Ausstellung im Rijksmuseum Amsterdam: Pracht und Herrlichkeit

„High Society“ heißt die neue Ausstellung. Und zeigt – Überraschung – Porträts von genau dieser. Klingt gewöhnlich, knallt aber ziemlich.

Ein Kameramann vor zwei Porträts in einem Museum

Mächtige Fürsten, exzentrische Aristokraten und reiche Bürger: „High Society“ zeigt sie alle Foto: dpa

Diese Blicke! In Amsterdam schaut aktuell die „High Socie­ty“ von den Wänden, und die Besucher starren zurück. Die gleichnamige Ausstellung ist gerade im Rijksmuseum, dem niederländischen Nationalmuseum, eröffnet worden und die Leute strömen im Massen herbei. Die Reichen und Schönen vergangener Jahrhunderte blicken dort von lebensgroßen Porträts in die altrosa gemalerten Säle hinein. 39 solcher Gemälde haben die Ausstellungsmacher aus der ganzen Welt nach Amsterdam geholt.

Eine kuratorische Meisterleistung – und eine Schau, die knallt. So üppig ist sie, so fett. Hier sind reiche Leute zu sehen, mächtige Leute. Ein Boulevard der Eitelkeiten, den man ungestört bestaunen darf. Es ist unmöglich, den hochmütigen und selbstverliebten, mitunter auch versonnenen oder theatralischen Blicken der Porträtierten zu entkommen. Die im Rijksmuseum von den Wänden blickenden VIPs sind Menschen, deren Gebeine längst vermodert sind und deren Namen einem heute nicht zwangsläufig etwas sagen. Doch zu ihrer Zeit waren sie Celebrities.

Sie haben sich in all ihrer Pracht und Herrlichkeit malen lassen. Und zwar nicht von irgendwem. Rembrandt, Cranach, Veronese, Monet – you name it. Heute, im 21. Jahrhundert, lässt sich der FDP-Politiker Christian Lindner für seine Wahlkampagne von dem It-Fotografen Olaf Heine perfekt ins Bild setzen, um anschlussfähig zu wirken.

Bei Kehinde Wiley, dessen Barack-Obama-Porträt kürzlich in der Washingtoner National Portrait Gallery vorgestellt wurde, laufen seither zahllose weitere Anfragen aus aller Welt ein. Und in den Sälen des Rijksmuseums machen die Besucher Selfies. Abgebildet zu sein ist der Versuch, sich dem Zeitgeist anzuverwandeln. Ein zaghaftes Date mit der Unsterblichkeit.

Geld spielte scheinbar keine Rolle

Bei den 39 lebensgroß Porträtierten im Rijksmuseum spielte Geld offensichtlich keine Rolle. Absurde, mit Sicherheit komplett unbequeme Kleider und Schuhe sind hier zu sehen. Dazu aufwändigster Zierrat: Borten und Krägen, Schleifen und Puschel. Frisuren, Hüte und Kopfschmuck, mit denen allenfalls höfische Abläufe zu bewältigen waren.

Gern lässt sich die High Society von Tieren umspielen. Mal von einem Schoßhund wie Anna von Österreich, mal von einem Löwen wie Albrecht von Bayern. Hintergründe sind häufig Säulen und Geländer, Samtvorhänge oder lyrische Landschaften. Wirklich wichtig ist der jeweils abgebildete Mensch.

„High Society“, bis 3. Juni. Rijksmuseum Amsterdam, Katalog 25 Euro

„High Society“ ist in gewisser Weise die Selfie-Show vergangener Epochen. Nur deutlich exklusiver als die heute allenthalben in den sozialen Netzwerken zu sehenden Duckfaces. Zu Zeiten, da gerade die ersten Druckerpressen, mithin die preiswerte Möglichkeit der Vervielfältigung von Darstellungen erfunden worden war, musste etwa Lucas Cranachs Doppelporträt in Öl von Heinrich dem Frommen und Katharina von Mecklenburg als bilderpolitisches Statement gelten.

Die Ehe zwischen dem hünenhaften Sachsen Heinrich und der mächtigen Lutheranerin Katharina war Ausdruck einer neuen politischen Achse in Mitteleuropa. Die beiden schauen sprechenden Blickes von ihren lebensgroßen, aus der Dresdner Gemäldegalerie entliehenen Bildtafeln. Er: ein munteres Mannsbild mit Schwert. Sie: eine miesepetrige Machthaberin. An der Wand daneben krault der gerade zum Kaiser gekrönte Karl V. versonnen seinem Lieblingshund das Fell.

Der Selbstgefälligkeit wohnt Lächerlichkeit inne

Porträts einzelner Personen waren zeit- und ­geldaufwendig und deshalb auch sehr selten. Selbst Rembrandt hat zeit seines Lebens nur drei Porträts gemalt. In Amsterdam sind zwei von ihnen zu sehen. Das Kaufmannspaar Marten Soolmans und Oopjen Coppit schaut hier ernst von der Stirnwand eines Saales. Seinerzeit, 1634, kostete solch ein Porträt die Auftraggeber tausend Gulden – für den zeitgemäßen Gegenwert bekäme man heute eine dieser pittoresken und im Grunde unbezahlbaren Grachtenhäuser.

Dass „Marten en Oopjen“ hier frisch restauriert zu sehen sind, ist der eigentliche Anlass der „High Society“-Schau. Das Bild-Paar befand sich bis 2016 im Privatbesitz der Familie Rothschild in Frankreich. In einem kleinen Film kann man sehen, wie sie im Schlafzimmer der Rothschilds auf beiden Seiten des Ehebetts hingen: unten die gebügelte Times auf dem Nachttisch – oben das Amsterdamer Kaufmannspaar.

Auf knapp hundert Drucken und Stichen aus dem Archiv des Rijksmuseums ist das sündige Leben der Reichen und Schönen zu betrachten

Als die Bilder vor zwei Jahren verkauft werden sollten, kollaborierten Frankreich und die Niederlande und boten jeweils achtzig Millionen Euro. Der Deal ist, dass „Marten en Oopjen“ nun immer im Wechsel in beiden Ländern zu sehen sein werden. Den Anfang durfte das Rijksmuseum machen, ab September 2018 zeigt sie der Pariser Louvre.

Die 37 weiteren Gemälde sind also quasi die Partygäste von „Marten en Oopjen“. Drei Dutzend Menschen, die wichtig und eitel genug waren, um sich malen zu lassen. Aber wie es so ist mit der Selbstgefälligkeit: ihr wohnt stets auch eine gewisse Lächerlichkeit inne. Das Porträt des schottischen Colonels William Gordon zum Beispiel ist dafür ein schönes Beispiel.

Harmlos fängt es an

Der General war Mitte des 18. Jahrhunderts eigens nach Rom gereist, um sich dort vom Must-have-Porträtisten ­Pompeo Batoni malen zu lassen. Der zeigt den Schotten mit gerecktem Kinn und blassen Beinen unter seinem Kilt, im Hintergrund bröckelt das Kolosseum. Den Tartan, den Wollstoff seines schottischen Clans, hat er sich als Toga um den Oberkörper gewickelt. Heute würde man zu Recht Gordons mangelnde kulturelle Sensibilität kritisieren.

Im zweiten Teil der Ausstellung geht es um das Nichtzeigbare, also das geheime Leben der High Society abseits repräsentativer Rituale. Durch eine pinkfarbene Schlüsselloch-Tür gelangt man zu den „Guilty ­pleasures“. Auf knapp hundert Drucken und Stichen aus dem Archiv des Rijksmuseums ist das sündige Leben der Reichen und Schönen zu betrachten; der Kaiser ist hier im Wortsinn nackt.

Jede Menge Boudoirs und Bordelle, Brüste, Schwänze, Gelage und Besäufnisse sind im weiteren Verlauf zu betrachten

Es fängt relativ harmlos an mit Branntwein und Würfelspielen – aber das Lotterbett, das im zweiten Saal steht, deutet an, wohin die Reise geht. Jede Menge Boudoirs und Bordelle, Brüste, Schwänze, Gelage und Besäufnisse sind im weiteren Verlauf zu betrachten.

Nach den großformatigen Porträts muss man hier ganz nah ran, um alles gut erkennen zu können. Pornografie, Sadomasochismus, Vergewaltigung – das Volk musste wirklich nicht wissen, was die Reichen und Schönen so in ihren Gemächern trieben. Aber hier, im Amsterdamer Rijksmuseum, wird alles gezeigt. Und ja, die stolzen 17,50 Euro Eintritt sind es allemal wert.

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