Auswahl-Doku: Ein prüfender Blick auf die Prüfer

„Die Prüfung“: Wie das ist, wenn fast 700 junge Menschen um zehn Schauspiel-Studienplätze in Hannover konkurrieren.

Spielen, beurteilen, beobachten: „Die Prüfung“, gedreht an der Hochschule Hannover. Foto: Boerres Weiffenbach

Insgesamt 16 in Norddeutschland produzierte Filme finden sich im Programm der jetzt gestarteten Berlinale, acht von der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein bezuschusste und ebenso viele von der Nordmedia in Niedersachsen geförderte. Das Spektrum reicht vom Trickfilm für Kinder im Vorschulalter – „Ted Sieger‚s Molly Monster“, der zum Teil in Hannover animiert wurde – bis zur 12-Stunden-Dokumentation „Chamissos Schatten“, in der Ulrike Ottinger den Spuren von Naturforschern und Entdeckern aus den vergangen Jahrhunderten folgt, und die, wie die meisten von Ottingers Arbeiten, im „Forum“ gezeigt wird.

Besonders interessant ist Till Harms‚ Dokumentation „Die Prüfung“, und das nicht nur, weil dabei der Lokalbezug so deutlich ist: Gedreht wurde der Film ausschließlich in den Räumen der staatlichen Schauspielschule Hannover. Es geht um die Aufnahmeprüfungen für den Studiengang Schauspiel – erzählt wird das aber nicht aus der vielleicht gängigen Perspektive der Prüflinge. Harms richtet stattdessen einen genauen Blick auf die Prüfer.

Ein eigenes (Sub-)Genre

In den vergangenen Jahren hat sich ja geradezu ein eigenes (Sub-)Genre über solche Besetzungswettbewerbe entwickelt, nicht so sehr im Kino als vilmehr im Fernsehen, und so sagte der Regisseur denn auch in einem Interview, „diese ganzen Casting-Shows im Fernsehen“ hätten ihn auf die Idee zu „Die Prüfung“ gebracht. Jene Fernsehjuyshows sind wohl auch deshalb so erfolgreich, weil sie den Zuschauer in die relativ bequeme Situation eines Mitjuroren versetzen: Vom heimische Sofa aus können sie das Geschehen be- und verurteilen, hoffen, dass ihre Lieblinge gewinnen – und mit häufig nicht geringer Schadenfreude das Scheitern der vermeintlich weniger Talentierten goutieren.

Für „Die Prüfung“ kappt Harms diese simple, aber sehr effektive Dramaturgie – und das gleich in der ersten Sequenz: Zu Anfang des Films zeigt er, wie die Dozenten per Telefon alljene benachrichtigen, die die Aufnahmeprüfung bestanden haben und für das Studium angenommen sind. Eine Schülerin in spe beginnt hemmungslos zu weinen, eine andere glaubt an einen bösen Scherz und muss nach ihrem Rückruf erst mit ruhigen Worten überzeugt werden. In einem konventionelleren Film wäre dies ein perfektes Ende, hier ist es aber nur eine Art Vorblende, die jedes sportliche Interesse an der Aufnahmeprüfung untergräbt.

Gedreht hat Harms im Jahr 2013, damals hatten sie in Hannover 687 Bewerber für zehn Studienplätze, und neun Dozenten mussten zehn Tage hindurch die Auswahl treffen, und ihnen folgt der Film. Sie sind es, die der Zuschauer im Laufe des Films näher kennenlernt. Sie waren es, die eine Anwesenheit der Kamera auch in vertraulichen und nicht immer schmeichelhaften Situationen zugelassen haben.

„Nur echte Reaktionen“

Natürlich unterrichten die Dozenten nicht umsonst Schauspielkunst und sind im Zweifelsfall vielleicht bessere Darsteller als ihre Prüflinge. Aber auch sie scheinen die Kameras bald vergessen zu haben. Und die wiederum müssen zehn Tage lang allgegenwärtig gewesen sein: Die Prüfungssituationen filmte Harms mit je drei Kameras, da klingt es vergleichsweise glaubhaft, wenn er sagt, dass er nicht– wie üblich – bei der Montage ein wenig geschummelt habe, sondern „nur echte Reaktionen“ zeigt.

Erstaunlich ist an diesem Blick hinter die Kulissen, wie aktiv die Prüfenden in die Vorführungen eingreifen; einer sagt nicht zu unrecht, sie böten nebenbei einen „kostenlosen Workshop“ an. Denn sie gehen auf jeden einzelnen ein, verändern immer wieder die Situation auf der Bühne, sodass die Darsteller spontan reagieren müssen und dabei Stärken oder auch Schwächen offenbaren, die dann von den Dozenten analysiert werden. So bekommt auch das Publikum zumindest einen Einblick in Tiefen und Techniken der Schauspielkunst.

Es gibt natürlich einige brillante Auftritte von Prüflingen, aber auch da wird immer wieder auf die Gesichter der Prüfer geschnitten: Die lachen schon mal, aber es werden auch Gesichter in den Händen vergraben – immer neugierig allerdings sind die Blicke nie abschätzig oder gelangweilt. Die Prüfer mögen auch mal müde sein, aber nie lassen sie das im Film ihre Prüflinge spüren.

Dass sie mit ihrem Urteil auch mal daneben lagen, wird am Beispiel von Moritz Leu deutlich: Der fiel kaum weiter auf, kam nicht einmal in die Endrunde jenes Bewerbungsjahrgangs – und hat im Film nur einen winzigen Auftritt. Seither aber hat Leu eine Hauptrolle im Spielfilm „4 Könige“ gespielt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Zusammenbruch auf der Bühne

Harms zeigt keine Prüflinge, die eindeutig schlecht sind und durchfallen. Nur eine junge Frau scheitert und bricht fast auf der Bühne zusammen. Nicht mal sie wird hier vorgeführt. Nun ist dies eine der stärksten Sequenzen des Films geworden, denn in ihr wird klar, mit welcher Leidenschaft viele der Schauspielschüler sich in die Prüfungen stürzen und wie menschlich die Prüfer darauf reagieren.

Eine Schlusspointe wird übrigens nicht erzählt: Auch die Hochschule selbst stand damals auf dem Prüfstand – und hat nicht durchgehend bestanden. Und die beiden Kandidaten, welche die Auswahlkommission als einzige einstimmig annahm, haben gar nicht in Hannover studiert, sondern sind stattdessen nach Leipzig gegangen.

Seine Berlinale-Premiere hat „Die Prüfung“ kommenden Mittwoch, später im Jahr soll er auch in die Kinos kommen. Und als Koproduktion mit dem „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF wird er auch irgendwann mal im Fernsehen zu sehen sein.Berlinale SEITE 16,17

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