Ausstellung „Global Fascisms“ in Berlin: Der Schlaf des inneren Wachmanns
Was ist Faschismus heute? Mit guter Kunst aber theoretisch konfus umkreist eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt diese Frage.
Der politische Autoritarismus, dem sich die Schau „Global Fascisms“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt widmet, scheint schon tief in unseren Alltag gedrungen. So vieles hier in der Ausstellung meint man gestern noch auf Instagram gesehen, heute vom Handybildschirm gewischt, morgen vielleicht per Amazon bestellt zu haben.
Diese paradiesischen, KI-generierten Südseepalmenstrände auf den großformatigen Fotografien von Niklas Goldbach etwa, tauchen die nicht auch als künstlicher Fensterausblick tief unter der Erde in der dystopischen Netflix-Serie „Der Miliardärsbunker“ auf, in der die globalen Faschismen aus dem Ausstellungstitel schon längst zur Weltkatastrophe geführt haben? Goldbachs glänzende Pseudofotos sind noch zusätzlich seltsam. Zwischen die weißen Strände und Kokosnusspalmen hat er nämlich echte Aufnahmen aus Schwimmbädern hineingeschmolzen. Aus Center Parcs, diesen standardisierten Allroundferienparks mit tropischen Badelandschaften und mietbaren Einfamilienhäusern samt Autostellplatz und Garten.
Deren Gründer Piet Derksen, ein niederländischer, extrem katholischer, rechtsgesinnter Unternehmer, hatte mit den Center Parcs seit den 1960ern über Dekaden hinweg kommerziell erfolgreich seine kolonialistischen Südseefantasien und sein konservatives Familienideal in das Freizeitprogramm des westeuropäischen Mittelstands geschmeichelt. Und so ziehen einen Goldbachs Tropenbilder, wie so vieles in dieser Schau, unweigerlich hinein in ein derzeitiges Gefühl, allerorts, selbst aus der eigenen Vergangenheit heraus, wären jetzt faschistoide Kräfte am Werk.
Prunkfassaden als rechtspopulistisches Agitationsfeld
Wie der scheinbar vom Tiktok-Algorithmus hochgespülte Proll-Troll in einem Video unten im Ausstellungssaal. Ein fiktiver rechter Influencer namens Bubitza, gespielt von Ilinca Manochale, per Gesichtsfilter mit Glatze und dicken Augenbrauen verzerrt, zieht Galle spuckend über die Habsburger Prunkarchitektur in Budapest her, die Viktor Orbán aufpolieren ließ. Mona Vătămanu und Florin Tudor zeigen in ihrem smart-trashigen Essayfilm Fassade und Sprache gleichsam als rechtspopulistisches Agitationsfeld.
Will man den Film sehen, muss man einen Security Guard passieren, dem man schon gewillt ist, das Ticket zu zeigen, doch die lebensecht nachgebildete Figur auf dem Stuhl ist eingenickt. Vielleicht von der Anstrengung des unterbezahlten Jobs. Vielleicht hat der Künstler unter dem Pseudonym aaajiao hier auch einfach ein treffendes Sinnbild für den eigenen inneren Wachmann gefunden, ganz ermattet von der stetigen Kontrolle im digitalen Leben.
„Global Fascisms“ ist der Titel der Ausstellung. Der passt gut in die derzeitige Weltwahrnehmung und ist so schnittig wie die hochpolierten Polizeihelme von Robin Rhodes aus glänzendem Stahl, die als fotogenes Symbol repressiver Staatsgewalt in einem anderen Raum ausgestellt sind. Doch bleibt der Kurator Cosmin Costinaş ziemlich vage, was Faschismus hier eigentlich bedeutet, einen klaren Begriff davon verfolgt er in dieser Ausstellung nicht.
Betörende Formen und Farben
Vielmehr hat Costinaş für diese Schau ein assoziatives Sammelsurium angelegt. Aber ein sehr ästhetisches. Malereien, Film, Installation aus den letzten 100 Jahren fügen sich in Formen und Farben betörend ineinander. Allen gemein ist, dass sie eine künstlerische Reaktion auf eine politische Situation der Repression und des Autoritarismus zeigen, mal humorvoll, mal drastisch, mal widerständig.
Dann stoßen in den Ausstellungsräumen die 1945 mit dichter Ölfarbe aufgetragenen, wütenden Figuren von Hannah Höch auf Martin Kippenbergers 1984 mit Silikon dahingepatschte Malerei „Heil Hitler, ihr Fetischisten“; Matthew Barneys krüppelige Kreatur aus Polyethylen-Stangen mit Baseballshirt als Gegenmotiv zu dem faschistischen Bild des gestählten sportlichen Mannes trifft auf Musşunda N’zombos tolle Fotoreihe zur protzigen Ikonografie afrikanischer Machthaber, die bekanntlich der libysche Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi bis ins Skurrilste zuzuspitzten wusste.
Viel künstlerisch Eindrückliches hat Costinaş hier zusammengetragen. Dazu gehören die melancholisch-sachlichen Malereien der Grande Dame der türkischen Gegenwartskunst, Gülsün Karamustafa, oder ein von der brasilianischen Militärjunta 1965 wegzensierter Film der Cinema-Novo-Größe Glauber Rocha. 42 Künstler:innen aus allen Teilen der Welt. Und schon der guten Kunst wegen sollte man die Ausstellung sehen.
„Global Fascisms“. Haus der Kulturen der Welt, Berlin, bis 7. Dezember
Trotzdem verärgert der inkonsequente Faschismusbegriff dieser Schau. Heißt es noch im Ausstellungskatalog, Faschismen könnten das gefährliche Ideal eines besseren Gestern heraufbeschwören, so lässt Costinaş genau dies an einer besonders sensiblen Stelle der Ausstellung als künstlerischen Widerstand gelten. Wenn nämlich der Maler Silman Mansour auf seinen Bildern von Palästina in einem flächigen, naiven Stil - man fühlt sich bei ihnen ein wenig an die ukrainische Avantgarde des frühen 20. Jahrhundert erinnert – vormoderne Bäuerlichkeit und traditionelles Leben romantisiert. Offenbar gelten auch hier andere Standards, sobald es um Israel und Palästina geht.
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