Ausstellung in der Bremer Weserburg: Die Kunst des Scheiterns

Die Bremer Weserburg ergründet in der Ausstellung "Freibeuter der Utopie" die Möglichkeiten von KünstlerInnen, die Gesellschaft zu verändern. Von Vision ist dabei wenig die Rede - aber viel von Klage.

Die Videoarbeit "Anthro / Socio. Rinde Spinning" von Bruce Naumann eröffnet die Bremer Ausstellung. Bild: Weserburg

BREMEN taz | Am Anfang steht die Klage. Sie ist universell, sie ist wortreich, vor allem aber laut, um nicht zu sagen schrill. Sie ist verstörend, eindringlich, dabei von Bruce Naumann durchaus prominent vorgetragen. Und doch bleibt sie unverständlich, ja: inhaltsleer.

Sie symbolisiert das Scheitern. Die Videoarbeit "Anthro / Socio. Rinde Spinning" von 1992 aus der Hamburger Kunsthalle, einst bei der Documenta IX zu sehen, ist die Eröffnung der Ausstellung "Freibeuter der Utopie" in der Bremer Weserburg. Und zugleich auch ihre Essenz.

Wer, wenn nicht die Künstler, sollte die Freiheit haben, der Sehnsucht nach einer anderen Welt eine Form zu geben? Hätten sie nicht das Potenzial, "Gegenwelten zu entfalten", wie Weserburg-Direktor Carsten Ahrens es nennt? Die Vision eines anderen Lebens abzubilden, aufzubegehren gegen eine durchökonomisierte Welt, in der "alternativlos" das Unwort das Jahres ist?

Doch schon der Untertitel der Ausstellung zeigt, dass man hier ernstlich nicht auf Antworten hoffen kann: "Die Kunst der Weltverbesserung" - das kann man nur ironisch meinen. Das wird schon klar, wenn man eingangs das Zitat aus Goethes Tasso liest, das neben der Naumannschen Video-Installation steht: "Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt / Gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide."

Der Künstler ist hier also ein Klagesänger. Die Ausstellung befreit sich gleich zu Beginn von der Erwartungshaltung, Antworten zu formulieren und auch nur halbwegs konkrete Alternativen aufzuzeigen. Sie will kein großer Wurf sein.

Und unternimmt deshalb gar nicht erst den Versuch, einer wie auch immer gearteten Utopie näher zu kommen. Umso klarer macht sie das Scheitern deutlich. Ist die Kunst erst einmal von der Last eines Hoffnungsträgers befreit, lässt es sich mit ihr umso entspannter scheitern.

Ein sehr pragmatischer Ansatz in einem Haus, dessen Direktor bei den Grünen ist und das gerade durch einen als "alternativlos" bezeichneten Schritt bundesweit von sich reden machte: Den Verkauf des Tafelsilbers aus der überschaubaren eigenen Sammlung des Sammlermuseums.

Gerhard Richters "Matrosen" wurde im November vergangenen Jahres bei einer Auktion von Sothebys in New York für den Nahezu-Rekordpreis von 13,2 Millionen US-Dollar versteigert. Die klamme Weserburg bekam rund 8,5 Millionen Euro, um ihre eigene Existenz zu sichern.

Ahrens selbst hat 2004 schon einmal eine durchaus verwandte Ausstellung kuratiert. Sie hieß "Partisanen der Utopie", war im brandenburgischen Schloss Neuhardenberg zu sehen und stellte Joseph Beuys und Heiner Müller gegenüber.

Auch hier stehen sie sich wieder gegenüber: Müller auf einem Schwarz-Weiß-Foto von 1990, das ihn aus der Kanalisation kommend zeigt. Beuys mit einem Video seiner legendären Performance "I like America and America likes me", für die er 1974 mehrere Tage mit einem Kojoten und diversen Ausgaben des Wall Street Journals in einer New Yorker Galerie zusammen lebte.

Immer wieder kommt die Ausstellung auf das Scheitern zurück. Sei es mit einem Verweis von Beuys auf die RAF. Sei es mit einer Variation von Andy Warhols Suppendosen, die Sinnbilder der Konsumgesellschaft zur Kunst erhoben.

Sei es mit einer lebensgroßen Wachspuppe Che Guevaras, 1999 geschaffen von Gavin Turk. Aufs Podest gehoben, hinter Glas gestellt, erweckt sie trotz der schussbereiten Waffe in der Hand eher Assoziationen an die popkulturelle Verklärung des Revolutionärs.

Und Martin Kippenbergers 1990 ans Holzkreuz genagelter Frosch ("Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus: Der Gesichtsausdruck beim Nageln") stellt unmissverständlich klar, dass die politisch-gesellschaftliche Wirkungsmacht des Künstlers vor allem in der Provokation der Gesellschaft liegt.

Auffällig ist, dass allerneueste künstlerische Ansätze in dieser Ausstellung in der Minderzahl sind. Gut, da ist Astrid Kleins von Einschüssen durchsiebte Spiegelwand - die aber doch nur eher eine Innenperspektive liefert und den Blick auf sich selbst richtet.

Und sonst? Da ist Jonathan Meese, der die "Diktatur der Kunst" ausruft. Gleich neben dem Objektkünstler Olaf Metzel, dem einstigen Direktor der Akademie für Bildende Künste in München, der jüngst in der Weserburg eine eigene Werkschau hatte. Er ist an einer Wand mit vier akkurat nebeneinander hängenden Galgenstricken aus Bronze vertreten. Doch die sind auch schon von 1998.

Hochaktuell indes ist eine Arbeit, die auf mehreren Bildschirmen verschiedene Demonstrationen unkommentiert nebeneinander stellt. Eine Fülle von Utopien? Man weiß es nicht. Was bleibt - ist eine Kakophonie des Protests. Gegen was auch immer.

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