Ausstellung: Die Gegenwärtigkeit des Krieges

Edel-Möbel und Maschinenteile in Reih und Glied: Raffael Rheinsberg und Lilli Engel stellen in einem Bunker und der Marineschule in Kiel aus

Militärisches oder ziviles Gerät? Und gibt es überhaupt Unterschiede? Ausstellung in der alten Marineschule Bild: Promo

taz | Es sitzt sich bestimmt sehr bequem darin: ein solider Schwingsessel aus rotem, sehr weichem Leder, dazu ein passender, kleiner Hocker, um die Füße darauf abzulegen. Auch die mehrteilige Sitzlandschaft im Nebenraum wirkt einladend, ebenso die Einbauküche noch einen Raum weiter, deren Türen, Schubladen sich wie von alleine wieder schließen. Umso gewöhnungsbedürftiger ist die Umgebung: dicke, schrundige, unverputzte Mauern. Hier und dort ragen Eisenträger hervor.

Wie eine Musterwohnung präsentiert sich die Ausstellung „Schöne neue Welt“, mit der Raffael Rheinsberg und Lilli Engel, ein Paar im Leben wie in der Kunst, noch einige Tage lang den „Flandernbunker“ im Kieler Stadtteil Wik bespielen. Bis in den Mai 1945 residierte in dem Bau die Kommandantur der 5. U-Boot-Flottille, nun könnte man hier einziehen. Und es gibt sie ja auch wirklich: innerstädtische Bunker, die umgebaut werden zu Lofts für Besserverdienende.

Rheinsberg, lange in Kiel ansässig, bis er nach Berlin ging, weiß, wovon er erzählen will: von der Gegenwärtigkeit des Krieges – so sehr dieser sich auch zu tarnen sucht, und so sehr wir selbst es uns auch gut gehen lassen möchten, egal, was um uns herum an Gewalttätigem oder eben Kriegerischem geschieht. Er kam 1943 im damals schon weitgehend zerstörten Kiel zur Welt, verbrachte seine ersten Lebensjahre in einer Kriegsruine in der Ringstraße. Und er kennt die seelischen Verwerfungen, die der Krieg, das NS-Regime und das anschließende Schweigen ausgelöst haben. Immer wieder ist Rheinsberg losgezogen, dafür Ausdrucksformen zu finden – in seiner „Koffermauer – Klagemauer“ etwa, die aus gefundenen Koffern bestand. Oder in seiner Collagen-Serie „Alptraum“, für die er im Jahr 1978 Schlafzimmerbilder und Fotos fahrender Panzer ineinander fügte.

Rheinsberg war auch einer der Künstler, die von der Stadt Kiel 1993–95 zu einem mehrteiligen „Kunstlaboratorium“ eingeladen wurden, als sich der Streit um die Nutzung des sogenannten Kilianbunker zuspitzte: ein ehemaliger U-Boot-Bunker auf der rechten Fördeseite, in den Jahren 1941 bis 1943 unter Hochdruck durch mehr als 1.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene erbaut, den 1946 die Alliierten sprengen. Während die Stadt die Bunkerfundamente lange ignorierte, dann beseitigen wollte, um Bauflächen zu gewinnen, setzte sich ab Mitte der 80er eine Initiative dafür ein, den Bunker zu erhalten, um dort ein Mahnmal, einen Begegnungsort und ein Museum zu errichten. Seit 1987 steht das Gelände unter Denkmalschutz, auch gegen den heftigen Widerstand der Stadt.

„Mein Atelier ist außer der Straße und der Öffentlichkeit mein Kopf“, schrieb Rheinsberg damals in sein Konzept, mit dem er vorschlug, auf den Resten des Bunkers ein Forschungsinstitut und eine Gedenkbibliothek zu errichten. Doch aller Kunstverstand, alle Phantasie, auch das bundesweite Echo nützten nichts, ebenso wenig wie der nationale Denkmalpreis, den die Initiative 1999 bekam: Dem Denkmalschutzamt wurde die Zuständigkeit entzogen, der Kilianbunker ein Jahr später schnöde abgerissen. Und die Geschichtsinteressierten unter den Kielern bekamen, quasi als Ausgleich, den wesentlichen kleineren Flandernbunker übereignet. So funktioniert Politik.

Wenn Raffael Rheinsberg in die Sphäre eines Kieler Bunkers zurückkehrt, dann erinnert er auch an diese Geschichte zur Geschichte. Dazu passt eine zweite, kleinere Ausstellung in der einstigen Technischen Marineschule, einige Straßen entfernt vom Bunker. Hier, wo angehende Unteroffiziere von 1913 mit Unterbrechungen bis etwa 2001 technisches Know-how erlernten, aber auch das Kommandieren von untergebenen Mannschaften, hat Rheinsberg lange Reihen von Metallteilen aufgestellt; ein Rückgriff auf Arbeiten wie „In Reih’ und Glied“. Offen lässt er, ob die Objekte zu militärischen oder zivilen Gerätschaften gehören – und ob dazwischen überhaupt ein Unterschied besteht.

Dass auch dieser Teil der Ausstellung in einem einstigen Militärgebäude ausgerichtet wird, ist nicht zufällig: Auch im angeblich so hässlichen Kiel wächst der Bedarf an Wohnraum, möchte man mit Blick auf die Förde mit „Wohnen am Wasser“ auftrumpfen. Und so ist das einst eher gemiedene, von militärischer Nutzung bestimmte Wik in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus der Wohnungswirtschaft gerückt.

Begleitend sehr aktiv ist ein neuer Bürgerverein unter dem Label „maritimes Viertel“, der Wik in einen urbanen Wohlfühlort verwandeln will. Ein Vehikel: die Kultur. So beherbergt das ehemalige Marinekrankenhaus inzwischen neben dem Kunstverein Haus 8 eine Ateliergemeinschaft, und in der gegenüberliegenden Petrus-Kirche finden kaum noch Gottesdienste statt, dafür Konzerte, Lesungen und Vorträge.

Den dritten, gewissermaßen flexiblen Ausstellungsort bildet der Weg zwischen Marineschule und Flandernbunker. Gleich nebenan befindet sich der Stützpunkt Kiel-Tirpitzhafen. Und so wird es in Wik darum gehen, Militär und Zivilgesellschaft städtebaulich neu zu vereinbaren, jetzt wo der Krieg hinausgezogen ist in die weite Welt. Der Weg führt an einem Gelände der Bundesmarine vorbei – und erzählt davon, wie diese es versteht, ihre Präsenz zu zivilisieren. Auf den Schildern ist nicht mehr wie einst zu lesen, dass im Bedarfsfall scharf geschossen werde oder dass generell das Fotografieren streng verboten sei. Auch der Zaun selbst fällt geradezu dezent aus, wie bei irgendeinem Firmengelände.

Es ist diese Normalität, gegen die Rheinsberg und Engel anzugehen versuchen, wobei die Grenzen ihres Handelns schnell erreicht sind: Ohne den Zuspruch der Bundesmarine wäre die Präsentation in der Marineschule nicht möglich. Das Militär ist sozusagen mit im Boot – und kann kritischen Diskurs offenbar ganz gut aushalten.

Die Möbel aus dem Bunker gehen übrigens nach Ende der Ausstellung zurück an verschiedene Kieler Einrichtungshäuser und sollen – dann ihres Kunstcharakters entsprechend entledigt – wie ganz normale, wenn auch hochpreisige Möbel verkauft werden.

Was der Grundidee von Engel und Rheinsberg eine zusätzliche und interessante Wendung gibt: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen entspannt in einem Lederschwinger oder lümmeln, ein kritisches Wirtschaftsmagazin lesend, in der beigefarbenen Sofalandschaft, die sich ein Künstlerpaar ausgeliehen hatte, um uns mit mit unserer latenten Gleichgültigkeit gegenüber den Kriegen auf dieser Welt zu konfrontieren. Ob man davon noch etwas merkt?

Bis 20. Oktober. Infos unter
Jörg Rönnau, „Wertewandel im Werk von Raffael Rheinsberg“: Michael Imhof Verlag 2013, 192 Seiten, 19,90 Euro
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