Auszeichnung für Installationen: Kunst und Schatten

Mit Lotte Lindner und Till Steinbrenner erhält erstmals ein Duo den Kunstpreis der Sparkasse Hannover. Sie schaffen Räume zum Eintauchen.

Souveränes Zusammenspiel von Inszenierung und Interaktion. Lotte Lindner und Till Steinbrenner bekommen Kunstpreis. Foto: Christian Wyrwa

HANNOVER taz | Am Anfang stehen Fragen. Muss das so sein? Kann es nicht anders sein? Was wird von Kunst erwartet, was von den Künstlern? Lotte Lindner und Till Steinbrenner haben vor kurzem eine ehemalige Werkstatt in einem hannoverschen Hinterhof grundsaniert. Da gibt es neue, große Sprossenfenster und Wände mit zart geweißtem, rauhem Sichtziegelwerk.

Das Atelier mit Tischen und Materialstapeln und die Küche sind nur durch eine halbhohe Wand getrennt. Der Wohnbereich schließt sich nahtlos an. Alles ist mit allem verbunden. Ein passender Ort.

Für den Kunstverein Hildesheim mit Sitz im historischen Kehrwiederturm entstand die jüngste Arbeit Linders und Steinbrenners: Es ging um Feierkultur und um einen Kunstraum, der in vielfacher Hinsicht lange männerlastig war. So gab es weder für die Ateliers noch für Veranstaltungen Toiletten.

Während Männer leicht in Bierflaschen pinkeln konnten, waren weibliche Gäste eindeutig im Nachteil. So entwickelte das Duo eigens eine gefaltete Papier-Urinella: eine Pinkelhilfe mit einer schmalen und einer breiten Öffnung, aufgestülpt auf eine Flasche Bier, inklusive Gebrauchsanweisung.

Lindner und Steinbrenner sind also noch da, auch wenn sie nicht mehr da sind. Ob der „Bierpartyapparat“ mit dem poetischen Namen „L’oiseau rebelle“ von den Hildesheimer Besuchern genutzt würde, das wussten sie nicht. „Wir sind auch eine Art Verhaltensforscher und gehen bei der Planung sehr ins Detail“, sagt Lindner.

„Da es inzwischen eine Toilette im Gebäude gibt, konnte es in einem geschützten Raum ausprobiert werden.“ Beider Erwartungen wurden übertroffen: Am Ende waren die Flaschen neu befüllt. Mit dem, was von einer Party übrig bleibt.

Gibt es Gleichberechtigung?

Für das „souveräne Zusammenspiel von Inszenierung und Interaktion“ in ihrem Gesamtwerk bekommen Lotte Lindner, Jahrgang 1971, und Till Steinbrenner, geboren 1967, nun den Kunstpreis der Sparkasse Hannover. Die Jury des zweijährlich verliehenen, mit 10.000 Euro dotierten Preises war auch überzeugt vom „sensiblen wie spielerischen Umgang mit (Kunst-)Räumen und den Erwartungen, die an diese gestellt werden“.

Erwähnenswert: Lindner ist erst die dritte Frau, die den seit 1984 ausgelobten Preis erhält. Das nur für alljene, die sich fragen, ob das Aufzeigen gesellschaftlicher Diskriminierung von Frauen noch aktuell sei.

Damit sie heute künstlerisch Grenzen bewusst machen können, musste Lotte Lindner anfangs höchst eigene überwinden: „Ich war schon immer kreativ, hatte aber lange nicht den Mut, dem zu folgen“, sagt sie. „Kunst zu studieren, hätte ich mich nicht getraut. Ich sah die selbstbewussten Männer.“ Erst nach einer Lehre merkte sie, dass sie nicht immer Holzarbeiten restaurieren, sondern selbst etwas schaffen wollte.

Sie begann ihr Studium in Braunschweig, Bildhauerei. Dort lernte sie Till kennen: Er hatte Metalldesign studiert. Beide befreiten sich quasi vom Material und trafen sich in der Performance-Klasse bei Marina Abramović.

Es gab ein hartes Bewerbungsverfahren. Lindner widerstrebte Abramovićs Emotionalität, sie fühlte sich aber gleichzeitig von der charismatischen, internationalen Künstlerin angezogen. Beide wurden aufgenommen. Zu ihren Stunden flog die Wahlamerikanerin ein. „Sie schüttete eine Tüte voll mit Einladungen in die großen Museen der Welt aus und frage ‚Wohin wollt ihr?“, erinnert sich Steinbrenner und lächelt.

Frisch zusammen, zeigten Lindner und Steinbrenner bereits nach einer Woche, 2002, ihre erste gemeinsame Performance „Family II“: Einer hielt die Kartoffel, der andere schälte. Das „Wir“ sei so ein „Konkurrenzvermeidungsding“ gewesen, aber auch das Genießen eines gleichberechtigten, konstruktiven Gesprächs, das Solo-Künstlern fehlt. „Einer hat eine Idee und wir sprechen darüber. Solange, bis keine Fragen mehr übrig sind“, sagt Lindner. Wer denn eher sein Veto einlege? „Das ist nicht wichtig. Und wenn es einen gäbe, würden wir es nicht sagen.“

Raumgreifende Arbeit

Till Steinbrenner wundert sich heute noch, wie sie es 2004 als Erstsemester in das PS1 des Museums of Modern Art in New York geschafft hätten. „Wir sind in den Flieger und haben da rumperformt.“

Dann folgte 2009 das New York Stipendium des Landes Niedersachsen im International Studio & Curatorial Program, ISCP. Für Steinbrenner hatte es nur einen Nachteil, „da waren überall Amerikaner“, auch im Sinne von: Künstler, die rein für den Markt produzieren. Beider Plan stand fest: Alles „einatmen und aufsaugen“. Sie arbeiteten überwiegend konzeptuell, was auch dem Familienleben mit dem damals eineinhalbjährigen Sohn entgegen kam.

Entstanden ist daraus im Folgejahr unter anderem die raumgreifende Arbeit „We don’t trust you“ für den Kunstverein Oldenburg: Lindner und Steinbrenner überlassen die Besucher alternativlos einem 45 Meter langen hölzernen Gang. Er führt um den Ausstellungsraum herum, ohne dass man ihn selbst sieht, und in einen Kubus mit gespachtelter, roter Ölfarbe. Im begleitenden Übersichtskatalog nannten sie die Geldquellen der zurückliegenden Jahre: Preisgelder, Verkäufe, handwerkliche Auftragsarbeiten, Geldgeschenke und Hilfsarbeiten.

„Ein Drittel sind heute Preise und Stipendien, ein anderes die Lehrtätigkeiten und eines die Ausstellungs- und Aufbauhonorare“, rechnet Steinbrenner vor. „Wir bauen alles selbst, denn die letzten zehn Prozent unserer Installationen werden vor Ort zugespitzt. Unser Atelier ist da, wo wir sind.“ Danach recyceln sie ihre Kompositionen aus Material, Dramaturgie und Poesie weitestmöglich.

„Wir produzieren nicht auf Vorrat, sondern nach Auftrag. Vor den Zwängen einer Galerie sind wir bisher bewahrt geblieben“, sagt Lindner. „Wenn man damit anfängt, ist es schwer, sich treu zu bleiben.“ 2012 stürzten sie sich begeistert in eine Gastprofessur in München und waren 24 Stunden für ihre Studenten da. „Länger als zwei Semester hätten wir das nicht durchgehalten“, sagt Lindner. Etwas reduziert sei es aber immer eine gute Option.

Den Sparkassen-Kunstpreis bekommen sie nun für ihr Gesamtwerk und ihre Arbeiten im Rahmen der diesjährigen Herbstaustellung des Kunstvereins Hannover. Dabei geht es diesmal um Licht: Die Lichtmenge des Ausstellungsraumes soll gebündelt werden.

„Die Leuchte wird so hell sein, dass die Besucher nicht hinein sehen können werden. Obwohl sie hinsehen wollen, werden sie den Blick senken müssen“, sagt Steinbrenner. Für Lindner auch ein Sinnbild: für den Beleuchtungswahn und das Ausmerzen-wollen jedes Schattens.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.