Auswirkungen des freien Handels: Herr Lange ist optimistisch

Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP werden vielleicht noch dieses Jahr beendet. Was kommt da eigentlich auf uns zu?

Transatlantische Verständigung: der US-Handelsbeauftragte Michael Froman (rechts) und der TTIP-Chefunterhändler der EU, Ignacio Garcia Bercero, bei einer Anhörung in Chevy Chase, Maryland, 2014 Foto: Jim Lo Scalzo/dpa

HANNOVER taz | Bernd Lange von der SPD ist jetzt kein Volkstribun oder so. Und flächendeckende Bekanntheit hat der ehemalige Gymnasiallehrer in seinen bald 20 Jahren als Europaabgeordneter nicht erlangt. Aber derzeit ist er viel gefragt. Denn seit 2014 ist der Mann aus Burgdorf bei Hannover Vorsitzender des Handelsausschusses des Europaparlaments. Vor allem aber ist er der „Berichterstatter“ – so nennt das Europaparlament die federführenden Sachbearbeiter für einzelne Themen – für TTIP, das Freihandelsabkommen mit den USA, und das ist das EU-Vorhaben, das zur Zeit die meisten Menschen aufwühlt. Auch bei Barack Obamas Besuch am kommenden Samstag in Hannover wird es die Massen bewegen – zur Gegendemo.

Wenn also Bernd Lange fordert, dass „Präsident Obama was im Rucksack haben“ müsse, wenn er nach Hannover kommt, weil es sonst nichts mehr werde mit dem Vertrag, dann ist das derzeit eine Meldung. Und wenn er bei Ceta nicht ausschließt, am Ende zuzustimmen, hat das Gewicht. Denn Ceta, das Freihandelsabkommen mit Kanada, ist fertig. Es soll im Laufe des Jahres vom Europaparlament ratifiziert werden – oder endgültig platzen. Ceta gilt als so etwas wie der Testballon für TTIP.

Wobei die Metapher viel zu viel Leichtigkeit suggeriert: Erstens besteht das Comprehensive Economic and Trade Agreement derzeit aus 1.598 mit drögestem wirtschaftsjuristischem Englisch in Zwölfpunkt-Schrift bedruckten DIN-A4-Seiten, von der Benennung der Vertragsparteien bis zur „Reservation IIIB-PT-19“, dem letzten Punkt von Anhang III, der eine Ausnahme für in Yukon angesiedelte Investment-Fonds bestimmt: Die müssen einen in Kanada ansässigen Depositär haben. Da hebt nichts ab.

Und zweitens ist auch Test das falsche Wort: Wenn der Freihandelsvertrag mit Kanada durchkommt, hat sich der Widerstand gegen TTIP weitgehend erledigt: Die meisten großen US-Firmen haben eine Niederlassung jenseits des 49. Breitengrades. Das Handelsabkommen, das die Kommission schon jetzt in seltsamem Vorgriff aufs Parlamentsvotum „das umfassendste, das die EU je abgeschlossen hat“ nennt, würde also für große Teile der US-Wirtschaft bereits viele der erhofften Außenhandelserleichterungen bringen, ohne weitere Marktöffnung für Husumer Käse und stinkende Volkswagen, falls dafür überhaupt noch eine Nachfrage besteht: Das wäre aus europäischer Sicht jedenfalls auch keine glückliche Lösung.

Veto aus Wallonien

Fragt sich, ob sie zu verhindern ist: Zwar hat die Regierung der wallonischen Hälfte Belgiens bereits ihr Veto angekündigt. Bei der Demo in Hannover wird Niesco Dubbelboer vom niederländischen „Meer Democratie“-Verein als Redner die dortigen Vorbereitungen für ein Referendum vorstellen. Gegenwehr kommt auch von der einzigen konsequent europafreundlichen Kraft in Großbritannien, der Labour Party. Ein Ja des Parlaments könnte die EU gefährden.

Der niedersächsische Sozialdemokrat Lange allerdings wirkt ganz zufrieden mit dem Erreichten. Er spricht von einem „Etappensieg“ bei der umstrittenen Investorenschutz-Regelung – die bisherigen ISDS-Schiedskungelrunden, in denen Investoren ihre Rechte gegenüber Staaten geltend machen können, sollen durch eine neuartige Institution ersetzt werden, die der Vertragsentwurf als „Tribunals“ bezeichnet, mit großem T. Dass letztere nicht ohne Zustimmung der 28 nationalstaatlichen Parlamente der EU eingerichtet werden können, „ist meine Auffassung seit Langem“, so Lange zur taz.

Vor dem Chlorhühnchen muss niemand Angst haben, wenigstens keiner, der abgepackte, also wie die US-Broiler im Chlorbad desinfizierte Salate isst.

Doch für die allein den Handel betreffenden Bereiche des Abkommens ist laut Lissabon-Vertrag allein das Europaparlament zuständig. „Bei einem etwaigen Ja des Europäischen Parlaments könnten danach große Teile des Abkommens vorläufig angewendet werden“, erläutert Lange. Für Viele im Herzen der Europa-Verwaltung ist Ceta im Laufe der siebenjährigen Verhandlungen zu einem Prestigeprojekt geworden, das man ungern scheitern sähe.

Ursprünglich war viel die Rede von Beschäftigungs- und Wachstumseffekten der Abkommen. Aber das waren, wenn man diese Verheißungen nicht als Ablenkungsmanöver bewerten will, fromme Wünsche: Zwar könnten einzelne Branchen tatsächlich profitieren. Zumal die Autoindustrie, im Norden durch VW und, in Bremen, durchs größte Mercedeswerk Deutschlands vertreten, rechnet sich was aus. Und, klar, auch die Hafenwirtschaft.

Kaum messbare Effekte

Aber die von makroökonomischen Studien selbst aufgrund optimistisch designter Modelle prognostizierten Wohlfahrtseffekte sind so klein, dass sie nach Inkrafttreten der Abkommen kaum messbar wären. Das EU-Bruttoinlandsprodukt soll durch TTIP um sage und schreibe 0,034 Prozent jährlich steigen, das in den Vereinigten Staaten um 0,028, haben die Forscher des Center for Economic Policy Research im Auftrag der EU-Kommission herausgefunden. In Deutschland wird es, kalkuliert das neoliberale Ifo-Institut, fast 70.000 neue Jobs geben – im Laufe von 15 Jahren. Die wären anders zuverlässiger zu kriegen. Und billiger.

Denn bezahlt würden die Abkommen einerseits mit einer Verschärfung des weltweiten Ungleichgewichts: Russland würde weiter isoliert; der große Verlierer aber wäre Afrika: Ceta und TTIP produzieren insofern neue Fluchtgründe. Andererseits bewirken sie eine Preisgabe von Standards: In den ursprünglichen Entwürfen war das eine aggressive und eindeutige Tendenz. Mittlerweile ist die Deregulierung nicht mehr komplett enthemmt.

So steht, dank des massiven öffentlichen Drucks, mittlerweile ein „rigth to regulate“ im Vertragstext, ein staatliches Recht, zu regulieren. Das klingt nach nichts, ist aber wichtig: Die alten Investitionsschutzklauseln konnten jede Gesetzesänderung zur Millionenfalle machen. So ächzt die tschechische Republik derzeit, weil die Deutsche Bank sie in eine ISDS-Dreierrunde gezerrt hat, nachdem das Land die Solar-Subventionen gekürzt hat.

Dasselbe Spiel betreibt Niedersachsens Norddeutsche Landesbank in Spanien: „Völlig inakzeptabel“ findet das Bernd Lange. Dank des right to regulate lägen solche Fälle künftig „völlig außerhalb des Fokus eines möglichen öffentlichen Investitionsgerichtes“. In diesem Sinne bleibt laut Vertragsentwurf auch eine Rekommunalisierung von öffentlichen Dienstleistungen wie der Müllabfuhr, wie sie Bremen plant, ausdrücklich erlaubt.

Aber schon, ob das auch für einen Rückkauf des Stromnetzes wie in Hamburg gelten würde, ist ungewiss, und im Finanzsektor scheint eine Vergesellschaftung gar nicht mehr erwünscht. Mindestens aber müsste ein solches Projekt „frühzeitig bekanntgegeben“ werden, Hyperlink:=heißt es in einem Gutachten der Göttinger Juristen Peter-Tobias Stoll und Till Patrik Holterhus: Erst muss nämlich die „andere Seite“ Gelegenheit zur Stellungnahme haben, dann der Regulierungsunter- und schließlich ein Haupt-Ausschuss konsultiert werden. Bei Aufweichungen von Standards sind solche Prüfungen nicht vorgesehen.

Vor dem Chlorhühnchen muss dagegen niemand Angst haben, wenigstens keiner, der abgepackte, also wie die US-Broiler im Chlorbad desinfizierte Salate isst. Das Chlorhühnchen dient nur zum Emotionalisieren der sonst so furztrockenen Materie. Andere Standards sind viel problematischer, und plastisch wird das vor allem in der Landwirtschaft. So beharrt US-Agrarminister Tom Vilsack, dem die Performanz seit jeher ein nationales Anliegen ist, auf dem Ziel eines verbesserten Marktzugangs für gentechnisch veränderte Organismen, damit im Zusammenhang stehen auch Fragen der Pflanzenschutzmittel.

Fast gesetzhaft gilt die Formel „quantitatives Wachstum geht mit Qualitätsverlusten für die VerbraucherInnen einher“, mit der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel aus Bremen die erodierende Wirkung von TTIP beschreibt: Tatsächlich muss dafür das Abkommen selbst die Standards nicht ausdrücklich absenken. Es reicht, sie als äquivalent anzuerkennen, sodass das billiger mit der massenhaft verfügbaren Gensoja gefütterte Schnitzel „über den niedrigen Preis die bisher nach Gesundheitsanforderungen regulierten Produkte“ verdrängen wird, so Hickel.

Konzerne sind Gewinner

Das betrifft Norddeutschland unmittelbar, auch ohne, dass die Hormonbehandlung hier legalisiert würde: Mehr als zehn Millionen Schweine werden in Niedersachsen und Schleswig-Holstein gehalten, und tatsächlich hat die EU die Zölle, die diesen Wettbewerbsnachteil bislang ausgleichen, beim Schweinefleisch in den TTIP-Verhandlungen im vergangenen Herbst zur Disposition gestellt.

Dabei sind sowohl der europäische als auch der US-Binnenmarkt mehr als schweinegesättigt. Wer dem Chef des niedersächsischen Landvolks, so heißt dort der Bauernverband, unterstellt, etwas für seine Mitglieder zu tun, kann sich insofern nur wundern, warum der Agrarfunktionär für die Chancen von TTIP wirbt. Einen Hinweis immerhin gibt er im Göttinger Tageblatt: „Die deutschen Landwirte liefern nicht direkt in die USA“, sagt er dort, „sondern sie sind Zulieferer der Nahrungsmittelindustrie.“

Und damit schließt sich der Kreis. Denn die Nahrungsmittelindustrie ist fest in der Hand multinationaler Konzerne mit denen auch Hilse seit jeher in engsten Beziehungen steht, auch nachdem er 2015 den Aufsichtsrat von Vion verlassen hat, dem zweitgrößten Fleischvermarkter Europas. So ist er beim niederländischen Stärkekartoffelmonopolisten Avebe Aufsichtsratsvize, einem weltweit agierenden Pionier des Gentech-Saatguts.

Die multinationalen Konzerne, das sind auch nach Ökonom Hickels Einschätzung die einzigen Gewinner der Freihandelsverträge: „Angestrebt“ werde mit denen „eine Globalisierung, bei der die Großinvestoren die Produkt- und Produktionsbedingungen dominieren“.

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