

Aziza geht in die 10. Klasse. Die 16-Jährige wirkt streng in ihrer weißen Bluse, dem schwarzen Buntfaltenrock, der schwarzen dicken Brille. Es sei sehr wichtig viel zu lernen, man brauche eine gute Ausbildung, sagt sie. Aber auch: Es gibt nicht viel Arbeit in Usbekistan, vor allem nicht für junge Leute wie sie.

Das bestätigt auch die Leiterin des Goethe-Instituts in Taschkent, Maren Niemeyer. Usbekistan ist ein junges Land, 1991 erklärte es seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Vor allem in den ländlichen Gebieten ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Etliche wollen zum Studieren vor allem von Naturwissenschaften oder Medizin, oder zum Arbeiten raus aus Usbekistan. „Deutschland ist Hoch im Kurs“, sagt Niemeyer. Allein das Goethe-Institut hat jedes Jahr 4.000 neue Teil­neh­me­r:in­nen für Deutschkurse, über 400.000 Menschen lernen Deutsch.

Deutschland gilt als der wichtigste Wirtschaftspartner Usbekistans in Europa. Ein Prestige-Projekt ist die Almalyk-Bergbauanlage unweit von Taschkent. 90 Prozent des Silbers des Landes werden dort gefördert sowie rund 20 Prozent des Goldes. Und die Anlage ist der größte Kupferproduzent auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Derzeit ist sie noch zu 100 Prozent in staatlicher Hand, im Gespräch ist eine Privatisierung von 20 Prozent. Rund 35.000 Menschen beschäftigt das Unternehmen in ganz Usbekistan. Deutsche Firmen sind dort als Zulieferer tätig oder bieten Ingenieurleistungen an.

Ein usbekisches Lützerath kann sich keiner vorstellen

4,2 Kilometer Länge, 1,7 Kilometer breit, bis zu 600 Meter tief. Der Tagebau Kalmakyr – ein Teil der Anlage – ist jetzt schon imposant. Und die Mine soll weiter wachsen. Als Baerbock mit der Wirtschaftsdelegation den Tagebau besucht, hat sie die lukrativen Geschäfte für die Firmen im Blick. Aber sie fragt auch nach Umweltstandards, Bedingungen für die Arbeiter:innen, nach Besitzverhältnissen. Wenn die Mine expandiert, was passiert mit den umliegenden Dörfern? Die Antworten seitens der Geschäftsführung sind erwartbar zurückhaltend. Man betont die Zertifizierung nach EU-Standards, was Umweltvorgaben angeht. Mehr aber auch nicht.

Auf die Frage aus der Presse, ob er sich vorstellen kann, dass Menschen protestieren, wenn ihre Dörfer zugunsten der Mine zerstört werden, schüttelt Außenminister Wladimir Norow nur ungläubig den Kopf. Ein usbekisches Lützerath kann sich hier keiner vorstellen. RWE will das Dorf in Nordrhein-Westfalen abreißen, um den Tagebau Garzweiler auszudehnen. Lützerath ist deshalb seit vielen Monaten von Ak­ti­vis­t:in­nen besetzt. Gewerkschaften oder Ar­beit­neh­me­r:in­nen­be­tei­li­gung gibt es in Usbekistan kaum oder gar nicht, das Versammlungsrecht ist eingeschränkt.

Wandel durch Handel, aber mit Regeln. So lautet Baerbocks Credo. Menschenrechte, Arbeitsschutz, Klimaschutzstandards – ohne sie gibt es keine wirtschaftliche Kooperation. Für Baerbock ist ihr Ansatz auch Sicherheitspolitik: Weniger Abhängigkeit von China und Russland bei Bodenschätzen und in der Energieversorgung durch mehr Zusammenarbeit mit Usbekistan und Kasachstan. „Wir brauchen in Europa Rohstoffe, sonst können wir die Energiewende nicht gestalten“, sagt Baerbock. Aber: „Wenn sich Europa stärker engagiert, darf es gleichzeitig nicht in neue Abhängigkeiten geraten.“ Bisher war das Interesse an Zentralasien eher gering. Andere hätten bereits investiert, sagt die deutsche Außenministerin. Einen schnellen Einstieg wird es aber nicht geben, ihr geht es um Langfristigkeit.

Usbekistan ist patriarchal geprägt

Gerade in Usbekistan sind die Vorkommen an Gold, Silber, Kupfer, seltenen Metallen, Erdgas und Uran groß. Noch größer sind die Fragen, wenn es um Umweltauflagen, Frauenrechte, Versammlungsrechte, Pressefreiheit oder den Kampf gegen Kinderarbeit und Korruption geht.

Das zentralasiatische Land ist patriarchal geprägt, ein Großteil der Frauen macht keine Ausbildung. Auch Baumwolle gehört zu einem der wichtigsten Exportgüter und zunehmend auch deren Weiterverarbeitung. Zwangs- und Kinderarbeit auf den Feldern sorgten in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen. Seit knapp zehn Jahren kooperiert Usbekistan mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), seit 2018 gibt es Kontrollen. Man bekräftigt bei Baerbocks Besuch auf allen Seiten, dass Reformen ernst genommen werden. „Ihr Land hat Fortschritte gemacht“, bescheinigt die deutsche Außenministerin ihrem usbekischen Amtskollegen Norow. „Verlässliche Regeln sind auch der beste Investitionsschutz für Unternehmen.“

Usbekistan gilt als eines der ärmsten Länder der ehemaligen Sowjetunion. Offiziellen Angaben zufolge zog es rund 1,8 Millionen Us­be­k:in­nen allein nach Russland, um dort zu arbeiten. Die Schülerin Aziza will lieber heute als morgen weg aus Taschkent. Studieren will sie in Deutschland, am liebsten Lehrerin werden, oder Übersetzerin, oder auch was mit Politik machen. Warten bis sich in ihrer Heimat eine Perspektive auftut, will Aziza nicht.

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