Ausstellung hebräischer Handschriften: Die Idee vom lebenslangen Lernen

Die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek zeigt 70 hebräische Handschriften vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert. Die erzählen kunstvoll und bunt von Religion und Alltag im Judentum.

Kunstvoll: Siddur Tefilla, ein Schabbat-Gebetbuch aus dem 14. Jahrhundert. Bild: Stabi

HAMBURG taz | Beten ist ein Politikum. Das hat man 2008 beim Streit über Papst Benedikt XIV. gesehen, der darum betete, dass die Juden Jesus als Heiland erkennen mögen. Ein Rückschritt, wurde doch schon im Mittelalter um Gebete gerungen: Unter Strafe war es da Juden verboten, hebräische Bücher zu besitzen, die unzensiert waren, das heißt: von Christen auf Unbotmäßiges gefilzt.

Im Fokus stand dabei die Verunglimpfung des Christentums oder auch nur die Warnung vor „einem Glauben, der sich in der Welt ausbreitete“. So stand es in einer Handschrift von 1410, die jetzt die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek gemeinsam mit dem Sonderforschungsbereich "Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa" ausstellt. Zensoren haben diese Zeile durchgestrichen, aber es hat nicht viel genützt: Erstens kannten die Gläubigen die Stelle auswendig. Zweitens ist die Tinte des Zensors schneller verblasst als der Gebetstext selbst.

Den Rest haben moderne Forscher durch Multispektraldigitalisierung sichtbar gemacht. „Tora, Talmud, Siddur“ heißt die Ausstellung, in der nun 70 hebräische Handschriften vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zu sehen sind. 550 birgt die Hamburger Hebraica-Sammlung insgesamt, die zu den zehn weltbesten gezählt wird.

Die Ausstellung, bestückt mit kunstvoll kalligraphierten, oft bunt illustrierten Büchern, bietet aber mehr als Ästhetik: Sie ist ein Parcours durch jüdische Religions-, Wissenschafts- und Alltagsgeschichte – und wenn in der zentralen Vitrine eine 300 Jahre alte Tora liegt, fühlt man sich wie in der Synagoge.

Allerdings, einige Buchstaben sind verblasst, und da während des Gottesdienstes live aus der Tora vorgelesen wird und Versprecher tabu sind, war sie wohl längst nicht mehr in Gebrauch. Das bedeutete ein Entsorgungsproblem: Heilige Texte dürfen im Judentum nicht weggeworfen werden. Sie sind auf dem Friedhof zu bestatten oder jedenfalls würdig aufzubewahren.

Gleich daneben liegen in der Ausstellung die Esther-Rollen, die die Rettung der einst nach Persien deportierten Juden durch Königin Esther beschreiben. So steht es in der Bibel, und das Purim-Fest, zu dem die Geschichte alljährlich gelesen wird, ist ein fröhliches.

Das fanden die Schreiber und Zeichner des 18. Jahrhunderts auch: Mit Flöte, Harfe, Trommeln feiern Leute im Festzelt, einer sitzt verkehrt herum auf einem Esel. Es ist fast ein Comic-Streifen, der da um den Text herum wimmelt. Das Papier ist recht abgegriffen, es war eben ein Gebrauchsgegenstand. Überhaupt, die Rollen: eigentlich eine aus der Antike stammende Praxis, später natürlich durch Bücher abgelöst, aber im jüdischen rituellen Kontext blieben sie.

Auch hebräische Handschriften wurden bis weit nach Erfindung des Buchdrucks erstellt, ihr Inhalt war dabei weniger konservativ als die Form. Davon zeugen die Hochzeitsverträge aus dem 18. Jahrhundert, die der materiellen Absicherung der Frau im Scheidungs- oder Todesfall des Ehemannes dienten. So etwas war in der Antike – so alt ist der Brauch – keineswegs selbstverständlich.

Modern war auch die Idee lebenslangen Lernens, in Hamburg nun illustriert anhand eines Mini-Talmuds – eines Konvoluts jüdischer Gesetze –, den ein Mann für seinen Bruder schrieb, damit der ihn stets bei sich trug.

Bleibt noch zu sprechen über Philosophie und Mathematik – etwa über Avrahan ibn Ezra, der im 12. Jahrhundert eine Abhandlung über die Zahl Eins mit der Gottesfrage verband. Oder über den mittelalterlichen Gelehrten Moses Maimonides, der griechische Philosophie und jüdische Religion versöhnen wollte und das Judentum rational erklärte. Handschriften von Texten der beiden werden jetzt in Hamburg gezeigt, und das Thema war damals durchaus virulent: Sehr ernsthaft wurde im Mittelalter darüber debattiert, welche Religion die richtige sei.

Diese Frage stellt sich in der Hamburger Ausstellung nicht. Aber sie präsentiert Textrolle und -Buch als kultische Gegenstände, die alle Lebensbereiche durchdringen - und sie vermittelt einen Hauch Interreligiosität: Ein Kalender von 1572 etwa verzeichnet jüdische und christliche Feiertage. Klar: Er gehörte einem jüdischen Händler. Und der musste natürlich auch wissen, wann der St.Martins-Markttag stattfand.

Ausstellung bis 26. 10., Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Öffentliche Tagung "Research on Hebrew Manuscripts: Status questions: 21.-23.10.2014. Programm und Anmeldung:
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