Autobahn mit Oberleitung: E-Laster kriegen eine Spur

Auf der A1 bei Lübeck geht bald eine Teststrecke für Elektro-Lastwagen in Betrieb. Manche finden sie wichtig für die Verkehrswende, andere total unsinnig.

Lastwagenkolonne auf der Autobahn neben der künftigen Oberleitungsspur

Kurz vor der Fertigstellung: Teilstrecke für E-Lastwagen. Foto: Markus Scholz/dpa

HAMBURG taz | Für Kai-Jörg Bode ist es „ein spannendes Projekt“, das auf der Autobahn A1 südlich von Lübeck Gestalt annimmt: die Teststrecke für elektrifizierten LKW-Verkehr. „Wir müssen mehr für die Umwelt tun“, begründet der Geschäftsführer der Spedition Bode in der Kleinstadt Reinfeld, warum sein Unternehmen mit fünf neuen LKW an dem Versuch im fließenden Verkehr teilnehmen will.

Direkt vor Bodes Unternehmenssitz – nahe der Auffahrt Reinfeld – beginnt der pro Fahrtrichtung fünf Kilometer lange E-Highway bis zum Kreuz Lübeck. In zwei Monaten, am 5. Juli, soll er freigegeben werden, verlautet aus dem schleswig-holsteinischen Verkehrsministerium, aber erst im Herbst wird Bode seine Elektro-Laster rollen lassen können. Der schwedische LKW-Bauer Scania kann die neuartigen Hybrid-Laster nicht früher liefern. Sechs Touren pro Tag plant Bode im Pendelverkehr zum Lübecker Hafen.

Der Anblick indes ist gewöhnungsbedürftig. In beiden Fahrtrichtungen wurden am rechten Fahrbahnrand seit November vorigen Jahres Oberleitungen errichtet, die denen an Bahngleisen ähneln. Alle paar Meter stehen Masten, in einer Höhe von 5,10 Metern verlaufen die Stromdrähte über der rechten Fahrspur.

Sensoren im Dach des LKW erkennen die Oberleitung und fahren die Stromabnehmer aus. Endet die Oberleitung, springt automatisch der Motor wieder an – theoretisch. „Wir müssen das als Alternative zum Diesel ausprobieren“, ist Spediteur Bode überzeugt.

Versuch unter realen Bedingungen

19 Millionen Euro lässt der Bund sich diese Teststrecke kosten. Mit einem Verkehrsaufkommen von täglich etwa 60.000 PKW und rund 8.000 LKW gilt dieser Autobahnabschnitt den Planern als besonders geeignet, um das System unter realen Verkehrsbedingungen zu testen.

„Für die Energiewende ist dieses Vorhaben von besonderer Bedeutung“, sagte zum Projektstart im Juni 2018 der damalige grüne Umwelt- und Energieminister Robert Habeck. „Wir müssen auch im Verkehr auf erneuerbare Energien umsteigen, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen.“

Rainer Kersten, Bund der Steuerzahler

„Mir fehlt jegliche Fantasie, wie der LKW-Verkehr flächendeckend umgerüstet werden könnte“

Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) ergänzte seinerzeit: „Wenn das tatsächlich richtig gut funktioniert und technologisch eine wirkliche Zukunftsperspektive ist, dann kann sich das hier heute als ein Tag erweisen, der für viele, viele Autobahnen, für viel Güterverkehr eine ökologische völlig neue Dimension auf der Straße bewirkt.“

So weit aber ist die Sache noch lange nicht gediehen. Die Durchführung und Auswertung erfolgt durch das Forschungs- und Entwicklungszentrum der Fachhochschule Kiel GmbH (FUE). Das Ziel des auf drei Jahre angesetzten Feldversuches sei es, „dieses System technisch, ökologisch, ökonomisch und unter Verkehrsgesichtspunkten zu bewerten, um der Politik Entscheidungsgrundlagen für einen möglichen Ausbau zu liefern“, heißt es in der Projektbeschreibung.

Eine erste Teststrecke von zwei mal fünf Kilometern Länge ist bereits in Hessen zwischen Frankfurt und Darmstadt an der Autobahn 5 betriebsbereit, eine weitere Teststrecke über zwei mal sechs Kilometer soll in Baden-Württemberg an der Bundesstraße 462 bei Rastatt folgen.

Das Oberleitungssystem ermöglicht laut Forschungs- und Entwicklungszentrum der Fachhochschule Kiel (FUE) eine direkte Nutzung der elektrischen Energie, die nahezu vollständig in Bewegungsenergie umgesetzt werde. Der genaue Wirkungsgrad des Systems soll in dem Test ermittelt werden.

Gesundheitsgefahren durch elektromagnetische Felder seien nicht zu erwarten, die Emissionen sollen geringer sein als bei der Bahn und unterhalb der zulässigen Grenz- und Richtwerte liegen.

Eine erhöhte Unfallgefahr bestehe bei Kollisionen von Fahrzeuge mit den Masten. Durch neu installierte Leitplanken der höchsten Schutzklasse soll diese Gefahr reduziert werden.

Gar nicht begeistert von dem Test ist der Bund der Steuerzahler in Schleswig-Holstein. Das sei „vielleicht ein interessanter Versuch, aber keine realistische Alternative“, sagt dessen Geschäftsführer Rainer Kersten. Selbst wenn der Test erfolgreich sein sollte, „fehlt mir jegliche Fantasie, wie der LKW-Verkehr flächendeckend umgerüstet werden könnte“, sagt er.

Zudem würde der Güterverkehr eben nicht von der Straße weg verlagert. „Den Schienenverkehr besser auszubauen und zu fördern, würde schneller für Erfolge sorgen“, ist er überzeugt. Für ihn ist der Modellversuch rausgeschmissenes Geld. Solange auf Bahnstrecken noch Dieselloks führen und Signale von Hand umgestellt werden, „halte ich gar nichts von diesem E-Highway“, sagt Kersten.

Pragmatischer sieht das der grüne Verkehrspolitiker Andreas Tietze: „Wir müssen die Schiene stärken, sollten aber auch Innovationen auf der Straße testen“, findet er. Diese Teststrecke zwischen den Häfen Hamburg und Lübeck sei sinnvoll, finanziell vertretbar und zudem „eine schnell machbare Lösung“. Die Alternative sei, „nichts zu tun“. Über eine flächendeckende Elektrifizierung von Autobahnen müsse man nicht jetzt nachdenken, sondern erst nach Auswertung des Tests, findet Tietze. Denn Versuch mache ja bekanntlich kluch.

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