Ausstellungsempfehlung für Berlin: Ungetüme auf vier Rädern

Die Künstler*innen Folke Köbberling und Martin Kaltwasser laden ins „Autohaus Mitte“. Die taz sprach mit Martin Kaltwasser.

Martin Kaltwasser, „Telescopes Warschauer Brücke“, 2005-2018, Installationsansicht aus der Galerie Weisser Elefant Foto: Holger Herschel

Die Zahlen sind irre: Fast jeder dritte Neuwagen, der in Deutschland angemeldet wird, ist ein SUV. Tendenz steigend. Bereits vor zehn Jahren, als es noch gar nicht so viele waren, stellten Martin Kaltwasser und Folke Köbberling auf der Club Transmediale ihre „Crushed Cayenne“ aus. Es handelt sich um zwei leicht vergrößerte Nachbildungen des beliebten Porsche-Familienpanzers aus Fundholz, die so aussehen, als seien sie gerade mit voller Wucht ineinander gekracht.

In der aktuellen Ausstellung in der Galerie Weißer Elefant, die den schönen Titel „Autohaus Mitte“ trägt, mussten die Autowracks durch eine Wand getrennt aufgestellt werden, was einen Teil des Problems auf den Punkt bringt: Nirgends ist Platz für die Luxusungetüme.

Von den unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Interessen, die im urbanen Raum kollidieren und für die das Auto sinnbildlich steht, handeln auch die weiteren Arbeiten der Ausstellung. In einem schmalen Raum etwa steht ein angekettetes Bobbycar der Marke Porsche, mit dem schon die Kleinsten als zukünftige Konsumenten gewonnen werden sollen. Berühren verboten! Das Rutschauto ist mit giftigem Blei überzogen.

Wie rasant die Vereinnahmung des Stadtraums voranschreitet, macht „Telescope Warschauer Brücke“ (2005/2018) deutlich. Das Duo hatte 2005 drei Standfernrohre auf der Warschauer Brücke aufgestellt, wie man sie von Berggipfeln kennt. Ein Panoramabild zeigt, worauf man dort heute blicken würde: auf das Kommerzareal rund um Mercedes-Benz-Arena und East Side Mall.

Einblick (755): Martin Kaltwasser, Künstler

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

"Autohaus Mitte" in der Galerie Weisser Elefant. Bis 2. 2., Di.–Fr. 11–19, Sa.+So. 13–19 Uhr, Auguststr. 21

Martin Kaltwasser: Die Ausstellung „Welcome to Jerusalem“ im Jüdischen Museum. Enorm informativ, vielschichtig, sinnlich, ­tiefgehend. Exzellent und mutig kuratiert. Inhaltliche Tiefe und sensibel ­umgesetzte Präsentation setzen Maßstäbe. Diese wichtige Ausstellung wird noch bis 30. April in Berlin zu sehen sein.

Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?

Ich bin in den letzten Jahren kaum in Clubs oder Konzerte gegangen. Ist aber eine gute Anregung für 2019. Ich würde z. B. gerne ins Berghain gehen, wo ich mit viel Glück vor vielen Jahren zweimal war und immer noch allen davon ­vorschwärme. Aber da ich langes ­Schlangestehen hasse und mich ungern der Willkür eines Türstehers aussetze, werde ich diesen Laden wohl nie mehr betreten. Was auch nicht weiter schlimm ist.

Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?

Martin Kaltwasser, geboren 1965 in Münster, studierte Freie Kunst an der AdBK Nürnberg und Architektur an der TU Berlin. Seine international gezeigten Arbeiten im öffentlichen Raum verbinden eine kritische Recherche mit prozessorientierten, ortsbezogenen, räumlichen, oft partizipativen Umsetzungen. Jüngste Einzelausstellungen und Projekte: Oasen, Logistikareal Nordwestgüterbahnhof Wien (A) 2017, Los Angeles Garden, IGA Berlin 2017, autovisions, Skulpturenmuseum Marl 2018. Kaltwasser lehrt derzeit an der weißensee kunsthochschule berlin im Masterstudiengang Raumstrategien. Aktuell sind Arbeiten von ihm und Folke Köbberling in der Galerie Weißer Elefant zu sehen.

Zeitschriften: Arch+, Die Zeit, derive und bei meinem Hausarzt Gala.

Bücher: Henri Levebvre: „Revolution der Städte“; Haruki Murakami: „Die Ermordung des Commendatore“.

Was ist dein nächstes Projekt?

Zusammen mit Iren Tonoian auf dem Kölner Ebertplatz im Frühjahr die Umsetzung des Kunstwerks „Barren“: Es handelt sich um den Umbau einer stillgelegten Freiluftrolltreppe zu einem öffentlichen skulpturalen Turn- und Spielgerät im 30-Grad-Winkel.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?

Ereignis: Die hoffentlich immer häufigeren langfristigen Sperrungen der Straße des 17. Juni für den Autoverkehr, nicht nur alle vier Jahre während der Fußball-WM. Dann wird der Tiergarten zu einer wunderbaren innerstädtischen Oase der Erholung. Diese gute Tradition sollten auch andere Berliner Hauptverkehrsstraßen nachahmen.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz.

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