Ausstellung „Mental Diary“ in Hannover: Private Momente, politische Parolen

Der Kunstverein Hannover zeigt fünf KünstlerInnen verschiedener Nationalitäten und Temperamente. Die reichen vom offensiven politischen Bekenntnis bis zur fragilen Schönheit des Privaten.

Dan Perjovschi Foto: Pirje Mykkänen

HANNOVER taz | Von Künstlern wird ja gemeinhin erwartet, sehr sensibel auf ihre Umgebung zu registrieren, da sie daraus konzeptionelle Fragestellungen ihrer bildnerischen Arbeit ableiten. Der Kunstverein Hannover hat nun fünf Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Nationalitäten, Generationen und ästhetischer Praxis gebeten, einmal sehr persönliche Notationen ihres Alltags, aktueller Lebensroutinen oder auch biografischer Rückblicke preiszugeben und ergänzte diese Einblicke um ein klassisches Referenzwerk.

Im Zusammenklang mit der Architektur des Kunstvereins, einer Raumfolge aus sieben Sälen unterschiedlichen Charakters, entsteht so eine Szenografie verschiedener Temperamente. Jede Person individualisiert einen Raum, Altmeisterin Christiane Möbus mit Anfangs- und Endpunkt dann zwei. Die Kontraste reichen von floral luftigen Bildwelten in Fotografie und Textil der jungen Georgierin Ketuta Alexi-Meskhishvillis bis zum systematisch strengen Archiv eines Sol LeWitt.

Christiane Möbus, Jahrgang 1947, ist offensichtlich viel unterwegs. Von ihrer Basis Hannover aus pendelte sie jahrelang zu Lehrtätigkeiten in Berlin, Göteborg oder auch nur nach Braunschweig, notierte auf der Autobahn kurze Gedichte und spontane Einfälle. Als Objektkünstlerin betrachtet sie zudem auch ihren eigenen Körper mitunter aus distanzierter Perspektive.

So dokumentierte sie für ihre Fotoserie „Die gestiefelte Katze“ über Jahre hinweg ihre Füße in immer neuen Umgebungen, meist sind ihre Aufenthaltsorte nur durch mehrdeutige Chiffren im Bild vertreten. Im Kunstverein Hannover ist es eine gediegene Garderobe in ausgetüfteltem Schwarz-Rot-Kontrast, in Bayreuth sind es die Hündchen der internationalen Premierenprominenz, die eine Lokalisation zart andeuten.

Inseln aus Parkett-Fragmenten

Auf den Böden beider Ausstellungsräume schwimmen begleitend dazu Inseln aus Parkett-Fragmenten, isolierte Buchstaben bilden das Wort Ägäis in Deutsch und Griechisch. Klingt nach dem vielen Reisen da vielleicht die Sehnsucht nach Verortung in einer südländischen Wahlheimat an?

Wesentlich offensiver positioniert sich Dan Perjovschi, 1961 in Siebenbürgen geboren, in Bukarest lebend. Er führt ganz klassisch Skizzenbücher, notiert darin Tagesgeschehnisse, vor allem aber politische Kommentare. Im ersten Oberlichtsaal hat er seine spontanen Strichzeichnungen zu einem hellen Flirren aus Graffitis verdichtet.

Seine kleinen Bildgeschichten oder knappen Parolen fordern etwa, die Türkei als Teil Europas anzunehmen, bemerken, dass auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking heute wohl die konsumierenden Massen etwaige Regierungspanzer zum Erliegen bringen würden, oder sie malen eine nicht nur phonetische Alliteration von Iran über Israel bis zum IS. Zur Stadt seiner Ausstellungsbeteiligung hat Perjovschi zwar professionelle Assoziationen parat – Sprengelmuseum und Schwitters Merzbau –, ansonsten aber nur die fundamentale Frage: Hannover, over what?

Flirrend geht es im zentralen Oberlichtsaal weiter. Hier zeigt Dietmar Lutz, Jahrgang 1968, insgesamt 21 großformatige, allesamt sommerlich anmutende Acrymalereien in gestischer Pinselführung. Er übersetzt in ihnen digitale Fotoschnappschüsse aus seiner Privatsphäre, so ein Fenster zum Garten, eine Tasse Kaffee auf dem Tisch, eine Person am See oder beim entspannten Lesen. Seine Malerei spielt mit den visuellen Routinen sozialer Medien, die den schnellen, nicht zwingend akkuraten oder inhaltsreichen Bildzugriff zu ihrem Stilmittel erkoren haben.

Magisches Filmtagebuch

Den dunklen Saal im Anschluss erfüllt der Experimentalfilmer Jonas Mekas mit einem magischen Filmtagebuch, der älteste unter den sechs gewährt damit den intimsten Lebenseinblick. 1922 in Litauen geboren, musste Mekas ab 1944 zusammen mit seinem Bruder in Elmshorn Zwangsarbeit leisten, studierte nach Kriegsende Philosophie in Mainz und lebt seit 1949 in New York.

Unmittelbar nach seiner Ankunft kaufte er mit geliehenem Geld seine erste Filmkamera, hält seitdem in kleinen, fragilen Szenen seines Leben fest – die Schönheit des Moments, wie er es ausdrückt. In kurzen Sequenzen, teils überbelichtet, häufig in Laienmanier verwackelt, folgt man der Geburt seines Kindes und dessen Aufwachsen in den 1970er Jahren, man kann sich aber auch ganz einfach nur durch die Unschärfe eines langsam verblassenden Zeitgefühls treiben lassen. Alternatives Leben im Loft, Schlaghosen und lange Haare, viel Zeit im Park, urbanes, noch nicht kommerziell durchchoreografiertes Straßenleben zeigen jenseits des Privaten eine fast sozial-utopische Dimension, getragene Musik auratisiert den Gesamteindruck.

Umso kontrastreicher dann die rigide Inventarisation von Sol LeWitt (1928–2007). Ab den 1980er-Jahren betrieb er ein monumentales Selbstporträt, indem er Alltagsgegenstände aus Atelier und Wohnumgebung fotografierte und zu typologischen Reihen sortierte. In Hannover sind 45 von insgesamt 128 Schwarz-Weiß-Fotografien zum dichten Tableau gehängt, zu sehen sind darin Küchengeräte, Abfalleimer, Textilien und Pflanzen und vor allem Bücher. Sie reißen die persönlichen geistigen Koordinaten eines Künstlers an, der sich für die Prozesskunst von Eva Hesse interessierte oder die skulpturale Kombinatorik einer Bella Feldman.

Diese Facetten individueller Selbstbespiegelung hat der Kunstverein, wie bei seinen letzten Ausstellungen bereits üblich, um eine Sekundärgalerie aus Katalogen der Teilnehmer ergänzt. Nach dem Blättern möchte man dann umso mehr von Christiane Möbus sehen, besonders an ihrem Heimatort Hannover - weitere Objekt gewordene Geistesblitze aus dem in so zerbrechlicher Balance aufgetürmten Atelier-Archiv, ihrer privaten Wanderdüne.

Mental Diary bis zum 23. August im Kunstverein Hannover.

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